Anmoderationsvorschlag:
Ab heute leben wir auf Pump, darauf soll der Erdüberlastungstag aufmerksam machen. Das Global Footprint Network hat berechnet, dass die Menschheit schon jetzt Ende August alle Ressourcen aufgebraucht hat, die unser Planet innerhalb eines Jahres regenerieren kann und die uns damit insgesamt für das Jahr 2020 eigentlich nur zur Verfügung stehen. Was das bedeutet, darüber sprechen wir mit Christine Wenzl. Sie ist Expertin für Nachhaltigkeit beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
Erste Frage: Frau Wenzl, was bedeutet "Erdüberlastung" konkret?
O-Ton 1 (Christine Wenzl, 31 Sek.): "Erdüberlastung, das bedeutet, dass wir die Ressourcen, die uns für ein Jahr zur Verfügung stünden, die sich innerhalb eines Jahres erneuern lassen, viel zu schnell verbrauchen. Das betrifft vor allem Acker- und Weideland, das betrifft Wälder, Fischgründe und das betrifft vor allen Dingen das CO2, was wir in die Luft blasen und was die Atmosphäre in diesem Maße gar nicht aufnehmen kann. Das macht in den Industrieländern den größten Teil aus, nämlich 60 Prozent des Ganzen."
Zweite Frage: Wodurch verschulden wir uns denn bei der Erde? Beziehungsweise: Was genehmigen wir uns, obwohl wir es uns eigentlich nicht leisten können?
O-Ton 2 (Christine Wenzl, 22 Sek.): "Was wir uns in Deutschland definitiv nicht leisten können, ist unser viel zu hoher Energieverbrauch. Dazu zählt der Energie- und Stromverbrauch selbst, dazu zählt maßgeblich der Verkehr, der einzige Bereich, wo die CO2-Emissionen seit 1990 nicht zurückgegangen sind. Das ist unsere industrielle Landwirtschaft und unser Umgang mit den Böden."
Dritte Frage: Was hat unser überzogener Lebensstil denn für Konsequenzen?
O-Ton 3 (Christine Wenzl, 44 Sek.): "Die Konsequenzen dieses überzogenen Lebensstils sind weltweit zu beobachten: Mit Dürren, Überschwemmungen, mit verschwindenden Ökosystemen wie dem Great Barrier-Riff, was uns für immer zu verloren gehen droht. Das sind brennende Wälder in Sibirien, die gar nicht mehr sich löschen ließen. Und die Folgen zeigen sich auch schon in Deutschland, wo etwa die Dürre in Brandenburg dazu führt, dass Flüsse nicht mehr den erforderlichen Pegelstand haben, dass Seen wie in den Bergbaufolgelandschaften nicht mehr wie vorgesehen geflutet werden können, und dass auch die Landwirtschaft ernsthafte Einbußen in ihren Erträgen hat. Also wir merken das auch schon hierzulande und da müssen wir dringend gegensteuern."
Vierte Frage: Was muss passieren, damit unser Konto zukünftig nicht mehr ins Minus rutscht?
O-Ton 4 (Christine Wenzl, 30 Sek.): "Damit unser Konto nicht ins Minus rutscht, müssen wir uns vor allem vom Wirtschaftswachstum verabschieden – beziehungsweise genauer gesagt vom Ziel, das Wirtschaftswachstum als oberste Priorität in der Politik zu behandeln. Die oberste Priorität muss vielmehr sein, dass wir weniger Ressourcen verbrauchen, und zwar deutlich weniger: Weniger Energie, weniger Fläche, weniger Material. Und, dass wir es zur politischen obersten Priorität machen, dass wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen erhalten. Und zwar hier und weltweit."
Fünfte Frage: Was kann jeder Einzelne von uns tun, um seinen Teil dazu beizutragen?
O-Ton 5 (Christine Wenzl, 41 Sek.): "Jeder Einzelne kann viel dazu beitragen. Es heißt in erster Linie – wäre mein Stichwort dafür – umsteigen. Umsteigen vom Pkw in der Stadt aufs Fahrrad, auf Bus und Bahn. Umsteigen auf regionale und saisonale und Bio-Lebensmittel. Und umsteigen auch in puncto verreisen, mit verreisen in der Region anstatt in die Ferne. Die Politik kann dafür ganz Wesentliches beitragen, indem sie nämlich die Rahmenbedingungen schafft. Also im Verkehrsbereich zum Beispiel muss der ÖPNV natürlich stimmen, er muss vorhanden sein: Sicher, bezahlbar und auch mit guten Gehältern für diejenigen, die in dem Bereich arbeiten."
Sechste Frage: Der Erdüberlastungstag wird ja jedes Jahr neu berechnet. Lässt sich da eine Entwicklung ablesen?
O-Ton 6 (Christine Wenzl, 68 Sek.): "Der Erdüberlastungstag ist jedes Jahr wieder ein paar Tage nach vorne gerutscht. Das ist eine Entwicklung, die wir mit großer Sorge betrachten, weil es ja wirklich ist, wie wenn ich eine Vorratskammer für ein ganzes Jahr fülle und dann sind die Vorräte einfach Mitte August schon aufgebraucht. Sie sollten aber ja bis Ende des Jahres reichen.
Dieses Jahr haben wir eine besondere Situation aufgrund von der Corona-Krise. Die drei Monate nahezu Stillstand weltweit haben zu deutlich weniger Ressourcenverbrauch geführt. Und das macht sich auch bei den Berechnungen zum Erdüberlastungstag bemerkbar. Der ist dieses Jahr gut drei Wochen später als noch letztes Jahr. Vom BUND sind wir aber überzeugt: Wir wollen und können die Erde ja nicht aus einer Krise heraus retten, sondern es geht um einen positiven Politikansatz, der ganz klar in Richtung weg vom Wirtschaftswachstum, hin zum Erhalt unserer natürlichen Ressourcen geht. Und es ist auch wirklich wichtig, dass wir diesen Weg nun mutig voranschreiten. Denn sonst, wenn wir zurückgehen zu einem Business as usual, dann wird der Erdüberlastungstag nächstes Jahr schon wieder weit, weit nach vorne rutschen und diese Tendenz der letzten Jahre wird mit Sicherheit fortgesetzt."
Abmoderationsvorschlag:
Vielen Dank für das Gespräch, Christine Wenzl. Sie ist Expertin für Nachhaltigkeit beim BUND und hat mit uns über den Erdüberlastungstag gesprochen, der dieses Jahr bereits am 22. August erreicht ist.
Mehr Informationen
- Der O-Ton (Audio) als Download
- Interview: 5:19 Minuten.
- Alle O-Töne des BUND können Sie als mp3-Datei herunterladen, bearbeiten und lizenzfrei für Medienberichte verwenden.
- Pressekontakt: Christine Wenzl, BUND-Expertin für Nachhaltigkeit, Tel. (030) 2 75 86-462, christine.wenzl(at)bund.net bzw. Judith Freund, BUND-Pressereferentin, Tel. (030) 2 75 86-497, judith.freund(at)bund.net