In Deutschland befinden sich 78 Prozent der Auen- und Gewässerbiotoptypen in einer gefährdeten Lage. 20 Prozent davon sind sogar bedroht, vollständig zerstört zu werden. Grund dafür ist der Mensch. Mit der Zerstörung von Lebensräumen und Umweltbelastungen geht der Artenverlust in diesen wichtigen Ökosystemen einher.
Die Folgen des menschlichen Zerstörungswerks sind fatal: Oberflächengewässer beinhalten zwar nicht einmal ein Zehntausendstel des globalen Wasservolumens. Jedoch leben in ihnen zwölf Prozent der uns bekannten Arten. In der Vergangenheit ist der Artenreichtum vor allem an unseren Gewässern stark zurückgegangen – in Europa um 70 Prozent bei den Süßwasserarten und um 61 Prozent bei den Amphibien.
Fragen und Antworten zum Verlust der Biodiversität
Fließgewässer und Seen leiden schon seit Jahrhunderten unter dem Einfluss des Menschen. Zahlreiche Eingriffe wie Begradigung, Ausbau und Aufstauung der Flüsse, Einleitung von Abwässern und Einträge aus der industriellen Landwirtschaft haben die natürlichen Lebensräume zerstört und somit auch die biologische Vielfalt der sensiblen Ökosysteme beeinträchtigt.
Europaweit gingen zwischen 1970 und 2008 etwa die Hälfte der Feuchtgebiete verloren, somit der meist bedrohte Habitattyp. Auch heute noch sind Flüsse und Seen immer noch vom Ausbau – wie beispielsweise die Elbe – bedroht. Auch Nitrat und Pestizide der industriellen Landwirtschaft sowie Industrie und Haushalte – beispielsweise in der Kaliproduktion – und Mikroschadstoffe sowie Mikroplastik belasten die Gewässer. Außerdem hindern zahlreiche Querbauwerke Fische am Aufstieg zu ihren Laichgründen.
Intakte Süßwasser-Ökosysteme sind widerstandsfähiger gegen Krankheiten und den Klimawandel. Sie haben eine enorme Bedeutung für uns Menschen: als Trinkwasserlieferant, als Hochwasserschutz, als Filter für Sedimente und gelöste Schadstoffe und als Orte der Erholung und Freizeit.
So verbessern beispielsweise Auen die Wasserqualität. Auch eine Vielfalt von Insekten wirkt sich positiv auf unsere Gewässer aus: Im Wasser lebende Insektenlarven tragen beispielsweise zur Selbstreinigung des Wassers bei. Gerade Oberflächengewässer sind Hotspots der Biodiversität – rund 40 Prozent der weltweiten Fischarten kommen in Binnengewässern vor.
Die "Roten Listen der bedrohten Arten" sind zum Gradmesser des Verlustes geworden. Der Rückgang von Biodiversität in Süßgewässern ist viel stärker als im Meer oder auf dem Land.
In der Vergangenheit ist der Artenreichtum vor allem an unseren Gewässern stark zurückgegangen, in Europa betrug der Schwund bei den Süßwasserarten über 70 Prozent und bei den Amphibien 61 Prozent.
Beispiele für bedrohte Tierarten
- Der Fischotter war ursprünglich in ganz Europa zuhause. Heute ist er in Deutschland vom Aussterben bedroht. Man findet ihn nur noch in Nordostdeutschland. Durch Schutzmaßnahmen verbessern sich seine Bestände langsam; es ist aber noch ein langer Weg, bis er wieder zu seiner ursprünglichen Verbreitung zurückgefunden hat.
- Die Libelle Grüne Mosaikjungfer verbringt die meiste Zeit ihres zwei- bis dreijährigen Lebens als Larve im Wasser. Man findet sie jedoch heutzutage immer seltener, denn die Grüne Mosaikjungfer ist vom Aussterben bedroht.
- Auch die Schwarze Heidelibelle, die "Libelle des Jahres 2019", steht in vielen Bundesländern inzwischen auf der Roten Liste der gefährdeten Arten, da ihre natürlichen Lebensräume – nährstoffarme und saure Gewässer – stark verschmutzt sind aufgrund von Anreicherungen mit Stickstoff aus Abgasen oder Düngemitteln sowie durch Torfabbau in Mooren zerstört wurden.
- Die Europäische Sumpfschildkröte zählt heute zu den seltensten Bewohnerinnen von Seen und Teichen, denn es gibt nur noch wenig Plätze, an denen sie leben könnte.
- Vom Schierlings-Wasserfenchel findet man heute nur noch knapp 1.000 Stück an den Ufern der Elbe, da er aufgrund fortschreitender Zerstörung der Auen durch Hafenausbau, Eindeichungen und Flussregulierungen vertrieben wurde. Durch die Elbvertiefung wird er akut weiter bedroht.
