Beim BUND arbeiten zahlreiche Expert*innen rund um die Themen Klima-, Umwelt-, und Naturschutz. Oftmals findet die Arbeit hinter den Kulissen statt. In diesem Interviewformat stellen wir den BUND-Expert*innen die Fragen, die unsere Leser*innen interessieren. In dieser Ausgabe sprechen wir mit dem BUND-Referenten für Verkehrspolitik Jens Hilgenberg über unnötige Straßenbauorgien und den Bundesverkehrswegeplan 2030.
BUND-Redaktion: Hallo Jens, wie viele Kilometer Autobahn gibt es eigentlich in Deutschland?
Jens Hilgenberg: Hierzulande gibt es aktuell rund 13.200 Kilometer Autobahnen. Das entspricht in etwa einer Entfernung von Deutschland nach Australien. Rund 2.000 Kilometer sind allein in den vergangenen 20 Jahren hinzugekommen. Und vierspurige Bundesstraßen kommen da noch obendrauf.
Ganz schon viel Asphalt! Und wie viele Fernstraßen sollen aktuell noch gebaut werden?
Die Bundesregierung plant, weitere 850 Kilometer neue, zusätzliche Autobahnen zu bauen. Dafür müssen Felder, Wälder, Wiesen und Moore weichen. Zusätzlich sollen einige Autobahnabschnitte verbreitert werden. Auch bei Bundesstraßen gibt es viele Pläne, die noch verwirklicht werden sollen. Insgesamt gibt es über 1.360 Straßenprojekte – und das allein bei Autobahnen und Bundesstraßen. Das geht aus dem Bundesverkehrswegeplan 2030 hervor.
Was ist dieser Bundesverkehrswegeplan 2030?
Grob kann man sagen, im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) stehen alle Projekte für Fernstraßen, Schienen und Wasserstraßen, welche die Bundesregierung bis zum Jahr 2030 umsetzen will. Er ist damit die Grundlage für die konkreten Ausbaugesetze mit den jeweiligen Bedarfsplänen. Alles etwas kompliziert. Am Ende entsteht ein Flickenteppich aus oftmals unnötigen und teuren Projekten. Der BVWP ist im Prinzip eine Wunschliste von Teilen der Politik und der Straßenbaulobby.
Der BUND hat vergangenes Jahr ein juristisches Gutachten in Auftrag gegeben, das zu dem Schluss kommt, dass der BVWP rechtswidrig ist. Wie lautet die Begründung?
Unsere Rechtsanwältin Dr. Heß macht in dem Gutachten klar, dass der Bundesverkehrswegeplan erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt. Er ist weder mit dem Ziel der Klimaneutralität noch mit Artikel 20a des Grundgesetzes vereinbar.
Artikel 20a?
Dieser besagt, dass der Staat auch für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen künftiger Generationen sowie von Tieren verantwortlich ist. Sollten all diese neuen Fernstraßen entstehen, ist es wohl unmöglich, die CO2-Emmissionen im Verkehr so weit zu senken, wie es das Klimaschutzgesetz verlangt. Der Bundesverkehrswegeplan dürfte dann keinen Bestand mehr haben.
Das heißt, dass zum Beispiel für die A20 Moore und Marschböden zubetoniert werden, könnte gegen das Grundgesetz verstoßen?
Das legt das Gutachten nahe. Und wenn man sich die Sache mit gesundem Menschenverstand anschaut, dann muss allen doch klar sein: Eine neue Autobahn mitten durch Moore wie die A20, ist mit Blick auf den Erhalt der Biodiversität, der Einhaltung der Klimaziele und der Flächenversiegelung nicht mehr umsetzbar. Das Gleiche gilt natürlich für geplante Autobahnen durch Wälder, Wiesen und Felder. Klimaschutz predigen und immer neue Straßen bauen, lässt sich nicht kombinieren.
Kommen wir noch zu einem weiteren Thema: Gerade die A20 ist wegen explodierender Kosten als "Pannenautobahn" berüchtigt geworden. Statt 1,9 Milliarden soll sie nun sechs Milliarden Euro kosten. Wer bezahlt das alles?
Am Ende zahlen wir alle das, denn die Straßen werden aus Steuergeld und aus dem Bundeshaushalt bezahlt. Ein großes Problem ist dabei, dass das Geld entweder durch höhere Steuern eingenommen oder an anderer Stelle eingespart werden muss. Allein für die Aus- und Neubauprojekte sieht das Verkehrsministerium einen Finanzbedarf von 98 Milliarden Euro bis 2030.
Bleibt da noch Geld, um marode Straßen und Brücken zu sanieren?
Geld kann nur einmal ausgegeben werden und das wird eine immer größere Herausforderung, der sich die Bundesregierung stellen muss. In den nächsten zehn Jahren müssen rund 4.000 Autobahnbrücken saniert oder ganz erneuert werden. Dazu kommen Schienenwege und Kanäle, deren Erhalt als Bundeswasserstraßen auch dem Bund unterliegt. Dafür braucht es aber nicht nur viel Geld, es braucht auch Menschen, die das alles bauen und planen. Das alles verschlingt auch große Mengen Baustoffe, die zudem immer teurer werden. Und Energie die für Transport und Baumaschinen zum Einsatz kommt.
Keine rosigen Aussichten. Was wären denn die Alternativen zum Neubau?
Erhalt statt Neubau ist die erste direkte Botschaft. Vermeiden und verlagern von Verkehr die zweite. Solange immer mehr Waren auf der Straße statt auf der Schiene transportiert werden, wird es immer Menschen geben, die immer mehr und immer breitere Autobahnen fordern. Hier muss es ein Umdenken bei den Politiker*innen auf allen Ebenen geben. Es muss klar sein: Neue Straßen sind nicht die Lösung, sondern eine veränderte Verkehrspolitik. Wir brauchen eine echte Mobilitätswende und das Ende der autozentrierten Politik der vergangenen Jahrzehnte.
Wie setzt sich der BUND dafür ein?
Im Zusammenhang mit dem Bundesverkehrswegeplan eröffnet sich gerade ein Fenster der Möglichkeiten. In den nächsten Monaten wird der Fernstraßenbedarfsplan überprüft. Wir werden in diesem Rahmen durch weitere Gutachten und Studien aufzeigen, dass die im BVWP 2030 aufgelisteten Fernstraßenprojekte neu bewertet werden müssen. Das heißt, dass die Ziele des Klima- und Naturschutzes in den Bewertungen ausreichend Berücksichtigung finden müssen. Das hätte zur Folge, dass ein Großteil der aktuell vorgesehenen Projekte nicht umgesetzt werden könnte. So schützen wir Wälder vor der Abholzung und Moore vor Trockenlegung und Versiegelung.
Das wäre ein toller Erfolg für die Natur. Danke für das Gespräch!
Sie haben Fragen zu Umwelt- und Naturschutzthemen, die wir unseren Fachreferent*innen stellen sollen? Dann schreiben Sie uns gerne an internet(at)bund.net.