Auf 468 Seiten zeigt der Atommüllreport nach Standorten sortiert Zustände und Probleme der Atommüllerlagerung in Deutschland auf. Der BUND ist einer von neun Trägerorganisationen, die die Arbeit des Atommüllreports ermöglichen. Das Projekt leitet die Politikwissenschaftlerin Ursula Schönberger. Mit ihr sprach Jan Warode, Atommüll-Experte des BUND, darüber, warum der Atommüllreport so wichtig ist.
Atommüll ist ja alles andere als harmlos. Wäre der Atommüllreport nicht Aufgabe der Bundesregierung?
Ursula Schönberger: Durchaus. Das Problem ist, dass die Bundesregierung kein Gesamtkonzept für den Umgang mit Atommüll hat. Es gibt zwar ein Abfallverzeichnis, mit dem grob abschätzen werden kann, welche Mengen wo liegen. Die Regierung hat aber weder eine Gesamtschau über radioaktive Abfälle noch erfasst sie die tatsächlichen Mängel, Komplikationen oder Pläne an den Standorten. Ein Beispiel: Die radioaktiven Abfälle des Forschungszentrums in Karlsruhe, sollten ursprünglich in den 2030er Jahren abtransportiert werden. Doch dann wurde festgestellt, dass die Abfälle viel kontaminierter sind als ursprünglich gedacht. Gleichzeitig verzögerte sich das geplante tiefengeologische Lager Schacht Konrad immer weiter. Heute geht man davon aus, dass der letzte Müll aus Karlsruhe erst im Jahr 2072 abtransportiert wird. Aktuell lagert der Abfall in riesigen Zwischenlagerhallen auf dem Gelände der Universität, dem KIT Campus Nord. Im Gegensatz zur Bundesregierung macht der Atommüllreport auf einen Blick diese Zusammenhänge und die zahlreichen Probleme an den Atommüllstandorten deutlich.
Ist denn so eine Situation wie in Karlsruhe eine Ausnahme oder die Regel beim Umgang mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen?
Ursula Schönberger: Es gibt über 50 Standorte für schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Sie heißen wahlweise Zwischenlager, Pufferlager, Bereitstellungshalle oder Landessammelstelle. Die Situation ist unübersichtlich und in einigen Fällen regelrecht chaotisch. So endet beispielsweise der Mietvertrag für die Sammelstelle im niedersächsischen Leese im Jahr 2030. Dort gibt es sogenannte Blähfässer. Das sind Atommüllfässer, die sich ausgebeult und verformt haben. Das darf eigentlich gar nicht sein, denn der Atommüll sollte trocken gelagert werden. Aktuell hat jedoch niemand eine Ahnung, was in diesen Fässern passiert. Andere Fässer in Leese verformen sich, weil die Last der darüber gestapelten Fässer zu hoch ist. Und an die meisten Fässer kommt man gar nicht ran, weil sie so eng eingelagert wurden. Das niedersächsische Lager muss 2028 geräumt werden, damit der Standort bis 2030 freigegeben werden kann. Der Müll soll laut Willen der Landesregierung eines Tages im Schacht Konrad „endgelagert“ werden. Allerdings ist das alte Bergwerk so ungeeignet, dass sich die Inbetriebnahme immer weiter verzögert, auf jeden Fall bis in die 2030er Jahre. Für alle ist also offensichtlich, dass ein anderes Zwischenlager für die Fässer in Lesse benötigt wird. Nicht so für das niedersächsische Umweltministerium. Leider ist das Beispiel Leese nur eines von vielen, die ich jetzt nennen könnte. Besonders bei den schwach- und mittelradioaktiven Abfällen stehen wir vor großen Problemen und Mängeln in ganz Deutschland - egal ob es die Zwischenlager oder die geplanten oder gescheiterten „Endlagerprojekte“ Asse, Morsleben oder Schacht Konrad sind.
Springen wir vom problematischen Ende der nuklearen Kette zum Anfang: Auch in Deutschland, wurde einst Uran gefördert. Uran ist der Ausgangsstoff für die Atomstromproduktion. Wie ist der Stand der Sanierung der Uranbergbaugebiete?
