In den Fluren des Bonner Konferenzzentrums, wo morgen das Vorbereitungstreffen für die nächste große Klimakonferenz in Chile zu Ende geht, sind trotz der heißen Temperaturen draußen – 40 Grad, so heiß war es in Deutschland im Juni noch nie! – alle ganz gechillt.
Von der Notwendigkeit, mehr für den Klimaschutz zu tun, sprechen in Bonn nur die Jugendlichen und die Umweltorganisationen. Bei den Regierungen scheint dagegen die Vorstellung vorzuherrschen, dass das Pariser Abkommen durch ist, die Regeln dafür vergangenes Jahr verabschiedet wurden, und wir jetzt zum vergnüglichen Teil kommen können. Und der wäre: der Emissionshandel.
"Häh?" – mag sich da vielleicht die ein oder andere fragen – haben wir den nicht schon längst in Europa? Und sagen nicht immer alle, dass der nicht funktioniert? Ja, tatsächlich: Mit dem Emissionshandel haben wir in Europa genügend Erfahrungen gemacht – und keine guten. Als Klimaschutzinstrument taugt der Europäische Emissionshandel definitiv nicht. Nur warum kommt er jetzt plötzlich auf internationaler Ebene ins Spiel?
Der Emissionshandel soll von eigenen Maßnahmen für das Klima freikaufen
Tatsächlich ist die Gestaltung des Emissionshandels der Zukunft zurzeit das wichtigste Thema der Klimaverhandlungen. Also, ob Länder andere Länder dafür bezahlen können, dass diese Klimaschutz machen, anstatt das man selbst etwas unternimmt. Eine Frage wäre zum Beispiel, ob Brasilien von Deutschland Geld bekommt, wenn es den Regenwald nicht abholzt. Dafür dürfte Deutschland dann seine Kohlekraftwerke länger laufen lassen …
Letztlich geht es also darum, sich eine Erlaubnis zu kaufen, selber weniger für den Klimaschutz unternehmen zu müssen. Unverantwortlicher kann man gar nicht mehr handeln! Denn die weltweiten Emissionen werden so bestimmt nicht ausreichend sinken. Und neue Märkte werden entstehen, die suggerieren, dass man der Klimakrise mit "Innovationsoffensiven" begegnen kann. Ganz à la CDU, die die Klimakrise auch als "Chance für die Wirtschaft" definiert.
Die Netto-Null droht zu einer Luftnummer zu werden
Zu dieser Lesart der Klimakrise passt es auch, dass sich plötzlich ganz viele, inklusive der deutschen Kanzlerin, für Netto-Null-Emissionen im Jahr 2050 aussprechen. Heißt das, dass dann tatsächlich gar keine Emissionen mehr produziert werden? Nein, es bedeutet nur, dass unterm Strich keine Emissionen mehr "übrigbleiben".
Positiv interpretiert kann "Netto-Null" heißen, dass wir unsere Emissionen so stark wie möglich reduzieren – und nur den allerletzten Rest, den wir nicht verhindern können, einfangen und in leeren Gaskavernen unter der Erde speichern. Anders interpretiert könnte "Netto-Null" jedoch darauf hinauslaufen, dass wir mit einem verspäteten Kohleausstieg, einer geringen Besteuerung von CO2 und ein paar mehr Elektroautos ein bisschen Klimaschutz machen. Und auf die notwendige totale Reduktion von CO2 kommen wir dann, in der Theorie wohlgemerkt, indem wir ganz viel CO2 aus der Luft auffangen und es unter der Erde speichern (engl. "Carbon Dioxide Capture and Storage", kurz CCS).
Nur: Wie wir große Mengen an CO2 auffangen, transportieren, und wo wir es speichern sollen, das ist noch vollkommen unklar. Klar ist nur, dass das Auffangen und Speichern von CO2 unglaublich teuer und energieintensiv wird. Bezahlbar ist es nur, wenn Emissionen einen Preis haben und die Reduktion von Emissionen über einen internationalen Emissionshandel finanziert wird. Und genau das wird gerade vorbereitet.
Wir brauchen echten Klimaschutz statt gefährlicher Scheinlösungen
Verstehen Sie den BUND nicht falsch – es ist nicht per se schlecht, wenn CO2 einen Preis hat. Falsch ist jedoch, dass die Bundesregierung und mit ihr viele andere Regierungen Wirtschaftswachstum um jeden Preis und unsere zerstörerische Abhängigkeit von Kohle, Öl und Gas weiter befeuern, und kostbare Zeit und Geld in Ablenkungsmanöver stecken.
Jährlich wird die Förderung von Kohle, Öl und Gas global mit über fünf Billionen US-Dollar staatlich subventioniert. Dagegen haben wir in Deutschland kein Tempolimit. Das letzte Kohlekraftwerk soll erst 2038 abgeschaltet werden. Wir wollen mehr und mehr gefracktes Gas importieren. Flugbenzin wird kaum besteuert und der Bau von Solaranlagen und Windrädern ist gedeckelt.
Debatten über CCS und Emissionshandel müssen endlich als die Gefahr gesehen werden, die sie tatsächlich sind: Es sind Nebelkerzen, die rein gar nichts mit Klimaschutz zu tun haben. Es sind Versuche der Regierungen und der fossilen Energieunternehmen, unsere Abhängigkeit von Wirtschaftswachstum und Kohle, Öl und Gas noch so lange wie möglich aufrecht zu erhalten.
Doch wir lassen uns nicht ablenken! Wir sprechen weiter von der Notwendigkeit, Dörfer, Wälder und Seen zu retten, den Verkehr aus der Luft und von der Straße auf die Schiene zu holen, und ganz schnell aus dreckigen Energiequellen auszusteigen.
Denn es geht um unser aller Überleben. Bei Temperaturen über 40 Grad, die diese Woche in vielen Ländern in Europa vorausgesagt werden, sind Kinder, Schwangere, alte und kranke Menschen akut bedroht. Die Klimakrise wird uns immer mehr tödliche Hitzewellen bringen. Nur eine radikale Abkehr vom Wirtschaftswachstum und vom Verbrauch von dreckigen Fossilen kann uns vor den katastrophalsten Folgen der Klimakrise bewahren.