Die Sondierungsgespräche für die geplante Jamaika-Koalition mögen letzten Endes gescheitert sein, doch im Bereich der Nutztierhaltung schlugen die Unterhändler*innen der FDP, der Union und den Grünen bereits den richtigen Weg ein. In ihrem Sondierungspapier vom November vergangenen Jahres einigten sich die Parteien auf eine gemeinsame Agrarpolitik und bekannten sich zum Umbau der Nutztierhaltung. Sie hatten vor "Trendsetter beim Tierwohl" zu werden.
Anstatt in den laufenden Sondierungsgesprächen wieder bei Null anzufangen, müssen Union und SPD dringend an diesen erfolgversprechenden Verhandlungsstand anknüpfen und ihn in den Verhandlungsrunden weiterentwickeln. Hier gilt es besonders den Umbau der Nutztierhaltung politisch auf den Weg zu bringen und die Intensivtierhaltung mit artgerechten Verfahren wie Weide-, Öko- und Neuland-Tierhaltung zu ersetzen. Die SPD-Verhandlungsgruppe muss in den Sondierungsgesprächen auf die Einführung einer verpflichtenden Kennzeichnung drängen, anstatt sich auf die Schmidtsche Freiwilligkeit einzulassen.
Was es braucht: einen klar geregelten Umbauplan
Wie der Umbau der Nutztierhaltung gelingen kann ist spätestens seit März 2015 bekannt. Damals legte der Expertenbeirat des Landwirtschaftsministeriums mit dem Gutachten "Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung" einen umfassenden Umbauplan vor. Seitdem wurden jedoch keine der politischen Vorschläge umgesetzt. Die politische Untätigkeit widerspricht dem Wunsch der Bürger*innen: Vier von fünf fordern eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht für alle tierischen Lebensmittel, die die Haltungsbedingungen der Tiere offenlegt. Und bereits über 100.000 beteiligten sich an der laufenden BUND-Kampagne "Raus aus der Massentierhaltung".
Die neue Bundesregierung muss den Umbau der Nutztierhaltung mit einem klar definierten Zeitplan beschließen, der finanziell und mit gesetzlichen Rahmenregelungen unterlegt ist. Tierhalter*innen bekommen so die notwendige Planungssicherheit für den Umbau hin zu gesellschaftlich akzeptierten sowie tier- und umweltgerechten Betrieben.
Eine erste wesentliche Maßnahme stellt die Einführung einer staatlich verbindlichen Tierhaltungskennzeichnung dar. Union und SPD dürfen bei diesem wichtigen Thema nicht länger auf Zeit spielen, denn fest steht: fehlende Zukunftsperspektiven für Bäuerinnen und Bauern befeuern nur weiterhin den Strukturwandel in den ländlichen Räumen.
Gesellschaftlicher Konsens für die Nutztierhaltung
Der von den Jamaika-Sondierern formulierte Ansatz einen "gesellschaftlichen Konsens für die Nutztierhaltung herzustellen" beschreibt den richtigen Gedanken, den es jetzt gilt umzusetzen. So müssen die Lücken bei den Haltungsvorschriften einiger Tierarten geschlossen werden: Für Puten gibt es beispielsweise bisher lediglich freiwillige Vereinbarungen, bindende Vorschriften fehlen jedoch. Darüber hinaus sollte die Nutztierstrategie zu einem Tierschutzplan fortgeschrieben, eine staatliche Haltungskennzeichnung erst freiwillig und später verbindlich eingeführt und das Töten von Eintagsküken beendet werden.
Umfragen bestätigen: Die Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen bevorzugt nicht nur Lebensmittel aus umwelt- und tiergerechter Herstellung, sie sind auch bereit dafür mehr Geld auszugeben. Doch bisher können sie diese Produkte nicht im Ladenregal erkennen. Daher ist die Einführung einer verbindlichen staatlichen Haltungskennzeichnung für Milch, Fleisch und andere tierische Produkte dringend notwendig.
