Die Debatte um den Wolf ist aufgeheizter denn je: Aktuelle Abschüsse erhitzen die Gemüter. Vorschnelle politische Entscheidungen und populistische Forderungen machen einen sinnvollen Umgang nahezu unmöglich. Dabei verhält sich die Mehrheit der Tiere unauffällig. Und bereits heute ist es rechtlich möglich, auffällige Tiere abzuschießen. Allerdings fehlen hier beim Wolf einheitliche, rechtssichere Kriterien, die bundesweit in der Praxis umgesetzt werden.
Konzepte wie wolfsfreie Zonen, feste Obergrenzen der Population oder willkürliche Quoten für Abschüsse lösen keine Probleme. Sie stellen nicht sicher, dass genau der Wolf getötet wird, der tatsächlich Tiere reißt. Ungezielte Abschüsse können sogar das Risiko für Angriffe erhöhen, indem sie stabile Rudelstrukturen zerstören oder Raum für die Einwanderung fremder Wölfe öffnen, die beispielsweise noch keinen Respekt vor stromführenden Zäunen haben. Nicht zuletzt widersprechen diese Konzepte dem geltenden deutschen und europäischen Artenschutzrecht.
Außerdem ist extensive Weidetierhaltung, wie sie viele Schäferinnen und Schäfer praktizieren, in ganz Europa unersetzbar und die tiergerechteste sowie ökologisch nachhaltigste Form der landwirtschaftlichen Tierhaltung. Zahlreiche bedrohte Lebensräume und Arten sind in ihrer Komplexität wirtschaftlich vertretbar nur durch Beweidung zu erhalten.
Der Wolf ist aber nicht für die grundlegende Krise der erwerblichen Weidetierhaltung verantwortlich. Schuld daran sind untragbare wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen. Seit Jahren wird die Situation der Betriebe immer dramatischer, etwa in der Rinderhaltung – besonders aber in der Schafhaltung.
Extensive Weidetierhaltung unterstützen
Ihre Leistungen an öffentlichen Gütern in Natur und Umwelt wird nicht auskömmlich honoriert: Für viele Schäferinnen und Schäfer geht es mittlerweile um ihre Existenz. Der Wolf ist dabei vielerorts eine zusätzliche Belastung, die die bereits schwierige Lage der Betriebe untragbar machen kann. Er ist aber auch eine seelische Belastung. Dabei steht weniger die Angst um das einzelne Tier im Vordergrund, als vielmehr die Fürsorge und Furcht um die behütete Herde als Ganzes.
Die Gesellschaft muss die extensive Weidetierhaltung dringend unterstüten. Dazu zählt ein angemessener Ausgleich für die Mehrbelastungen durch den Wolf. Im Februar haben die zuständigen EU-Kommissare für Landwirtschaft und Naturschutz in einem Brief an die EU-Staaten erklärt, dass Herdenschutz im vollen Umfang im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union förderfähig ist. Auch im europäischen Naturschutzrecht bestehen Fördermöglichkeiten. Diese Möglichkeiten müssen auf nationaler Eben endlich genutzt werden.
Die Politik hiezulande muss die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die extensive Weidetierhaltung verbessern. Das geht über eine Weidetierprämie und die Schaffung von Marktanreizen hinaus. Die Verbraucher*innen sollten sich für Milch und Fleisch von deutschen Weiden entscheiden. Statt Massentierhaltungsbetriebe großzügig zu unterstützen, muss die Gesellschaft endlich die Leistungen der Weidetierhaltung für Ernährung, Natur und Klima auskömmlich anerkennen.
Co-Existenz zwischen Wolf und Schaf schaffen
Weidetiere und Wölfe werden in Zukunft miteinander leben müssen. Es gilt nun die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass eine Co-Existenz möglich wird. Herdenschutz muss stärker in der landwirtschaftlichen Ausbildung, Beratung und Praxis berücksichtigt werden. Es braucht unbürokratische, schnelle sowie vollständige Finanzierung von Prävention und Schadensausgleich.
Das Schreiben der EU-Kommissare hat verdeutlicht, dass die vollen Kosten erstattet werden können. Jetzt müssen Bund und Länder handeln. Wir brauchen ein bundesweites Förderinstrument für den Herdenschutz in der deutschen Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz. Zudem brauchen wir ein nationales Kompetenzzentrum, mehr Innovationsförderung und flächendeckende Beratungsangebote in den Bundesländern.
Der Wolf verschärft nur das wirtschaftliche Problem der Schäferinnen und Schäfer. Mehr Abschüsse helfen ihnen nicht aus ihrer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Sie sind auch nicht geeignet, die Anzahl der Risse zu senken. Darum darf das Naturschutzrecht auch nicht pauschal mit der Schrotflinte geändert werden. Ergänzt werden müssen klare Kriterien, wann ein Wolf abgeschossen werden darf.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 6.4.2019 in der Frankfurter Rundschau