Berlin. Zahlreiche Chemikalien gelten als ordnungsgemäß registriert und werden in großen Mengen auch in Alltagsprodukten eingesetzt – trotz fehlender Sicherheitsdaten zu ihrem Gefährdungspotential. Das ist das Ergebnis einer monatelangen Auswertung von Daten des Bundesamtes für Risikobewertung (BfR) durch den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) mit Unterstützung des European Environmental Bureau (EEB). Aus den Rechercheergebnissen ergibt sich ein dringend notwendiger Handlungsbedarf: Großunternehmen verstoßen gegen das EU-Chemikalienrecht (REACH-Verordnung) und gefährden damit Mensch und Umwelt. Der bisherige Überprüfungsmechanismus ist unzureichend und wird dem in der EU geltenden Vorsorgeprinzip nicht gerecht.
Fünf der zehn größten Chemieunternehmen der Welt gehören zu den säumigen Firmen, so BASF, Dow Chemicals, SABIC, Ineos und ExxonMobil. Weitere bekannte Namen in Deutschland sind das Pharmaunternehmen Merck, die Bayer AG, KiK Textilien, Woolworth sowie die Energieriesen RWE und Vattenfall. "Unternehmen sind nach REACH gesetzlich verpflichtet nachzuweisen, dass ihre Stoffe keine Gefahr für Menschen und Umwelt darstellen", sagt der BUND-Experte für Chemiepolitik, Manuel Fernández. "Doch das Prinzip ‚Keine Daten, kein Markt‘ funktioniert nicht. Als Verbraucherinnen und Verbraucher wissen wir nicht, ob die Produkte, die wir kaufen, sicher sind."
Fernández fordert: "Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) muss umgehend die Namen aller registrierten Stoffe bekanntgeben, für die keine vollständigen toxikologischen und ökotoxikologischen Daten vorliegen. Außerdem ist es notwendig, dass die ECHA die Namen aller Unternehmen veröffentlicht, die nicht gesetzeskonforme Registrierungsdossiers für ihre Chemikalien eingereicht haben." Verbraucherinnen und Verbraucher sollten die Namen der Unternehmen kennen, die gegen die Vorgaben der EU-Chemikalienverordnung REACH zum Schutz von Mensch und Umwelt verstoßen.
Die betreffenden Stoffe finden sich im Essen, im Wasser, in Alltagsprodukten wie Spielzeugen oder Kosmetika, in unseren Wohnungen, am Arbeitsplatz und selbst in abgelegenen Gegenden fernab von Industriestandorten. Die Gefahr dabei: Mehr als 300 Chemikalien, die es zu Zeiten unserer Großeltern noch gar nicht gab, werden heute im menschlichen Körper gefunden. Die tägliche Belastung mit einem Mix an schädlichen Stoffen wird unter anderem mitverantwortlich gemacht für hormonell bedingte Krebsarten, Unfruchtbarkeit, Immunschwäche, Lern- und Verhaltensstörungen bei Kindern, Diabetes und Übergewicht.
Die Recherche des BUND basiert auf Daten des BfR, die der Umweltverband auf Grundlage des Umweltinformationsgesetzes im März 2018 erhielt. Die Behörde übermittelte eine Liste mit Nummern nach dem europäischen Registrierungsverfahren für 941 Stoffe. Diese Liste nutzte der BUND zur Ermittlung der Stoffe und der sie registrierenden Firmen über die ECHA-Datenbank. Die mit Abstand meisten Verstöße gab es in Deutschland, gefolgt von Großbritannien und Frankreich.
Nach Angaben der ECHA werden die vom BUND identifizierten Chemikalien in Mengen von jährlich 12 bis 121 Millionen Tonnen in Europa gehandelt. Dennoch ist die BUND-Liste nur die Spitze des Eisberges. "Die ECHA und die für die REACH-Umsetzung zuständigen nationalen Behörden müssen die Chemikaliendossiers der Unternehmen endlich wirksam prüfen und wo nötig Sanktionen verhängen“, betont Fernández. Bislang bliebe es bei folgenlosen Abmahnungen. Dabei könne die ECHA als ausführende Behörde Chemikalien zulassen und Zulassungen widerrufen, habe dies aber bisher lediglich bei vier von über 20.000 Registrierungen getan, die seit dem Inkrafttreten von REACH im Jahr 2007 erteilt wurden. Fernández: "Zahlreiche Chemie-Unternehmen haben jahrelang gegen geltendes Recht verstoßen und sind damit durchgekommen. Damit sie die REACH-Verordnung ernst nehmen, muss sie auch konsequent umgesetzt werden."
Mehr Informationen
- zur BUND-Recherche (PDF)
- Excel-Tabelle mit den Daten zur Recherche
- zu Chemikalienpolitik
- Pressekontakt: Manuel Fernández, BUND-Experte für Chemiepolitik, Mobil: 01 51 / 19 33 62 10, manuel.fernandez(at)bund.net, bzw. Katrin Matthes, BUND-Pressereferentin, Tel.: (030) 2 75 86-531, presse(at)bund.net