Umwelt und Entwicklung: Kein "Weiter so" wie bisher!

22. Januar 2019 | Nachhaltigkeit, Suffizienz, Ressourcen & Technik, Klimawandel, BUND

Wenn es darum geht, ein gutes Leben in Würde für alle Menschen zu erreichen, müssen Umweltschutz und Entwicklung mehr denn je zusammen gedacht werden. Umweltschutz ist längst von internationaler Dringlichkeit, und die schädigenden Auswirkungen unseres ressourcenfressenden Lebensstils auf arme Länder im globalen Süden sind bekannt. Die Politik zieht aber viel zu wenige Konsequenzen.

Hubert Weiger. Foto: © Andreas Weiss / Rat für Nachhaltige Entwicklung Der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger  (Andreas Weiss / © Rat für Nachhaltige Entwicklung)

Von Hubert Weiger, BUND-Vorsitzender

Dass Umwelt und Entwicklung zusammengehören, war bereits eine zentrale Botschaft des UN-Gipfels von Rio 1992. Nicht nur umweltpolitische Probleme waren Gegenstand dieser Konferenz; vielmehr sollten auch die drängenden globalen Entwicklungsprobleme im umweltpolitischen Zusammenhang behandelt werden.

Ziel war es, die Weichen für eine weltweite, nachhaltige Entwicklung zu stellen: Ein Ergebnis war die Agenda 21. Wenige Jahre später gaben der BUND und Misereor die erste Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" heraus.

Nicht nur die Zusammenarbeit eines Umweltverbandes und eines katholischen Hilfswerks – heute eine Selbstverständlichkeit – war damals revolutionär, sondern auch die Kernbotschaft der Studie: Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung kann nur innerhalb der ökologischen Grenzen unseres Planeten nachhaltig sein – im Rahmen des sogenannten "Umweltraums". Das ist der Raum, den Menschen in ihrer natürlichen Umwelt beanspruchen können, ohne sie nachhaltig zu schädigen.

Verbunden war dies mit der Forderung nach gleicher Teilhabe an den globalen Ressourcen: Jeder Mensch hat das gleiche Recht auf die Nutzung globaler Umweltgüter und auf eine Leben in gesunder Umwelt und unversehrter Natur.

Das Zukunftsfähige Deutschland stieß auf große Resonanz – von der "grünen Bibel" sprach der "Spiegel". Neu waren damals auch der langfristige Zeithorizont und die Formulierung von quantifizierten Umweltzielen für das Jahr 2050: Wie viel ist tragbar, und welche Ziele müssen wir – zum Klimaschutz, bei Verkehr und Landwirtschaft, zum Stopp von Flächenverbrauch und Artenverlust – bis wann erreicht haben, um die natürlichen Lebensgrundlagen weltweit und dauerhaft zu wahren? Die Ziele machten deutlich: Es ist wichtig, im politischen Alltagsgeschäft langfristige ökologische Entwicklungen zu berücksichtigen.

2008 veröffentlichte der BUND mit Brot für die Welt und dem Evangelischen Entwicklungsdienst eine zweite Studie. Denn obwohl "Nachhaltigkeit" mittlerweile in aller Munde zu sein schien, waren grundlegende Veränderungen nicht erreicht.

Die Vielfalt an Tieren und Pflanzen in Deutschland, Europa und weltweit schwand weiter. Die Folgen des Klimawandels wurden immer sichtbarer. Das Problem der Armut in den Ländern des Südens war ungelöst; in vielen Schwellenländern verschärfte ein wirtschaftlicher Aufschwung Umweltprobleme und soziale Ungleichheit. Und auch in Deutschland galt es, die Verbindung sozialer und ökologischer Probleme stärker in den Blick zu nehmen.

An ein "Weiter wie bisher" ist nicht zu denken

Eine Forderung, die sich daraus ergab: die Armut weltweit zu lindern und zugleich die ökologischen Grenzen zu wahren. Sie ist leider auch heute noch – mehr als 25 Jahre nach dem Umwelt-Gipfel in Rio – eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit.

Mit der Verabschiedung der "Sustainable Development Goals" (SDGs) der UN 2015 in New York ist es gelungen, umwelt- und entwicklungspolitische Anliegen eng zu verschränken. Ein Drittel der insgesamt 17 Ziele adressiert den Umwelt- und Naturschutz: den Zugang zu bezahlbarer und nachhaltiger Energie für alle Menschen zu schaffen, die Klimakrise zu bekämpfen oder den Artenverlust zu stoppen.

Alle Staaten dieser Erde haben sich verpflichtet, die neue Agenda umzusetzen. Damit ist auch Deutschland nicht nur gefragt, die ärmsten Länder der Welt zu unterstützen. Nein, wir haben uns auch verpflichtet, die Ziele in unserem Land umzusetzen und die weltweiten Folgen unserer Wirtschafts- und Handelspolitik, unserer Produktion und unseres Konsums zu berücksichtigen.

