Beim BUND arbeiten zahlreiche Expert*innen rund um die Themen Klima-, Umwelt-, und Naturschutz. Oftmals ist die Arbeit komplex und schwer nachzuvollziehen. In diesem Interviewformat fühlen wir den Expert*innen auf den Zahn und stellen ihnen die Fragen, die unsere Community brennend interessieren. In unserer fünften Ausgabe sprechen wir mit dem BUND-Stadtnaturexpertin Afra Heil über Naturschutz in der Großstadt.
BUND-Redaktion: Hallo Afra, du lebst in Berlin. Wie viel Grün siehst du, wenn du aus dem Fenster siehst?
Afra Heil: Zugegeben: Ich sehe erstmal Gebäude, die Straße und auch Parkplätze. Wenn ich aber genauer hinsehe, gibt es ziemlich viel Grün. Ein paar Bäume, Hecken, den kleinen Innenhof, der von uns Bewohner*innen bepflanzt ist und ein schön bewachsener Spielplatz.
Ist Naturschutz trotzdem eher etwas für Leute auf dem Land?
Nein. Es gibt in Städten viel Natur, die es zu schützen gilt. Städte sind Mosaike von kleinteiligen Flächen und die bieten viele Lebensräume, die von unterschiedlichen Tieren und Pflanzen genutzt werden.
Welche Tiere leben denn in der Großstadt – abgesehen von Tauben natürlich?
Eine ganze Menge: Fledermäuse zum Beispiel leben so gut wie überall. Füchse, Kaninchen und Waschbären kommen stadtweit vor. Wildschweine halten sich am Stadtrand oder in Kleingartenanlagen auf. Der Biber kommt in einigen Städten wieder vor, in Berlin ist er häufig zu beobachten. Neben Tauben, Krähen, Enten gibt es viele verschiedene Singvögelarten, Greifvögel wie den Turmfalken und auch Gebäudebrüter wie Mauersegler.
Und wie können wir die Natur in den Städten schützen?
Viele Kommunen haben schon eigene großangelegte Programme auf den Weg gebracht, um die Städte mehr zu begrünen und die Biodiversität zu stärken, beispielsweise Berlin mit dem "1000-Dächer-Programm" oder Leipzig mit einem Blühstreifenprojekt.
Aber auch die Bundesregierung muss tätig werden. Sie hat schon 2007 im Rahmen der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt das Ziel formuliert, bis zum Jahr 2020 die Durchgrünung der Siedlungen zu erhöhen. Also zum Beispiel mehr Dächer und Fassaden zu begrünen. Gerade wird an einer neuen Strategie bis 2030 gearbeitet.
Dann gibt es noch das 2017 von der Bundesregierung vorgestellte Weißbuch Stadtgrün und der zur Umsetzung entwickelte Masterplan Stadtnatur. Grundsätzlich gilt, dass die Bundesregierung Kommunen dabei unterstützen muss, Grünflächen zu erhalten und auszubauen. Dafür bräuchte es jährlich etwa 100 Millionen Euro für Förderprogramme aus Bundesmitteln.
Wie setzt sich der BUND für Stadtnatur ein?
Der BUND begleitet auf Bundesebene vor allem politische Prozesse. Der größte Teil der Arbeit findet allerdings auf lokaler Ebene in den Stadt- und Kreisgruppen statt. Hier leisten unsere Mitglieder wirklich hervorragende Arbeit. Sie pflegen Grünflächen, Bäume und schützen gefährdete Arten vor Ort. Sie organisieren Exkursionen, Bildungs- und Mitmachangebote und vieles mehr und sie beraten und gestalten die Kommunalpolitik.
Kommen wir zu einem schwierigen Thema: In vielen Großstädten fehlt Wohnraum. Gibt es einen Widerspruch zwischen bezahlbarem Wohnraum und Grünflächen?
Nein. Wohnraum und Grünflächen müssen sogar zusammen gedacht werden, denn besonders in Metropolräumen sind Stadtnatur und soziale Gerechtigkeit auf das Engste miteinander verknüpft. Wo Städte dicht besiedelt sind und es wenig grün gibt, leben oft Menschen mit geringerem Einkommen. Sie sind somit auch einer höheren Gesundheitsbelastung ausgesetzt.
Aktuell wird leider zu viel Fläche für Siedlungen in Anspruch genommen und das auf Kosten von Grün- und Freiflächen. Hier ist die Politik gefragt, dafür zu sorgen, dass bezahlbares Wohnen und der Erhalt und Ausbau der grünen und blauen Infrastruktur nicht im Widerspruch stehen. Dafür braucht es eine nachhaltige und flächensparende Siedlungsentwicklung. Der BUND will den Flächenverbrauch auf Netto-Null reduzieren, das heißt: Keine neuen Flächen mehr verbrauchen. Die Entsiegelung ist nebenbei ein wichtiger Schritt, um Städte an den Klimawandel anzupassen.
