BUND-Atomexpertin zum Stresstest: "Atomkraftwerke sind verzichtbar"

06. September 2022 | Atomkraft, Energiewende

Eigentlich sollten dieses Jahr die letzten drei verbleibenden Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz gehen. Wegen einer befürchteten Stromknappheit wollen manche die Laufzeit der Kraftwerke doch noch bis ins nächste Jahr verlängern. Um eine wissenschaftliche Grundlage für eine Entscheidung zu schaffen, wurde ein Stresstest durchgeführt. Zum Ergebnis des Stresstests und was das für die geplante Laufzeitverlängerung bedeutet, sprechen wir mit der BUND Atomkraft-Expertin Angela Wolff. 

Atomkraftwerk Grohnde in Niedersachsen © Thorsten Schier - Fotolia.com Atomkraftwerk Grohnde in Niedersachsen  (Thorsten Schier / fotolia.com)

BUND-Redaktion: Frau Wolff, wie genau sah dieser Stresstest aus? Was wurde da getestet?

Angela Wolff: Also die vier Übertragungsnetzbetreiber haben sich das deutsche Stromnetz angeschaut, auch im Zusammenhang mit dem europäischen Stromdesign und haben sich dann mit Worst-Case-Szenarien ausgemalt, wie denn der kommende Winter aussehen könnte. Also wie steht es um unsere Versorgungssicherheit? Wie sicher ist die Netzstabilität? Könnte es sein, dass eine Strommangellage entsteht? Oder dass es zu Stromausfällen kommt, weil die Netzstabilität nicht mehr gewährleistet ist?

Dann haben sie noch geschaut, inwieweit Atomkraftwerke dabei eine Rolle spielen. Genau genommen die drei, die noch am Netz sind bis zum 31. Dezember. Dann sollten sie laut Atomgesetz abgeschaltet werden. Und sie haben dann den Auftrag gehabt zu schauen, welche Rolle spielt dieses Abschalten und welche Rolle würde es spielen, wenn man sie doch noch den gesamten Winter über, also noch einige Monate in 2023 laufen lassen würde.

Und was ist nun das Ergebnis dieses Stresstests?

Das Ergebnis des Stresstests ist erst mal, dass wir in Deutschland eine hohe Versorgungssicherheit haben und auch eine hohe Netzstabilität. Also dass erst mal keine Gefahren lauern. Aber dennoch ist es so, dass wir natürlich in einer Zeit leben, in der gerade die Energieversorgung recht unsicher ist. Und ein weiteres Ergebnis ist aber auch, dass die Atomkraftwerke darauf keinen wesentlichen Einfluss haben. Also weder am Netz, noch wenn sie nicht mehr am Netz sind. Und deshalb spielen Atomkraftwerke eigentlich für unsere Energiekrise keine Rolle, weder für den Strompreis noch für die Gasmangellage und auch nicht für die Stromnetzstabilität. Insofern sind sie verzichtbar.

Wie hat nun das Wirtschaftsministerium über die Laufzeitverlängerung entschieden?

Also obwohl wir die AKW eigentlich nicht mehr brauchen, obwohl sie keine besondere Rolle spielen, hat das Wirtschaftsministerium jetzt beschlossen, dass zwei der drei noch laufenden AKW in Reserve gehalten werden. Das heißt die Atomkraftwerke Neckarwestheim 2 und Isar 2 werden zwar abgeschaltet am 31. Dezember, aber sie können jederzeit bis April nächsten Jahres wieder hochgefahren werden. Und das tritt ein, wenn ein sogenannter Notfall ansteht.

Es sind relativ hohe Hürden gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass das passiert. Aber theoretisch ist es möglich, dass die Kraftwerke weiterlaufen, trotz Atomausstieg. Und dazu wären auch Gesetzesänderungen nötig.

Wie ordnen Sie den Plan des Wirtschaftsministeriums ein?

Also der geringe Nutzen, der aus einem Weiterbetrieb oder einem Notfallbetrieb dieser Kraftwerke resultieren würde, steht in keinem Verhältnis zu den Kosten. Ein großes Problem ist beispielsweise, dass alle noch laufenden Atomkraftwerke keine gültigen Sicherheitsnachweise haben. Also Kraftwerke müssen alle zehn Jahre nach EU-Recht auf Herz und Nieren untersucht werden und das sind sehr aufwendige und langwierige Untersuchungen.

Und die wurden ausgesetzt mit Blick auf den Atomausstieg, den nahenden. Und das ist ein Problem, weil wir gar nicht genau wissen, wie es um die Sicherheit der Kraftwerke bestellt ist. Und das sehen wir jetzt gerade in Frankreich, wo die Hälfte der Reaktorflotte maßgeblich deshalb stillsteht, weil festgestellt wurde, dass Korrosionen aufgetreten sind, die letztlich zum Supergau führen könnten.

Und in Deutschland fahren wir die Kraftwerke quasi im Blindflug und wissen nicht, wie es um das Innere bestellt ist. Und das jetzt weiter fortzusetzen, das ist absolut verantwortungslos. Egal ob das eine Reserve ist oder ob das jetzt der Streckbetrieb ist, das spielt keine Rolle. Die dürfen keinen Tag länger am Netz bleiben, weil es jetzt schon viel zu riskant ist.

Einige Politiker*innen scheinen das anders zu sehen.

Mit dieser Entscheidung für den Reservebetrieb bleibt natürlich die politische Debatte auch weiter am köcheln. Das heißt, FDP und CDU und CSU stehen schon bereit und fordern, dass jetzt neue Brennstäbe bestellt werden und dass der Weiterbetrieb über mehrere Jahre fortgeführt wird. Und das lenkt komplett von den Maßnahmen ab, die jetzt eigentlich notwendig sind. Das heißt, wir müssen die Energiewende vorantreiben, wir brauchen effiziente und konsequente Maßnahmen für das Energiesparen. Und wir müssen einfach die Transformation des Energiesektors einleiten. Und wenn wir jetzt immer weiter über Atomkraftwerke, über Streckbetrieb und Brennstäbe diskutieren, dann kommen wir da keinen Schritt vorwärts.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Übersicht

BUND-Newsletter abonnieren!

BUND-Bestellkorb