Ursula Schönberger: Die gesundheitlichen Auswirkungen des Uranbergbaus auf die Bevölkerung sind nie ermittelt worden. Die Menschen, die teilweise direkt neben den Halden wohnen, sind seit Jahrzehnten radioaktiven und arsenhaltigen Stäuben, hohen Radonkonzentrationen und einer erhöhten Gammastrahlung ausgesetzt. Die Dimensionen des betroffenen Gebietes und die Mengen an strahlenden Altlasten sind enorm. Halden und Rückstände wurden einfach abgedeckt. Wie und wie lange der Schutz hält, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall gibt es eine dauerhaft erhöhte radioaktive „Grundstrahlung“ in den betroffenen Gebieten. Besonders grotesk: radioaktive Abfälle wurden von der bundeseigenen Wismut GmbH nach 1990 im Zuge der „Sanierung“ einfach in Behälter in die Abraumhalden mit eingelagert und diese so zu oberflächennahen Endlagern umfunktioniert. Und das weit in die 2000er Jahre hinein. Das ist ohne Planfeststellungsverfahren und ohne Langzeitsicherheitsnachweis nach dem Strahlenschutzrecht der DDR von 1982 passiert. Das wurde selbst nach der Wiedervereinigung explizit beibehalten, weil es Aufwand und Kosten reduziert – zu Lasten der Bevölkerung und der Umwelt.
Viele Menschen denken bei Atommüll vor allem an Castor-Behälter. Die stehen aktuell in Zwischenlagern in ganz Deutschland. Wie es mit ihnen weitergeht ist unklar, denn die Suche nach einem sogenannten „Endlager“ verzögert sich erheblich. Wie schätzt Du die aktuelle Situation der hochradioaktiven Abfälle ein?
Ursula Schönberger: Der hochradioaktive Abfall steht in 16 Zwischenlagern in ganz Deutschland. Der Großteil befindet sich neben den abgeschalteten Atomkraftwerken. Es gibt aber auch zentrale Lager in Gorleben Ahaus und Lubmin. Keines der Zwischenlager ist für eine Langzeitlagerung konzipiert, weder die baulichen Einrichtungen noch die Castor-Behälter. Die beiden Zwischenlager Brunsbüttel in Schleswig-Holstein und Jülich in Nordrhein-Westfalen haben seit über zehn Jahren keine Genehmigung. Alle anderen Genehmigungen laufen in zehn bis 20 Jahren aus. Die „Endlager“-Suche für hochradioaktive Abfälle ist zeitlich stark im Verzug. Expert*innen gehen von der Einlagerung im nächsten Jahrhundert aus. Politik und beteiligte Unternehmen mussten dies kürzlich einräumen. Es fehlt also überall an einem Plan und insgesamt an einem Konzept. Neugenehmigungsverfahren müssen nach Stand von Wissenschaft und Technik durchgeführt werden und wir brauchen endlich ein Konzept für die langfristige Zwischenlagerung. Man könnte das im Nationalen Entsorgungsprogramm stärker festhalten. Das Programm ist die Richtlinie der Entsorgungspolitik und muss laut EU Richtlinie alle zehn Jahre aktualisiert werden. Der Entwurf liegt jetzt vor und bleibt leider weiter hinter den Erwartungen zurück. Die Sicherheit für Mensch und Umwelt muss höchste Priorität haben.
Online-Portal Atommüllreport
Das Onlineportal Atommüllreport ist eine kritische Plattform mit Fachinformationen zum Thema Atommüll. Sie basiert auf der im Jahr 2013 erschienen "Bestandsaufnahme Atommüll", initiiert von der Atommüllkonferenz, dem bundesweiten Treffen der Anti-Atom-Bewegung. Am 28.10.2024 ist die gedruckte Aktualisierung der Bestandsaufnahme erschienen und kann für 30 Euro zzgl. Versandkosten unter info(at)atommuellreport.de bestellt werden Projektleiterin Ursula Schönberger steht für Vorträge und Veranstaltungen rund um das Thema Atommüll in Deutschland zur Verfügung: schoenberger(at)atommuellreport.de
Mehr Informationen
- Jan Warode ist BUND-Experte für Atommüll und informiert BUND-Aktive über das Thema radioaktive Abfälle und die aktuelle Standortsuche. BUND-Gruppen und Aktive können gerne via Email an jan.warode(at)bund.net Veranstaltungen und Vorträge anfragen.
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