Beim BUND arbeiten zahlreiche Expert*innen rund um die Themen Klima-, Umwelt-, und Naturschutz. Oftmals findet die Arbeit hinter den Kulissen statt. In diesem Interviewformat stellen wir den BUND-Expert*innen die Fragen, die unsere Leser*innen interessieren. In dieser Ausgabe sprechen wir mit Tom Selje, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Energiepolitik, über steigende Energiekosten und die Pläne der Politik für den kommenden Winter.
BUND-Redaktion: Hallo Tom, Bundeskanzler Olaf Scholz hat auf der Bundespressekonferenz gesagt, er glaube nicht, dass es im Herbst und Winter zu Unruhen aufgrund steigender Energiekosten kommen wird. Bist du ähnlich optimistisch?
Tom Selje: Das hat weniger mit Glauben zu tun als mit Taten. Die Bundesregierung und Bundeskanzler Scholz haben es selbst in der Hand, soziale Verwerfungen abzumildern. Die Bundesregierung nimmt jedoch massive, leistungslose Kriegsprofite von Mineralölunternehmen wie Wintershall DEA oder fossilen Energiekonzernen wie RWE hin. Gleichzeitig wird eine pauschale Gasumlage eingeführt, ohne dass es eine verlässliche Entlastungsperspektive gibt. Ich kann die Frustration der Bürger*innen verstehen. Dennoch muss es darum gehen, diesen Frust in konstruktiven Protest zu überführen.
Schon jetzt sind die Energiepreise deutlich gestiegen und die angesprochene Gasumlage belastet viele Haushalte zusätzlich. Werden die Energiepreise im Herbst und Winter trotzdem noch weiter steigen?
Die Marktpreise von globalen Gütern sind quasi unmöglich vorherzusagen. Deutschland ist abhängig von Wohlwollen und Willkür der Diktatoren und Autokraten aus Russland, Katar, Saudi-Arabien oder Aserbaidschan. Die Belastung für Haushalte wird weiter hoch sein und wir müssen uns auf bittere Nachzahlungen einstellen.
Damit wir gut durch die kalte Jahreszeit kommen, muss der Energieverbrauch notgedrungen weiter gesenkt werden. Welche Sektoren haben das größte Einsparpotential?
Das meiste Erdgas verbraucht die chemische Industrie mit 15% des Gesamtverbrauchs in Deutschland. Allen voran die Produktion von Plastik und synthetischem Stickstoffdünger, aber auch die Herstellung von Metallerzeugnissen, Glas und Katalysatoren für Autos sind signifikante Abnehmer. Hier muss die Industrie einsparen, auch durch klare gesetzliche Vorgaben.
Daneben ist die Beheizung von Wohn-, Büro-, und öffentlichen Gebäuden zu nennen. Bevor wir hier einsparen, müssen wir allerdings unterscheiden: Energie für Luxusgüter wie private Pools und Jets bereitzustellen, ist Verschwendung. Familien und Senioren im Winter mit Wärme zu versorgen, hat hingegen oberste Priorität. Maßnahmen, die bei privaten Haushalten ansetzen, müssen also mit Vorsicht und sehr gezielt getroffen werden.
Wie will die Politik verhindern, dass es in diesem Winter zu Gasengpässen kommt?
Die bisherige Kommunikation des BMWK wirkte eindeutig: In die Verantwortung werden vor allem Haushalte und Einzelpersonen genommen. Das trifft Menschen mit geringem Einkommen hart. Die jetzt beschlossene Gasumlage verschlimmert die Situation und ist ein Geschenk an die Energieversorger, deren wirtschaftliche Gesamtsituation berücksichtig werden müsste. Hier zeigt sich: Es fehlt die nötige Ausgewogenheit in der Krisenbewältigung. Mehrkosten dürfen nicht einfach auf Verbraucher*innen umgelegt werden. Vorher muss geprüft werden, ob ein Unternehmen an anderer Stelle sparen kann und ob ein Unternehmen überhaupt noch ohne Subventionen profitabel ist.
Und beim Strom?
Da erleben wir gerade die Reaktivierung von Kohleblöcken. Das ist eine klimapolitische Katastrophe und Symptom von 16 Jahren liberal-konservativer Energiepolitik. Es ist letztlich das Versagen der deutschen und nebenbei der französischen Energiewende. Französische Atomkraftwerke fallen wegen der durch den Klimawandel verstärkten und häufiger auftretenden Hitzewellen immer öfter aus, weil es an Kühlwasser fehlt. Frankreich muss also unseren dreckigen Kohlestrom importieren.
Und in Deutschland rettet die Bundesregierung den fossilen Konzern Uniper, statt einen Paris-konformen Ausbaupfad für Erneuerbare Elektrizität, einfacheren Zugang zu Dachsolaranlagen für Haushalte oder Windräder in Bayern zu schaffen.
Wie sieht es aus mit Atomkraft? Politiker der Union werden nicht müde, sie ins Spiel zu bringen. Ist der Streit um die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerke eine Scheindebatte?
Ja, absolut. Der Atomausstieg als Errungenschaft der sozial-ökologischen Bewegung ist beschlossene Sache. Ein Wiedereinstieg wäre ein wirtschaftliches und umwelttechnisches Desaster und für die Lösung der derzeitigen Energiekrise völlig unzureichend. Da helfen auch keine medienwirksamen Rundgänge durch marode Industrieanlagen. Aufwand und Nutzen stehen hier in keinem akzeptablen Verhältnis. Außerdem kommt z.B. das Uran des bayrischen Atomkraftwerkes Isar 2 zum Teil aus Russland. Der BUND hat sich hierzu bereits klar positioniert.
Was können Verbraucher*innen tun, um Energie zu sparen ohne frieren zu müssen?
In der Tat funktionieren die üblichen Energiespartipps: richtiges Lüften, einen hydraulischen Abgleich der Heizungen durchführen lassen, Duschen statt Baden, Licht aus in Räumen in denen sich nicht aufgehalten wird, den Router nachts ausstellen und so weiter. Der BUND hat beispielsweise mehrere Broschüren hierzu herausgegeben. Außerdem kann die Verbraucherzentrale individuelle Beratung anbieten.
Welche Forderungen stellt der BUND noch an die Politik?
Wir brauchen weitere Maßnahmen um uns jetzt und in Zukunft weniger abhängig von fossilen Energieimporten aus autokratischen Ländern zu machen. Ganz konkret: Die Politik muss den Umbau und Reduktion von erdgaslastiger Produktionen von Plastik und synthetischen Stickstoffdüngern einleiten. Und stattdessen brauchen wir mehr Förderung von Mehrwegsystemen und ökologischer Landwirtschaft.
Und was die Entlastung der Bürger*innen betrifft?
Es ist jetzt dringend nötig, dass durch eine Wohngeldreform und eine deutlich höhere Grundsicherung den einkommensschwachen Haushalten geholfen wird. Bürger*innen sollten außerdem unbedingt prüfen, ob sie Wohngeld oder den Heizkostenzuschuss bekommen können. Viele Haushalte sind schon heute am Limit dessen was sie noch einsparen können, ohne ein Leben in Würde aufgeben zu müssen. Die Existenzsorgen sind berechtig und die Politik muss den Menschen dringend helfen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Sie haben Fragen zu Umwelt- und Naturschutzthemen, die wir unseren Fachreferent*innen stellen sollen? Dann schreiben Sie uns gerne an internet(at)bund.net.