- In Deutschland sind sieben Süßwassermuschelarten gefährdet. Eine davon ist die vom Aussterben bedrohe Flussperlmuschel. Gründe dafür sind Abwässer, Flussausbau, Verschlammung und Düngerbelastung durch die Landwirtschaft.
- Lurche bewohnen Biotopkomplexe, da sie sowohl Wasser- als auch Landlebensräume benötigen. Ihnen wird das Leben jedoch schwerer und schwerer gemacht, da ihre Lebensräume immer mehr zerstört werden und abnehmen. Die Hälfte der in Deutschland lebenden 21 Lurcharten steht aktuell auf der Roten Liste.
Da man es nicht sieht, ist vielen Menschen gar nicht bewusst, dass das Grundwasser ebenfalls eine wichtige Ressource ist. Grundwasser dient zum Beispiel als Trinkwasser (in Deutschland werden 76 Prozent des Trinkwassers aus Grundwasser gewonnen) und bildet einen wichtigen Lebensraum für Organismen unterschiedlicher Größe. Dazu gehören Krebstiere, Schnecken, Milben, Würmer oder auch Fische. Weltweit gehen Wissenschaftler*innen von 100.000 Tierarten aus, die im Grundwasser leben.Deshalb ist auch der Schutz des Grundwassers eine Frage des Artenschutzes.
Intakte Auen sind die artenreichsten Lebensräume Mitteleuropas und sind überaus bedeutsam für den Erhalt der biologischen Vielfalt. Doch sie bedecken in Deutschland nur noch drei Prozent ihrer ursprünglichen Fläche.
Auen sind von großem Nutzen für Natur und Gesellschaft, schützen beispielsweise vor Hochwasser, filtern Nähr- und Schadstoffe aus dem Wasser oder speichern große Mengen des klimaschädlichen Kohlendioxids. Auch Fischerei und Tourismus profitieren von intakten Auen.
Auen benötigen regelmäßige Überschwemmungen und Sedimentumlagerungen, denn diese tragen zum Erhalt der typischen Flora und Fauna bei und bilden deren Lebensräume.
Auf der Rio-Konferenz 1992 der Vereinten Nationen wurde das Übereinkommen über die biologische Vielfalt unterzeichnet, welches als Hauptziele unter anderem die nachhaltige Nutzung und den globalen Schutz der biologischen Vielfalt verfolgt.
Seit 2012 arbeitet der Weltrat für Biologische Vielfalt der Vereinten Nationen (IPBES) zum Erhalt und zur nachhaltigen Nutzung biologischer Vielfalt und Ökosystemleistungen. Am 6. Mai 2019 veröffentlichte der Weltrat einen neuen globalen Bericht, der erstmalig in diesem Ausmaß vom aktuellen Zustand der biologischen Vielfalt weltweit berichtet und die über eine Million vom Aussterben bedrohten Arten belegt – so viele wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Der Bericht wurde in drei Jahren von 145 Fachleuten aus mehr als 50 Ländern geschrieben und umfasst mehr als 1.500 Seiten.
Wichtige Erkenntnisse des IPBES-Berichts für die Gewässerbiodiversität sind unter anderem:
- Binnengewässer und Süßwasserökosysteme zeigen weltweit eine der höchsten Rückgangsraten. Zwischen den Jahren 1700 und 2000 sind über 85 Prozent der weltweiten Feuchtgebiete verloren gegangen – prozentual gesehen ist der Verlust an Feuchtgebieten zurzeit dreimal größer als der Verlust von Wäldern.
- Weltweit sind über 40 Prozent der Amphibienarten vom Aussterben bedroht (zum Vergleich: Bei den Insektenarten sind es "nur" etwa zehn Prozent).
- Weltweit existieren ungefähr 50.000 große Dämme (höher als 15 Meter) und circa 17 Millionen Reservoire (größer als 0,01 Hektar), welche die Artenvielfalt im Süßwasser stark beeinflussen.
In einem regionalen Bericht aus dem Jahr 2018 schreibt das IPBES, dass in West- und Zentraleuropa und in Teilen Osteuropas mindestens 37 Prozent der Süßwasserfische und ungefähr 23 Prozent der Amphibien vom Aussterben bedroht sind. Ebenfalls sind in diesen Regionen 45 bis 70 Prozent der Schnecken, 20 bis 26 Prozent der Muscheln und 15 bis 19 Prozent der Libellen gefährdet.
Ja, sogar in vielfacher Hinsicht: Die Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen (CBD), die Wasserrahmenrichtlinie und die Natura-2000-Richtlinien verpflichten Deutschland auf unterschiedliche Weise dazu, Tiere, Pflanzen und bestimmte Habitattypen an, in und um die Gewässer herum zu schützen und dafür zu sorgen, dass sich die Natur wieder erholen kann.
