Seit über 20 Jahren existiert inzwischen dieser Rahmen für ein funktionierendes und wissenschaftlich begründetes Netzwerk besonders schützenswerter Arten und Lebensräume. Erfolgsstorys des Artenschutzes wurden inzwischen in der Natura-2000-Geschichte geschrieben.
Kranich, Wildkatze, Wolf und Biber wären heute chancenlos ohne Natura 2000.
Ansprüche von Mensch und Natur im Einklang
Ein Blick auf die Realität zeigt: Bei näherem Hinsehen sind viele Probleme der Schutzgebiete auf schlampige Planungsverfahren und die unvollständige Umsetzung der vorhandenen Richtlinien zurückzuführen.
Längst ist auch bewiesen, dass Naturschutzgebiete nicht der Tod einer klugen wirtschaftlichen Entwicklung sind, sondern dass sie zum Jobmotor für ganze Regionen werden können. Dass Schutzgebiete kein teures Hobby von Naturenthusiasten sind, sondern ein hochwirksames Instrument zum Erhalt von Lebensräumen und Arten, steht inzwischen außer Frage.
Von einem "Naturschutz unter der Käseglocke" kann auch keine Rede sein: In den meisten Schutzgebieten wird immer ein akzeptabler Ausgleich zwischen den Ansprüchen der Menschen vor Ort und den zu schützenden Tieren und Pflanzen angestrebt. Klar formulierte Schutzziele und Managementpläne für diese Gebiete gehören dazu. Sie sind gleichzeitig Handlungsleitfaden für Grundbesitzer*innen und Nutzer sowie für die öffentlichen Verwaltungen, um Nutzungen durch die Land- und Forstwirtschaft, für die Jagd, für Freizeit- und Erholungszwecke zu regeln und in Einklang mit der Pflege der Schutzgebiete zu ermöglichen.
Umweltverwaltungen am Rande der Belastbarkeit
Auch weiterhin bleibt viel zu tun: Die Anforderungen an ein intelligentes Management von Natura-2000-Gebieten sind selten erfüllt. Der rechtliche Rahmen, das zeigt sich schnell, ist dabei nicht das wesentliche Problem. Vielmehr führen fehlende personelle Ressourcen der Naturschutzverwaltungen, gekoppelt mit Zeitdruck und teilweise unnötigem Aktionismus politischer Entscheidungsträger*innen, genauso wie eine falsche Subventionspolitik vielerorts zu Fehlentwicklungen.
So wird in großem Umfang artenreiches Grünland in Mais-Monokulturen umgewandelt und immer noch werden naturnahe Buchenwälder übernutzt. Artenschutzrechtliche Vorgaben werden von Seiten der Land- und Forstwirtschaft oft ignoriert, immer noch werden Spechtbäume gefällt, Gelege und wichtige Biotope untergepflügt.
Negativ wirkt sich die fehlende Leistungsfähigkeit der Umweltverwaltungen auch auf die Planungs- und Genehmigungsverfahren für neue Projekte aus. Anstelle einer kompetenten und zügigen Bearbeitung und einer schnellen Entscheidung darüber, ob ein Projekt verwirklicht werden kann, schleppen sich die Verfahren über lange Zeiträume hin, ohne dass die Verwaltungsentscheidung am Ende die nötige Rechts- und Planungssicherheit bietet.
Alternativstandorte für Bauvorhaben werden oftmals nur halbherzig gesucht, nicht selten wurden von den Behörden keine Ausgleichsmaßnahmen für beeinträchtigte Flora-Fauna-Habitat-(FFH)-Gebiete vorgeschlagen und keine FFH-Verträglichkeitsstudien durchgeführt.
Die Naturschutzverwaltungen der Bundesländer stehen dabei vor einer doppelten Herausforderung: Einerseits unterliegen sie in Zeiten knapper Kassen und dem Ruf nach Bürokratieabbau einem starken Druck, ihre Handlungsoptionen zu verringern. Andererseits nehmen Bandbreite und Schwierigkeitsgrad der Aufgaben oftmals zu. Sparmaßnahmen, Stellenabbau und mangelnde Unterstützung haben dazu geführt, dass die Umweltverwaltungen nicht selten an der Grenze ihrer Belastbarkeit arbeiten.
Natura 2000: Mehr als zwanzig Jahre sind nur ein Auftakt!
Deutschland und Europa stehen vor einer großen Herausforderung: Glaubhafter Natur- und Artenschutz ist eine Vision, die permanenter Anstrengungen bedarf, um Wirklichkeit zu werden. Erst wenn mehr existiert als ein loses Stückwerk kleinerer oder mittlerer Schutzgebiete, erst wenn es funktionierende Verbundsysteme dazwischen gibt und diese sich zu großen Biotopnetzen erweitern, erst dann werden die Arten und Lebensräume, unsere Natur und Lebensqualität wirksam zu sichern sein.
Den Erfolg bewerten dann nicht Naturschützer*innen oder Politiker*innen, sondern allein die Arten: Dort wo der Eisvogel als schillerndes Juwel unversehrte Flussauen anzeigt, wo Wildkatze und Wolf die Qualität unserer Wälder und Naturräume belegen und wo Wildbienen und Feldlerchen Beweis für eine ökologische Landwirtschaft sind, da lässt es sich dann zu Recht gratulieren: Herzlichen Glückwunsch Europa!
Fakten zu Natura 2000
Zusammengesetzt aus 740 EU-Vogelschutzgebieten (ausgewiesen nach der EU-Vogelschutzrichtlinie von 1979, Richtlinie 79/409/EWG) und 4.606 FFH-Gebieten (ausgewiesen nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie; Richtlinie 92/43/EG).
Insgesamt haben die Natura-2000-Gebiete einen Anteil von knapp 15,4 Prozent der Landfläche, dabei entfallen 11,2 Prozent auf die Vogelschutz- und 9,3 Prozent auf die FFH-Gebiete (Zahlen Mai bzw. Februar 2013, BfN 2013). Im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit im Mittelfeld der EU-Staaten (BfN 2013).
Hinzu kommen Schutzgebiete auf Watt-, Bodden- und Meeresflächen. Von diesen marinen Schutzgebietsflächen entfallen 943.984 Hektar auf die Ausschließliche Wirtschaftszone (Meeresflächen außerhalb der 12-Seemeilenzone) Deutschlands in Nord- und Ostsee (alle Zahlen vom 31.01.2011, BfN 2013).
Ein durchschnittliches FFH-Gebiet ist lediglich 800 Hektar groß. Europaweit sind diese Schutzgebiete zu über 90 Prozent kleiner als 1000 Hektar (EEA 2010). In Deutschland ist jedes vierte FFH-Gebiete sogar kleiner als 50 Hektar (BfN 2012).
In keinem Bundesland stehen die notwendigen Natura-2000-Managementpläne vollständig bereit (BUND und NABU 2014). Zudem sind die Managementpläne rechtlich oft nicht verbindlich, ohne Wirkung auf die Bewirtschaftung und zumeist nicht partizipativ entstanden, was die Akzeptanz für die Leitlinien für Landnutzer und Interessengruppen infrage stellt.