Verhandlungen zur Gesetzesvorlage gegen unfaire Handelspraktiken: CDU/CSU darf Landwirte nicht im Stich lassen

02. März 2021 | Massentierhaltung, Landwirtschaft, Nachhaltigkeit

Berlin. Nach der Vertagung der Bundestagsentscheidung zu unfairen Handelspraktiken auf April fordern die Ökoanbauverbände Bioland und Demeter, die Entwicklungsorganisation Oxfam, die Verbraucherzentrale Bundesverband und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) die Unions-Abgeordneten auf, die nächsten Wochen zu nutzen, um grundlegende Mängel des Gesetzentwurfes zu beheben. Um Landwirte wirksam zu schützen, müssen Schlupflöcher per Generalklausel geschlossen, ein Verbot des Einkaufs unterhalb der Produktionskosten sowie eine unabhängige Ombudsstelle eingeführt werden.

Hintergrund der Vertagung sind Differenzen zwischen CDU/CSU und SPD. SPD, Grüne und (unionsgeführte) Bundesländer fordern eine Generalklausel, die Verbotsliste um alle sogenannten grauen unfairen Handelspraktiken zu erweitern und ein Verbot des Einkaufs unterhalb der Produktionskosten zu prüfen. Das Bundeslandwirtschaftsministerium und die Union lehnen alle diese Forderungen bislang ab, obwohl sie Landwirtinnen und Landwirte wesentlich stärken könnten.

Bislang enthält der Gesetzesentwurf eine sehr begrenzte Zahl von Verboten, von denen nur wenige unmittelbar Landwirte betreffen und die leicht von Supermärkten umgangen werden können. Nur wenn dieses große Schlupfloch mit der Einführung einer Generalklausel noch gestopft wird, können Landwirtinnen und Lieferanten in den Vertragsverhandlungen gestärkt werden.

"Die Gesellschaft erwartet viel von den Landwirten bei Klima-, Artenschutz und Tierwohl, wir müssen ihnen auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür bieten. Die CDU/CSU kann nicht ein Agrarmarktstrukturgesetz verabschieden, das die Landwirte einfach im Stich lässt", so Matthias Meissner, Abteilungsleiter Biodiversität beim BUND.  

"Es wäre absolut unverständlich, wenn die CDU hier jetzt nicht die Chance ergreift, endlich den Bäuerinnen und Bauern, die seit Monaten vor Supermarktlager und Ministerien ziehen, ein echtes Angebot zu machen. Nur mit einer Generalklausel sind die Einkäufer des Handels ständig selbst gefordert, sich zu fragen 'Verhandele ich noch hart? Oder nutze ich meine Macht unlauter aus?'", so Alexander Gerber, Vorstand des Demeter e.V. "Der ehrbare Kaufmann könnte eine neue Konjunktur erleben – dieser Wandel von innen ist, was wir dringend brauchen."

"Die CDU/CSU betreibt Augenwischerei im Kampf gegen unfaire Handelspraktiken“, erklärt Oxfams Agrarexpertin Marita Wiggerthale. "Edeka, Rewe, Lidl und Aldi werden Wege finden, die gesetzlichen Verbote zu umgehen und das Katz-und-Maus-Spiel fortzuführen. Die Generalklausel kann einen schweren Konstruktionsfehler im Gesetz beheben. Um spürbare Verbesserungen für Landwirte zu erreichen, sollte ein Verbot des Einkaufs unterhalb der Produktionskosten eingeführt werden. Eine unabhängige Ombudsstelle sollte anonym Meldungen zu unfairen Handelspraktiken und Dumpingpreisen entgegennehmen und untersuchen können. Landwirte und Lieferanten sowie Entwicklungsorganisationen wie Oxfam sollten sich an sie wenden können." 

Der Kartellrechtsexperte Kim Manuel Künstner kennt sich mit den Praktiken des Lebensmitteleinzelhandels aus und bestätigt als Sachverständiger in der Anhörung des Agrarausschusses im Bundestag: "Es wäre für Lebensmitteleinzelhändler ein Leichtes, um die vorgesehenen Verbote herum zu arbeiten. Eine Generalklausel ist in wettbewerbsregelnden Gesetzen wie dem GWB und dem UWG die Regel, nicht die Ausnahme. Sie bietet der Durchsetzungsbehörde die nötige Flexibilität, um gegen noch nicht beschriebene unfaire Handelspraktiken vorzugehen."

"Allen ist klar, dass es ohne die Generalklausel nicht geht. Die Gegenargumente sind fadenscheinig", so Jan Plagge von Bioland. "Dass Rechtssystem und Unternehmen mit einer offenen Definition umgehen können, beweist der Blick aufs Missbrauchsverbot im GWB. Und dass man zu spät dran sei weil die europäischen Fristen verstreichen, kann kein Argument sein, ein wirkungsloses Gesetz zu verabschieden." 

"Aus Umfragen wissen wir: Den meisten Verbrauchern ist es sehr wichtig, dass Landwirte fair bezahlt werden. Wie viel vom Ladenpreis beim Bauern ankommt, können sie aber nicht erkennen. Klar ist dagegen: Unfaire Handelspraktiken sind ein Faktor, warum Landwirte schlecht bezahlt werden und Lebensmittel teilweise sogar unter den Herstellungskosten verkauft werden. Die Politik muss dem einen Riegel vorschieben und für mehr Fairness in der Lebensmittelproduktion sorgen", sagt Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands.

Mehr Informationen

  • Hintergrund: Ein breites Bündnis von 49 Organisationen aus dem Umwelt-, Entwicklungs-, Landwirtschafts- und Lebensmittelbereichfordert mehr Fairness im Lebensmittelhandel. Der angekündigte Gesetzentwurf muss die Einkommenssituation von Erzeugerinnen und Erzeugern und den Lebensstandard der ländlichen Bevölkerung verbessern – in Deutschland, der EU und weltweit. Zum Positionspapier "Für mehr Fairness im Lebensmittelhandel" (PDF).
  • Zu den wenigen zukünftig verbotenen unlauteren Praktiken zählt beispielsweise die sehr kurzfristige Stornierung von Bestellungen verderblicher Ware durch den Lebensmittelhandel, die In-Rechnung-Stellung von Qualitätsmängeln, die erst lange nach dem Übergang der Ware eingetreten sind. Eine Liste von über 40 weiteren Praktiken hat die Organisation Oxfam im Factsheet "Knebelverträge im Lebensmittelhandel" (PDF) zusammengestellt.
  • Kontakt: Katrin Wenz, BUND-Agrarexpertin, Tel. (030) 2 75 86-549, Mobil: 01 76 / 47 68 41 62, katrin.wenz(at)bund.net sowie BUND-Pressestelle (Daniel Jahn / Judith Freund / Heye Jensen), Tel. (030) 2 75 86-425 / -531 / -497 / -464, presse(at)bund.net

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