Jedoch: Deutschland verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Völker-, Europa- und nationalem Recht und tut flächendeckend zu wenig.
Im Einzelnen:
- In der Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen (CBD) verpflichtete sich auch Deutschland zum Schutz der Biodiversität. 2007 wurde die CBD durch Entwicklung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) in Deutschland umgesetzt. Für Fließgewässer gilt es beispielsweise bis 2015 die ökologische Durchgängigkeit wiederherzustellen, eine naturraumtypische Vielfalt bis 2020 zu gewährleistet, wieder mehr natürliche Überflutungsräume zu schaffen und die charakteristische Fischfauna dauerhaft zu sichern. Für Seen, Weiher, Teiche und Tümpel gilt es, keine Verschlechterung der ökologischen Qualität zuzulassen und in Natura-2000-Gebieten den Erhaltungszustand signifikant zu verbessern. Für Grundwasser sind Ziele unter anderem, dass ab 2015 alle grundwassertypischen Arten nicht gefährdet sind und dass bis 2020 anthropogene diffuse Einträge deutlich reduziert werden müssen.
- Die Wasserrahmenrichtlinie ist das Schutzgesetz unserer Gewässer, welche für Flüsse, Seen und Küstengewässer einen "guten ökologischen Zustand" verlangt. Das bedeutet, dass alle Gewässer wieder möglichst naturnah werden müssen – mit der ursprünglich typischen Artenzusammensetzung. Aktuell wird dieser Zustand fast flächendeckend verfehlt und Deutschland tut zu wenig, um die Richtlinie umzusetzen und unseren Flüssen und Seen ihre verlorene Vielfalt wiederzugeben.
- Die FFH-Richtlinie und die Vogelschutzrichtlinie werden manchmal als Natura-2000-Richtlinien zusammengefasst, da nach ihnen Schutzgebiete (Natura-2000-Schutzgebiete) ausgewiesen werden. Zudem werden bestimmte Arten besonders geschützt. Geschützt sind z.B. der Fischotter, der Alpen-Kammmolch, der Maifisch und der Lachs.
Die Ziele der Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt (NBS) der Bundesregierung bis 2020, natürliche Überflutungsräume zu schaffen und eine gute Badewasserqualität, eine charakteristische Fischfauna sowie Auen und Fließgewässern in ihrer Funktion als Lebensraum zu sichern, werden bei Weitem verfehlt.
Ebenso verfehlt wurde das Ziel der Wasserrahmenrichtlinie, bis 2015 den "guten ökologischen und chemischen Zustand" der Fließgewässer zu erreichen. Der ökologische Zustand eines Flusses ergibt sich aus dem Vergleich der im Wasser lebenden Organismen mit dem Bestand, der dort natürlicherweise vorkommen sollte. Zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie ist die biologische Vielfalt unserer Gewässer also einer der wichtigsten Faktoren. Im Jahre 2018 waren nur etwa acht Prozent der deutschen Flüsse und Seen in einem ökologisch guten Zustand!
Das fordert der BUND
- Durchgängigkeit von Flüssen: Staudämme und Wehre sind unüberwindbare Hindernisse für wandernde Wasserbewohner wie Fische, Biber und Krebse und schränken die natürliche Dynamik von Flüssen ein. Nur wenn unsere Flüsse wieder durchgängig gemacht werden, können sich die Populationen der im Wasser lebenden Lebewesen erholen und ausbreiten.
- Flüsse nicht weiter ausbauen, stattdessen das Blaue Band umsetzen: Seit 200 Jahren verwandeln Baumaßnahmen wie Vertiefungen, Begradigungen oder Buhnen viele dynamische Flüsse in monotone Wasserstraßen, die kaum noch Lebensräume bieten. Die Begradigung von Flüssen führt zu zunehmendem Gefälle und damit zu höheren Fließgeschwindigkeiten – Lebensräume und Laichstätten werden zerstört. Den Flüssen muss mehr Raum gegeben werden sich natürlich zu entwickeln. Das Blaue Band muss zügig umgesetzt werden und einen klaren Fokus auf die ökologische Gewässerqualität aufweisen.
- Schadstoffeinträge reduzieren: Die industrielle Landwirtschaft verbreitet Unmengen an Gülle und Pestiziden, die meist direkt in den Flüssen und Seen oder im Grundwasser landen, da es keine Pufferzonen zum Gewässer gibt. Industriebetriebe leiten schadstoffbelastete Abwässer in die Flüsse ein und Kraftwerke leiten das aufgewärmte Kühlwasser wieder in die Flüsse zurück. All diese Einträge von Nitraten, Pestiziden, Schwermetallen, schwer abbaubaren organischen Schadstoffen, Mikroplastik oder Quecksilber und der Zufuhr von Wärme verschlechtern den Zustand unserer Gewässer und führen zum Artensterben vieler Wasserorganismen.
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