Kommentar: Ein echter Aufbruch ist möglich

29. Mai 2019 | BUND, Klimawandel, Nachhaltigkeit, Suffizienz

Zur Einschätzung nach der diesjährigen Wahl erklärt Olaf Bandt, Geschäftsführer für Politik und Kommunikation des BUND:

Olaf Bandt Olaf Bandt, Geschäftsführer für Politik und Kommunikation des BUND  (Foto: Simone Neumann)

"Nach dieser Wahl ist ein echter Aufbruch in ein nachhaltiges Europa möglich – das ist die wichtigste Botschaft nach diesem spannenden Wahlabend. Dabei ist das Wahlergebnis nicht nur eine Riesenchance für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, es ist auch verbunden mit einem dringenden Handlungsauftrag an die politisch Verantwortlichen – egal welcher Partei.

Die Europawahl muss jedoch nicht zuletzt auch ein Weckruf für die Große Koalition hier bei uns in Deutschland sein. Die Union blockiert alle umweltrelevanten Vorstöße – sei es bei der CO2-Steuer, dem Tempolimit, dem Insektenaktionsplan oder einem raschen Kohleausstieg. Sie steht damit im klaren Konflikt mit der umweltpolitischen Ausrichtung der christlichen Kirchen. Von der Enzyklika Laudato si' von Papst Franziskus sind CDU/CSU umweltpolitisch meilenweit entfernt und ob das C künftig für einen christlichen Umgang mit unseren Lebensgrundlagen steht oder doch weiterhin für commerziell [sic!], wird sich mit Blick auf die umweltpolitische Ausrichtung der Union erst noch zeigen. Die SPD wiederum hat ihre eigentlich guten Vorschläge, z.B. für ein Klimaschutzgesetz, den Glyphosatausstieg oder das Aktionsprogramm Insektenschutz mit angezogener Handbremse vorgelegt. Damit ist die große Koalition insgesamt zum Hemmnis für den Schutz des Klimas und der Artenvielfalt geworden. Wir rufen die Koalition auf: Handelt endlich und verabschiedet bis Ende August ein wirksames Klimaschutz- und Kohleausstiegsgesetz sowie einen ernstzunehmenden Insektenaktionsplan.

Auf europäischer Ebene beginnt nun das Verhandeln um die Mehrheiten im EU-Parlament und um das Amt der*des Kommissionspräsident*in. Das neue Europäische Parlament stellt entscheidende Weichen bei der Reform der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP). Das Wahlergebnis ist ein Auftrag an alle gewählten EU-Parlamentarier*innen, sich dafür einzusetzen, dass Subventionen nur an diejenigen Betriebe gezahlt werden, die im Sinne von Umwelt, Gesundheit und Artenvielfalt wirtschaften, anstatt das Geld einfach an die Größe der Betriebe zu koppeln.

Die wertvolle ökologische Arbeit, vor allem von kleinbäuerlichen Familienbetrieben, muss endlich gestärkt werden. Auch müssen Landwirt*innen weiter selbst entscheiden können, ob sie Gentechnik auf dem Acker haben – und wir Verbraucher*innen müssen erkennen können, ob wir gentechnisch veränderte Lebensmittel kaufen. Es gibt noch weitere Baustellen: Wir brauchen stärkere EU-Klimaziele, die Wasserrahmenrichtlinie darf nicht abgeschwächt und wir müssen wirksam vor gefährlichen Chemikalien geschützt werden. Nicht zuletzt braucht Europa eine faire Handelspolitik, die Mensch und Natur nicht ausbeutet sowie einen Einstieg in eine wachstumsunabhängige Form des Wirtschaftens, angefangen mit der Verpflichtung von Unternehmen, ökologische und menschenrechtliche Standards weltweit konsequent umzusetzen. Wer solche Themen halbherzig angeht, wird abgestraft.

Politische Entscheider*innen können dies nicht mehr ignorieren, wenn sie künftig noch gewählt werden wollen. Unser aller Engagement zeigt Wirkung: 83 Prozent der Befragten sagten dem BUND vor der Wahl in einer repräsentativen Umfrage, dass das neue EU-Parlament dem Thema Umweltschutz eine große bis sehr große Bedeutung zukommen lassen soll.

Für den BUND gehören dabei soziale und ökologische Gerechtigkeit schon immer zusammen. Wir denken dabei mit, wie wir in diesem fundamentalen Wandel, in diesem Aufbruch in ein nachhaltiges Europa Menschen genügend Vertrauen geben können, dass sie hierbei nicht allein gelassen werden, so dass sie sich mit uns auf den Weg machen und nicht den platten Parolen der Wissenschaftsleugner*innen von der AfD glauben. Auch dieses Erkenntnis ist für uns ein Ergebnis aus der Europawahl 2019 und bei aller Freude über die öffentliche Debatte um "unsere" Themen auch eine Erinnerung und ein Auftrag an uns selbst.

Wir können aber auch festhalten: Der Anstieg der Wahlbeteiligung von 47,9 Prozent auf 61,4 Prozent zeigt, dass die Demonstrationen, Streiks und Debatten über die Zukunft unseres Planeten der Europawahl und somit unserer Demokratie gutgetan haben. Die Diskussion um einen Aufbruch in ein nachhaltiges Europa, die vielfältigen, friedlichen Protestformen haben viele Menschen motiviert, sich einzumischen und zu beteiligen. Zu verdanken haben wir diese Chance den Aktiven im BUND, den Menschen der "Fridays for Future"-Bewegung, die seit Monaten streiken und mit uns gemeinsam das Thema hochhalten, denjenigen, die im Rahmen des viel beachteten Volksbegehrens zum Schutz der Artenvielfalt in Bayern beigetragen haben, den Youtuber*innen, die sich mutig positioniert haben und nicht zuletzt auch all den Menschen, die die Proteste im Hambacher Wald getragen haben. Wir erinnern uns gerne an die damalige Aufbruchsstimmung, als die Menschen im Oktober 2018 sich den Hambacher Wald zurückgeholt haben. Und auch an diese Europawahl wollen wir uns gerne erinnern. Nicht wegen eines Wahlergebnisses für die ein oder andere Partei, sondern weil wir es gemeinsam geschafft haben, Klima- und Artenschutz in den Fokus der politischen Debatte zu bringen. Spätestens seit dieser Europawahl weiß jede deutsche Partei, wie schmerzhaft es wird, wenn sie keine glaubwürdigen Antworten für die Klimakrise oder das Artensterben vorlegt. Und sie wissen, dass wir sie gemeinsam daran erinnern werden."

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