COP26: "Mit Krediten setzen wir die Muster der Kolonisierung fort"

13. November 2021 | Klimawandel, Bundestagswahl

Der globale Norden kauft sich frei und schiebt die Verantwortung dem Süden zu, meint die internationale Klimapolitik-Expertin Susann Scherbarth. Im Interview schildert sie ihre Eindrücke von der UN-Klimakonferenz in Glasgow.

COP26: Demonstrierende auf der UN-Klimakonferenz COP26: Jugendliche Demonstrierende auf der UN-Klimakonferenz  (UNFCCC / Kiara Worth)

Beim BUND arbeiten zahlreiche Expert*innen rund um die Themen Klima-, Umwelt-, und Naturschutz. Oftmals ist die Arbeit komplex und schwer nachzuvollziehen. In diesem Interviewformat fühlen wir den Fachreferent*innen auf den Zahn und stellen Ihnen auch die Fragen, die unsere Community brennend interessieren. In unserer dritten Ausgabe sprechen wir mit der BUND-Expertin für Internationale Klimapolitik Susann Scherbarth über die Weltklimakonferenz in Glasgow.

BUND-Redaktion: Hallo Susann, du warst vergangene Woche auf der Weltklimakonferenz in Glasgow. Wie war die Stimmung vor Ort?  

Susann Scherbarth: Es war sehr bewegend, die weltweite Klimabewegung wiederzusehen. Ich habe mit mehr als 150.000 Menschen, Freunden, Kollegen und Gleichgesinnten, auf den Straßen von Glasgow demonstriert und Klimagerechtigkeit eingefordert. Ganz besonders berührt hat mich ein Treffen mit vielen indigenen Völkern aus Nord-, Südamerika und Asien. Die Menschen berichteten aus ihren Territorien – sei es in Mexiko, Uruguay oder Indien – und deren Ausbeutung und Zerstörung. Das sind die Menschen, die keinerlei Schuld an der Klimakrise haben, die Konsequenzen jedoch am stärksten spüren. 

Die Konferenz stand zu Beginn unter einem schlechten Stern: Die Weltgemeinschaft steuere auf eine Erderwärmung von 2,7 Grad vermeldete die UN-Klimaagentur im September. Mittlerweile schreiben mehrere Medien, die Beschlüsse führen uns auf einen 2,4 Grad-Pfad. Der große Durchbruch blieb also aus? 

Viele Industrieländer haben luftleere politische Versprechen abgegeben und werden dafür gefeiert. Aber diese Länder werden den 1.5 Grad Test in Wirklichkeit nicht bestehen. Dafür sind ihre Klimaambitionen vor Ort viel zu schwach. Die Staaten des Globalen Südens werden ebenfalls nicht ausreichend finanziell unterstützt, um sich anzupassen und angemessen entwickeln zu können. Zudem gibt es in den Beschlüssen viele Schlupflöcher, die die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens massiv erschweren und Emissionen eher ansteigen lassen werden.

Warum das?

Die Industriestaaten setzen zunehmend auf CO2-Märkte als Reduktionsmaßnahme - sowohl neue als auch alte aus dem Kyotoprotokoll. Hört sich magisch und gut an, aber es funktioniert nicht. Stattdessen kommt noch ein anderes Problem dazu: dass jetzt auch die Natur als Ware verkauft werden soll. Davon profitiert der ohnehin reiche Norden. Er kauft sich frei, emittiert weiter Treibhausgase und die Verantwortung wird auf den Globalen Süden abgeschoben. Das führt nicht zu wirklichen Emissionsreduzierungen.

Ein paar vermeintlich positive Meldungen gab es dennoch: Mehr als 100 Staaten haben beschlossen, gegen Abholzung und die fortschreitende Entwaldung vorzugehen. Wie ist dieses Versprechen einzuschätzen?

Es gab am Anfang der Klimaverhandlungen viele politische Ansagen. Sie sind sehr wichtig und klingen gut, aber ob sie wirklich zu den notwendigen Emissionsreduktionen führen, bezweifle ich stark. Der Teufel steckt wie immer im Detail. So gab es beispielsweise im Rahmen der "New York Declaration" und der "Bonn Challenge" (Anm. d. Red.: Beschlüsse auf den UN-Konferenzen 2014 und 2017) bereits ein ähnliches Versprechen, das jedoch nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt hat.

Was ist mit dem Bekenntnis von 190 Staaten in den 30er Jahren aus der Kohle auszusteigen? 

