Zeitfenster 2030: Eine erfolgreiche Diät

11. August 2017 | Klimawandel, Energiewende, Nachhaltigkeit, Suffizienz

Eine nachhaltige Entwicklung benötigt Weitblick. Im Rahmen unserer Serie "Zeitfenster 2030" versetzen sich Gastautoren in das Jahr 2030. Diesmal wagt der Umweltjournalist und Autor Bernhard Pötter einen Blick in die Zukunft des Klimaschutzes.

Geburtstagskuchen. Foto: serenestarts / Pixabay.com  (serenestarts / Pixabay.com)

55 und noch viel zu tun

von Bernhard Pötter 

Es war das erste Mal seit Langem, dass Jutta Jäger an ihrem Geburtstag kein Problem mit einer Zahl hatte: "Glückwunsch zur 55!" stand auf der Eierlikörtorte, die die Bundesministerin für <link klimawandel>Klimaschutz und <link energiewende>Energiepolitik von  ihrem Bürochef überreicht bekam. Es gab etwas zu feiern: den 55. Geburtstag der bündnisgrünen Ministerin, um den sie sich nie gekümmert hatte. Und auch die 55, für die sie so lange gekämpft hatte. "Minus 55 Prozent: Ziel erreicht!" stand in dicken grünen Lettern auf dem schwarzen Einband des Gutachtens. "Das klingt wie eine erfolgreiche Diät", sagte Jäger und lachte. "Und genau das ist es ja auch." Deutschland würde sein selbstgestecktes Klimaziel stolz bei der Konferenz verkünden können, die nächste Woche in Kalkutta stattfand. Ihr Rechner warf ein Bild an die Wand. "Glückwunsch aus der Lausitz!" stand auf einem Plakat, das Arbeiter in Helmen und schweren Stiefeln vor einer riesigen Werkhalle zeigte. Seit der norwegische Stahlkonzern Hydra seine Aluminiumschmelze in die Lausitz gebaut hatte, florierte nicht nur der Tourismus im Spreewald. Es war eine richtige Entscheidung gewesen, 2022 die großen Stromleitungen mit dem fast kostenlosen Nordseestrom in den alten Tagebauregionen enden zu lassen: Grüner Strom im Überfluss hatte halbwegs saubere Industrien angesiedelt. Neben der Aluschmelze stand das neue VW-Werk für Geländewagen mit Feststoffbatterie.

Klimaziele erreicht

Jäger blätterte in ihrem Geschenk. Die Erfolge waren deutlich: Klimaziele erreicht, viele Regionen dank Solaranlagen auf den Dächern mit autarker Stromerzeugung. Die europäische Solarfabrik im französischen Cadarache baute neue Speicher, die 50 Prozent Ökostrom im Netz garantierten. Sonnenstrom aus Spanien, Wasserkraft aus Norwegen und Windstrom aus der Nordsee flossen zusammen. Der Slogan der EU-Kommission »Green EUtricity«  hatte per Investitionsprogramm die Arbeitslosigkeit bekämpft und mit billigem Strom viele Betriebe nach Europa zurückgelockt. Nicht ganz freiwillig. Die Lage etwa in Bangladesch war so unruhig geworden, dass immer weniger Firmen dort noch produzieren wollten. Nach dem Verlust weiter Küstenstreifen waren 30 Millionen Menschen in die Städte gezogen. Die Klimakrise ließ den Meeresspiegel steigen und hatte den Monsun in Indien verändert.

Trotz aller Erfolge war die Staatengemeinschaft auf dem Weg in eine 2,5-Grad-Welt, warnte der aktuelle Sachstandsbericht des UN-Klimarats. Jäger dankte ihren Mitarbeitern und zog sich auf ihren Massagesessel zurück. Bei der Klimakonferenz in Kalkutta würde es wie immer Streit geben. Nicht mehr darum, wer das Klima schützen solle. Das hatte sich erledigt, seit China die  Welt mit billigen Solarpanels überflutete und die USA unter der jungen Präsidentin Chelsea Clinton 2024 begonnen hatte, die coolsten E-Mobile der Welt zu verkaufen. Nein, jetzt ging es darum, wo wie viel Wald für neue Biomasse-Plantagen abgeholzt wurde, welches Land die Klimaflüchtlinge aus der Südsee aufnehmen würde und wer das Patent auf die neuen Maschinen bekam, die CO2 aus der Luft waschen konnten.

Julia Jäger erlaubte sich ganz privat einen Seufzer der Halbzufriedenheit. 55  war nicht schlecht, dachte sie. Aber die 100 wollte sie schon noch erleben – und das nicht erst an ihrem hundertsten Geburtstag.

  • Was soll sich Ihrer Meinung nach bis 2030 verändern? Wie wollen wir in dreizehn Jahren leben? Schreiben Sie Ihre Ideen an: jenny.blekker(at)bund.net

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