Gutes Stichwort: Wenn es darum geht, wie wir unsere Städte fit für den Klimawandel machen können, fällt häufig der Begriff "Schwammstadt". Was ist das eigentlich?
Eine Schwammstadt hat viel mit der gerade genannten Entsiegelung zu tun. Sie sorgt für ein nachhaltiges Regenwassermanagement in der Stadt. Durch den fortschreitenden Klimawandel kommt es zu häufigeren Starkregenereignissen. Aufgrund der hohen Versiegelung in den Städten durch asphaltierte Flächen, Gebäude, wasserundurchlässige Pflasterungen usw. fließen große Mengen Wasser unkontrolliert in die Kanalisation, die nicht für solche Abflüsse ausgelegt ist.
Beim Schwammstadtkonzept halten Begrünung und unversiegelte Flächen Wasser zurück und speisen es wieder in das Grundwasser ein. So werden Hochwasserereignisse verringert und durch die Begrünung wird die Stadt heruntergekühlt. Durch die Speicherung von Regenwasser, bodenverbessernden Maßnahmen und die kontinuierliche Versorgung der städtischen Vegetation mit Wasser wird die Stadt klimaresilient.
Wie genau kann ich mir das vorstellen? Sind dann alle Ampeln, Laternen und Hauswände umschlungen von Kletterpflanzen?
Eher nicht. Es gibt dann zum Beispiel sogenannte Regengärten, die Regenwasser sammeln, versickern und verzögert ableiten. Eine geeignete Bepflanzung kann sogar dabei helfen, das Regenwasser zu filtern. Auch mit durchlässigen Belägen wie Schotterrasen oder Fugenpflaster wird eine Teilentsiegelung erzielt. Besonderes Potenzial haben Gründächer, die je nach Aufbau und Art der Dachbegrünung Regenwasser aufnehmen und durch Verdunstung wieder abgeben, der Kühlungseffekt ist hier besonders gut. Ganz nebenbei binden die Pflanzen natürlich auch eine Menge Treibhausgase.
Okay, das klingt alles sehr vielversprechend. Aber nehmen wir an, ich möchte, dass meine Stadt jetzt grüner wird. Wie fange ich an?
Am besten im eigenen Garten, Vorgarten oder Balkon: keine Schottergärten sondern insektenfreundliche, naturnahe Bepflanzung. Gerne beim Rasen mähen auch ein paar "Inseln" stehen lassen, für Igel und Eidechsen Ast- und Steinhaufen anlegen, Wildbienen nisten auch gerne in Stängeln und Vögel lieben Hecken und Sträucher aus Schlehe, Weißdorn und Holunder. Je wilder, desto besser.
Auch im öffentlichen Grün kann Hand angelegt werden: Bepflanzen Sie die Baumscheiben, also die Erde rund um den Baumstamm. Das verbessert die Bodenqualität, hilft den Bäumen und kann auch Insektenweide sein. Gibt es in Ihrer Straße eine Freifläche, die Sie gerne Insekten- und tierfreundlich gestalten möchten? Schließen Sie sich mit Nachbar*innen zusammen, fragen Sie bei Ihrer Kommune um Erlaubnis. Und auch viele BUND- Gruppen übernehmen die Pflege einiger städtischer Flächen im Einvernehmen mit den Behörden. Fragen Sie Ihre Gruppe vor Ort, ob Sie mithelfen können.
Kommen wir zuletzt noch zu unserer Bildfrage: Stadtbäume im Sommer gießen – ja oder nein?
Stadtbäume zu erhalten, ist eine der wichtigsten Klimaanpassungsmaßnahmen. Aber die meisten Bäume haben in der Stadt mit Bodenverdichtung und zu kleinen Baumscheiben zu kämpfen. Insbesondere junge Bäume oder Flachwurzler kommen nicht an das Grundwasser heran. Sie brauchen vor allem im Sommer zusätzliches Wasser.
Wer dem Stadtbaum vor der Haustür helfen möchte, kann die Arbeit der Kommunen beim Gießen unterstützen: Es empfiehlt sich, ausgewachsene Bäume einmal pro Woche mit acht bis zehn Zehn-Liter-Eimern zu gießen, bevorzugt mit Regen- oder Brauchwasser. Die Baumscheibe sollte erst ein wenig angefeuchtet werden, damit die Erde das Wasser besser aufnimmt. Gießringe aus Erde um den Baum und eine Bepflanzung können das Wasser länger in Baumnähe halten.
Liebe Afra, vielen Dank für das Gespräch!
Sie haben Fragen zu Umwelt- und Naturschutzthemen, die wir unseren Fachreferent*innen stellen sollen? Dann schreiben Sie uns gerne an internet(at)bund.net.