Das staatliche Tierwohllabel von Agrarminister Schmidt greift zu kurz
Das von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt geplante staatliche Tierwohllabel hilft Verbraucher*innen bei der Kaufentscheidung nur wenig: Die von ihm vorgeschlagenen Standards, insbesondere in der Eingangsstufe, sind kaum höher als die gesetzlichen Vorgaben und verdienen den Namen "Tierwohl" nicht. Und: Es steht den Herstellern frei, das Label des Landwirtschaftsministers auf ihren Produkten zu verwenden.
Anstatt sich auf die Schmidtsche Freiwilligkeit einzulassen, muss die Verhandlungsgruppe der SPD in den Sondierungsgesprächen auf die Einführung einer verpflichtenden Kennzeichnung drängen. Ein Aufdruck mit Qualitätseinstufungen von 0 bis 3 – wie beim Ei – ist dafür am besten geeignet. Es hat zu einem stärkeren Bewusstsein bei Verbraucher*innen geführt und die Haltung von Legehennen in Deutschland grundsätzlich geändert. Infolge von schwindender Nachfrage listeten Supermärkte Eier aus Käfighaltung aus. Diese erfolgreiche Blaupause muss auch bei Milch, Fleisch und anderen tierischen Produkten angewendet werden.
Der Bedarf nach umwelt- und tiergerecht hergestellten Produkten wächst erkennbar. Der notwendige Umbau der Nutztierhaltung muss daher zwingend durch die Einführung einer verbindlichen staatlichen Haltungskennzeichnung begleitet werden.
Auch der Bundestag ist gefragt
Ganz gleich wie es bundespolitisch in den kommenden Monaten weitergeht, weder CDU/CSU, FDP noch GRÜNE können hinter dem Jamaika-Kompromiss zurückfallen, ohne ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Liest man die Wahlprogramme der SPD und der Linkspartei, so fällt auf, dass mittlerweile alle demokratischen Parteien im Bundestag den Umbau der Nutztierhaltung fordern. Der BUND setzt sich weiter dafür ein, dass diese Versprechen nicht auf die lange Bank geschoben und mit freiwilligen Maßnahmen weichgespült werden, sondern von der neuen Bundesregierung schnellstmöglich und ambitioniert umgesetzt werden.
Bereits vor der Regierungsbildung könnten die Fraktionen des Deutschen Bundestages Gesetzesänderungen vorschlagen. Beispielsweise um die Haltungsverfahren aller Nutztiere in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung zu regeln oder eine verbindliche, staatliche Haltungskennzeichnung einzufordern.
Mehr Informationen
- Der Fleischatlas 2018 zeigt nicht nur die Potentiale eines nachhaltigen Umbaus der Landwirtschaft auf, sondern auch welche Weichen dafür auf der Ebene der Politik, des Handels und auch bei Verbraucher*innen gestellt werden müssen: seien es rechtliche Vorgaben, Kennzeichnungsvorschriften oder veränderte Fördermittelvergaben. Der Fleischatlas 2018 wird am 10. Januar veröffentlicht und steht mit Zahlen und Grafiken ab 12 Uhr auf der Website zur Verfügung.
- Raus aus der Massentierhaltung
- BUND-Umfrage zur Tierhaltung (PDF)
- Haltung zeigen – Kennzeichnungspflicht einführen! (PDF)
- Für eine tier- und umweltgerechte Landwirtschaft (PDF)
Informationen und Rückfragen bei:
Christian Rehmer
Leiter Agrarpolitik
Kaiserin-Augusta-Allee 5,
10553 Berlin
Tel. (030) 2 75 86-473
christian.rehmer(at)bund.net
Katrin Wenz
Wissenschaftliche Mitarbeiterin Agrarpolitik
Kaiserin-Augusta-Allee 5,
10553 Berlin
Tel. (030) 2 75 86- 549
katrin.wenz(at)bund.net
Für eine gerechte und grüne Landwirtschaft
Die EU muss Bauern fördern, die Tiere und Natur besser schützen, und zudem für faire Erzeugerpreise sorgen.
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