Interview: 1161254 Stimmen für eine Zukunft ohne Pestizide

19. Januar 2023 | Umweltgifte, Landwirtschaft, Naturschutz, Schmetterlinge, BUND

Pestizide bedrohen Existenzen: Wenn Ökosysteme nachhaltig geschädigt werden, sieht auch die Zukunft von Landwirt*innen düster aus. Die europäische Initiative „Save Bees and Farmers“ stemmt sich mit mehr als einer Millionen Unterstützer*innen gegen eine zu kurzsichtige Agrarlobby. Zum aktuellen Kampf in der EU haben wir André Prescher-Spiridon, BUND-Experte für EU-Politik, befragt.

André Prescher-Spiridon, BUND-Experte für EU-Politik

Warum ist es wichtig, den Kampf gegen Pestizide auf europäischer Ebene zu führen?

Weniger Pestizide in Ökosystemen sind dringend notwendig, um Biodiversität, Grundwasser und die öffentliche Gesundheit zu schützen. Die wissenschaftliche Faktenlage ist klar und zeigt, dass diese Stoffe Bestäuber und andere Ökosystemleistungen massiv schädigen. Statt die Nahrungsmittelproduktion zu sichern, gefährden Pestizide unsere Ernährungssicherheit.

Ein Handeln auf europäischer Ebene ist darum wichtig, um zu vermeiden, dass innerhalb des Binnenmarktes ein Ungleichgewicht entsteht. Würde Deutschland alleine vorangehen und den Pestizideinsatz einschränken, unsere EU-Nachbarn aber nicht mitmachen, wäre das ein Nachteil für die hiesige Landwirtschaft. Deswegen ist es auch gut, dass inzwischen 80% des nationalen Umweltrechts zunächst auf EU-Ebene beschlossen wird. So stellen wir sicher, dass der gesamte Kontinent mehr oder weniger an einem Strang zieht.

Die EU ist komplex – ebenso die demokratischen Instrumente. Was ist die Europäische Bürgerinitiative (EBI)?

Mit einer EBI haben die Bürger*innen die Möglichkeit, politische Forderungen direkt in die EU, insbesondere an die EU-Kommission und das europäische Parlament zu tragen. Dieser Mechanismus wurde mit dem Lissabon-Vertrag 2009 eingeführt. Bisher haben nur wenige Initiativen die Hürde von 1 Million Unterschriften überwunden. Umso bedeutsamer ist der Erfolg von „Save Bees and Farmers“ und zeigt, dass das Thema tief in der Gesellschaft verankert ist.

Leider ergibt sich aus diesem Erfolg keine rechtliche Verpflichtung für die EU zu handeln, anders als bei Volksbegehren auf Landesebene. Allerdings hat die EU-Kommission mit dem Green Deal selbst ein Reduktionsziel von 50% bis 2030 vorgeschlagen. Das wäre ein erster wichtiger Schritt. Der Lobbydruck durch die Industrie ist jedoch enorm.

Unglaubliche 1.161.254 Personen haben unterschrieben. Wofür eigentlich?

Konkret fordert die EBI eine schrittweise Abschaffung des Einsatzes von chemisch-synthetischen Pestiziden bis 2035. Gleichzeitig fordern wir eine Stärkung der Biodiversität in der Agrarlandschaft durch geeignete Maßnahmen wie mehr Rückzugsflächen. Das würde der Natur helfen, aber auch natürliche Regulierungskreisläufe und Nützlinge fördern, von denen am Ende wieder die Landwirtschaft profitiert. Bei dieser Transformation möchten wir die Landwirt*innen auf keinen Fall alleine lassen. Unsere dritte Forderung sieht deswegen vor, dass etwa die Mittel aus der EU-Agrarpolitik, immerhin fast 60 Mrd.€ im Jahr, entsprechend in die richtigen Maßnahmen fließen. Statt weiter per Gießkanne das Geld in der Fläche zu verteilen, braucht es eine gezielte Förderung von agrarökologischen Praktiken, sowie unabhängige Beratungsnetzwerke für die Landwirt*innen.

Wie geht’s weiter und was kann man erwarten?

Nach einem ersten Gespräch mit der-EU Kommission folgt nun eine Anhörung der Initiatoren der EBI im Europäischen Parlament. Gleichzeitig läuft der erwähnte Gesetzgebungsprozess zur Pestizidreduktion. Hier sind nun Europäisches Parlament und der Ministerrat am Zug. Leider blockieren die Mitgliedstaaten und konservative Kreise im Parlament auf Drängen der Agrarlobby die bereits eh zu zaghaften Vorschläge der Kommission. Darum ist es nun umso wichtiger zu zeigen, dass die Bürger*innen in der EU mehr statt weniger Ambition möchten.

Weit über 100 Partnerorganisationen stehen hinter dem Vorhaben. Wie schafft man es überhaupt, sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu verständigen?

Viel Abstimmung, viele Zoom Meetings, Telefonate und persönliche Treffen. Die Dringlichkeit des Themas war ausschlaggebend, dass so viele unterschiedliche Partner gefunden werden konnten. Biodiversitätskrise und Klimakrise sind so allgegenwärtig, dass wir schnell handeln müssen. Auch, dass große Verbände wie der BUND sich angeschlossen haben, hat geholfen die Mobilisierung voranzutreiben. Auf dem europäischen Festland sind wir einer der mitglieder- und finanzstärksten Umweltverbände. Die EBI ist ein gutes Beispiel, welche Verantwortung und Potential Gruppen wie der BUND haben. Darum ist es unerlässlich, dass wir uns verstärkt dort einbringen und der europäischen Zivilgesellschaft eine starke Stimme geben.

Hintergrund

André Prescher-Spiridon ist studierter Landschaftsplaner und Wirtschaftswissenschaftler. Seit 2021 vertritt er den BUND auf europäischer Ebene und arbeitet u.a. zur EU Landwirtschafts- und Naturschutzpolitik.

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