Ein weiteres Versprechen, das zu Beginn der Konferenz gemacht wurde. Jedoch waren die Zusagen nicht unbedingt neu. Vorherige Zustimmungen wurden mit eingerechnet und als neu verkauft. Das ist ein Paradebeispiel für das, was hier als Erfolg angepriesen wird. Ja, es gibt deutliche Zeichen in den Verhandlungen, dass die fossile Industrie sich einem Ende nähert, wie zum Beispiel mit der BOGA (Beyond Gas and Oil Alliance). Solange die Industrievertreter*innen jedoch direkt mit am Verhandlungstisch sitzen, kann es keinen wirklichen Wandel geben. Es wurde bekannt, dass etwa 500 von ihnen bei der COP dieses Jahr mit dabei waren. Die Gruppe der Industrielobbyist*innen ist also größer als jede offizielle Delegation eines Landes.

Immerhin: Es wurde zum ersten mal Kohle als Verursacher mit in das Abschlussdokument ("Glasgow Klimapakt", Anm. d. Red.) genommen. Leider hat es die Staatengemeinschaft nicht geschafft, sich auf alle fossilen Brennstoffe zu einigen und auch nicht darauf, dass der reiche Norden vorlegen muss. 

Auf der Konferenz wurde eine Oxfam-Studie vorgestellt. Demnach verursachen Superreiche zigfach mehr Treibhausgase als der Rest der Menschheit. Was bedeutet das für die Klimapolitik?

Es zeigt deutlich, wie wichtig es ist, den Wandel gleichzeitig sozial, ökologisch und ökonomisch anzugehen. Nicht erst in 30 Jahren sondern innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre. Wir sehen überall auf der Welt wachsende Diskrepanzen zwischen arm und reich. Die Corona-Gesundheitskrise hat gezeigt, was uns auch in der Klimakrise ereilt: Die Menschen und Staaten, die keine Ressourcen haben, um sich zu schützen, sind am stärksten betroffen, leiden am meisten und werden am wenigsten unterstützt.

100 Milliarden US-Dollar sollen die reichen Industriestaaten ärmeren Ländern pro Jahr für die Bekämpfung des Klimawandels zahlen. Dieses Ziel wird wahrscheinlich erst 2023 eingehalten. Reicht das?

Die versprochenen Milliarden sind bisher noch nicht erreicht worden. Zudem wissen wir bereits, dass diese Zahl für die echten Bedürfnisse der Länder des Globalen Südens viel zu niedrig ist. Um eine nachhaltige Entwicklung in Würde und Respekt zu verfolgen, reicht es nicht. Die jetzige Finanzvereinbarung wurde bis 2025 abgeschlossen, was danach passiert und wieviel Geld dann fließen soll, ist noch unbekannt. Die COP26 hat es nicht geschafft ausreichend Geld für die Anpassung und für die Kompensation von Schäden und Verlusten durch die Krise bereitzustellen.

"Deutschland hat zwar Geld auf den Tisch gelegt, aber auch hier muss genau hingesehen werden. Denn das Geld muss neues Geld sein und darf nicht in Form von Darlehen und Krediten gegeben werden. Kredite schaffen neue Abhängigkeiten, gehen häufig mit politischen Bedingungen einher und müssen meist mit Zinsen zurückgezahlt werden. So fließt letztlich mehr Geld aus dem globalen Süden in die ohnehin reicheren Länder. Mit Krediten setzen wir die Muster der Kolonisierung fort."

Schauen wir noch auf die deutsche Politik. Die Grünen haben sich beschwert, dass SPD und FDP beim Klimaschutz bislang bremsen. Was erwartest du von der künftigen Bundesregierung beim internationalen Klimaschutz? 

Deutschland muss einen fairen Beitrag zum 1.5 Ziel leisten. Die Grünen haben die einmalige Chance, sich für das einzusetzen, was die Menschen in Deutschland und anderswo klar fordern: Klimagerechtigkeit. Die kommende Regierung muss ein Deutschland formen, dass auch international stark anerkannt ist und dem vertraut wird. Die anderen Staaten müssen Deutschland als Vorreiter sehen im Kampf gegen die Klima- und soziale Krise.

Kommen wir abschließend noch zu unserer Bildfrage: Was fällt dir hierzu (siehe Bild oben) ein?

Das gibt mir große Hoffnung. Die Protestierenden auf der COP waren jung und alt und vielfältig. Besonders die BUNDjugend und andere junge Menschen zeigen täglich, welche Zukunft wir brauchen und erreichen können. Der zivile Protest ist enorm wichtig, solange die erwählten Politikstrukturen nicht im Sinne der Menschheit handeln, rufen wir: Power to the People. Climate Justice Now. (lacht) 

Susann, vielen Dank für die Eindrücke und das nette Gespräch!

Sie haben Fragen zu Umwelt- und Naturschutzthemen, die wir unseren Fachreferent*innen stellen sollen? Dann schreiben Sie uns gerne an internet(at)bund.net.

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