Und die sind beträchtlich. Die Bundesrepublik ist in puncto Verpackungsmüll mit Abstand Spitzenreiter in der Europäischen Union. Alles andere als nachhaltig zeigt sich auch die Landwirtschaft: Hier werden in viel zu hohem Maß Pestizide und Düngemittel eingesetzt. Dies schadet jedoch der Qualität der Böden und der biologischen Vielfalt.

Hinzu kommt, dass die industrielle Tierhaltung auf Kosten von Ressourcen und Flächen in den Ländern des globalen Südens wirtschaftet. Weltweit wird ein Drittel aller Anbauflächen zur Produktion von Tierfutter genutzt. Riesige Flächen werden vor allem in Argentinien, Brasilien und Paraguay umgepflügt. Allein Deutschland importiert jedes Jahr 6,7 Millionen Tonnen Soja als Futtermittel, die in riesigen Monokulturen angebaut werden. Dies geht zu Lasten der Artenvielfalt – und führt zur Vertreibung bäuerlicher Familien.

Die Politik ist weit davon entfernt, wesentliche Ziele der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie – Klimaschutz, Energieeffizienz, Verkehr, Agrarpolitik, Artenschutz, Wasserqualität – zu erreichen.

Dass an ein "Weiter wie bisher" nicht zu denken ist, zeigt die folgende Berechnung: 2018 fiel der Erdüberlastungstag in Deutschland auf den 2. Mai. Das heißt: Die Bundesrepublik hatte bereits nach vier Monaten die natürlichen erneuerbaren Ressourcen verbraucht, die uns rechnerisch für das komplette Jahr zur Verfügung stehen, und lebt seitdem auf Kosten des Planeten und der nachfolgenden Generationen.

Suffizienz als Schlüssel, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen

Wir müssen also den Grenzen des Wachstums viel mehr Rechnung tragen. Eine Politik, die sich in den Industrieländern weiter ausschließlich am Wirtschaftswachstum orientiert, steht im Widerspruch zu den planetaren Grenzen. In vielen armen Ländern der Erde wird es perspektivisch einen Anstieg des Ressourcenverbrauchs geben (müssen). Das bedeutet: Die Industrieländer – wir! – müssen ihren Energie-, Ressourcen und Flächenverbrauch stark senken.

Der BUND plädiert deshalb mit einer zunehmenden Zahl zivilgesellschaftlicher Akteure für mehr Suffizienz (von lat. sufficere – ausreichen, genügen) – also für einen ressourcenleichten Lebensstil, der dieser Verantwortung gerecht wird. Das wäre auch ein Schlüssel, die SDGs zu erreichen. Denn technische Lösungen werden nicht ausreichen, unseren Verbrauch im nötigen Ausmaß zu mindern.

Ein Beispiel: Zwar werden unsere Elektrogeräte immer effizienter, doch zugleich wächst ihre Zahl, ihre Größe und Leistungsstärke – und damit auch unser Energieverbrauch. Immer kürzere Produktzyklen und fehlende Reparaturmöglichkeiten führen zu unvorstellbaren Mengen Elektroschrott.

Deshalb ist Suffizienzpolitik dringend nötig, also eine Politik, die darauf zielt, politische Rahmenbedingungen und Strukturen so zu verändern, dass unser Energie-, Ressourcen- und Flächenverbrauch substanziell gemindert wird und nachhaltige und "ressourcenleichte" Lebensstile möglich werden. Eine urbane Mobilitätswende etwa, die den öffentlichen Nahverkehr stärkt und mehr Raum für Fahrradfahrer*innen und Fußgänger*innen schafft, bedeutet zugleich mehr Lebensqualität, weniger Lärm und bessere Luft. Damit schaffen wir auch international gute Beispiele und denken Umweltschutz und Entwicklung zusammen.

Die Politik ist also gefragt, den Rahmen für zukunftsfähige Lebensstile – und für Suffizienz – zu schaffen. Doch für diese Transformation bedarf es zugleich eines kulturellen Wandels: Nachhaltige Entwicklung erfordert, dass wir uns mit Lebensstilfragen und Suffizienz auseinandersetzen. Politiker*innen müssen merken, dass nicht nur eine kleine Minderheit das dauernde Wachstum kritisiert.

Ermutigend ist das hohe Umweltbewusstsein in Deutschland. Davon zeugen nicht nur öffentliche Debatten und aktuelle Umfragen, sondern auch die große Beteiligung etwa an der europäischen Bürgerinitiative für ein Verbot von Glyphosat.

Um diese Zusammenhänge in der Politik und in der Gesellschaft weiter zu verdeutlichen, bleibt die enge Zusammenarbeit von Umwelt-, kirchlichen und Entwicklungsorganisationen auch in Zukunft von größter Bedeutung.

Der Beitrag erschien zuerst im Dossier "Gemeinsam Zukunft gestalten – Nachhaltige Entwicklung für eine Welt im Umbruch" von Brot für die Welt und Misereor.

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