Wann sie das letzte Mal Kleidung eingekauft hat? Bei vielen Leuten käme die Antwort wohl wie aus der Pistole geschossen. Sophia Herold dagegen muss länger überlegen. Sicher ist sie sich nicht – es ist jedenfalls schon eine Weile her. Der Blick in den Spiegel hilft auch nicht weiter. Denn für fast alles, was sie heute trägt, hat die 23-Jährige nichts bezahlt. Und sie musste dafür weder Altkleidercontainer plündern noch Vogelscheuchen fleddern: Was sie brauchte, hing an den Kleiderbügeln des Erlanger Umsonstladens.
Sophia Herold hat sich bereits während ihrer Schulzeit in der BUNDjugend engagiert. In einem Waldkindergarten macht sie derzeit eine Ausbildung zur Erzieherin. Bei ihrer Arbeit muss sie auf alle Wetterkapriolen gefasst sein, vor allem jetzt im Herbst. Doch weder für die dicken Wandersocken noch die Jeans, weder für den Gürtel noch den nagelneuen Fleecepulli, weder für den Schal noch das bunte Stirnband musste sie das Portemonnaie zücken. Es ging auch ohne Geld.
Kleider, Workshops, Konzerte
"Sogar Nagellack hat jemand kürzlich bei uns abgegeben, damit er eine andere glücklich macht – und das war eben ich", grinst sie. Wäre das Projekt ein sportlicher Wettbewerb, hätte sie heute 7:3 gegen ihre Mitstreiterin Simone Körner gewonnen: Bei deren Outfit stammen nämlich "nur" die Schuhe, der Rock und die Jacke aus den Spenden, die der Laden der BUNDjugend erhalten hat.
In der Hauptstraße, unweit von Fußgängerzone und Bahnhof, hat der Umsonstladen "Free Willy" ein früheres Fotogeschäft bezogen. Die BUNDjugend veranstaltet hier auch Ausstellungen, Workshops, Konzerte und Seminare. An der schicken Bar bekommt man sogar einen Kaffee serviert. "Wir arbeiten alle ehrenamtlich: Der Laden soll eine Plattform sein für Leute, die sich engagieren wollen", so Timo Waidhas, einer der Aktiven. Auch eine Siebdruckwerkstatt und ein Nähsalon sind eingezogen.
Im Selbstversuch
In den Hinterzimmern schlägt das Herz des Ladens: Ordentlich sortiert warten hier Kleidungsstücke auf neue Besitzer. Außerdem gibt es Spiele, Bücher, Geschirr, Lampen und vieles mehr. "Am meisten Zeit kostet es, Stück für Stück die abgelieferte Ware durchzuschauen. Wir wollen schließlich nur gute Qualität – und nicht, dass Leute ihren Müll abladen", erzählt Simone Körner. Die 22-Jährige lässt sich gerade zur Maßschneiderin ausbilden und gestaltet viele Kleider selbst. Manchmal packt aber auch sie etwas ein: "Immer wieder finde ich schöne Sachen, und sei es was Schräges zum Verkleiden. Später bringe ich es zurück, damit auch andere zugreifen können."
Vor sieben Jahren öffnete der erste Erlanger Umsonstladen seine Türen. "Wir haben die Idee bei einem Besuch in Erfurt kennengelernt und beschlossen, das selbst zu versuchen", erzählt Sophia Herold. Einige von ihnen nahmen sich damals vor, ein Jahr lang nichts Neues zu kaufen. Das Regal mit Klamotten wurde so zur internen Tauschbörse. Publikumsverkehr gab es kaum, der Laden lag ab vom Schuss und versteckt im dritten Stock.
Zukunft gesichert
Später klappte es mit einem Raum im Parterre – auch hier mussten sie irgendwann weichen. Immer wieder stand das Projekt auf der Kippe, weil dem Laden gekündigt wurde oder die Miete nicht zusammenkam. Doch dank der Überzeugungsarbeit bei Politikern und Verwaltung scheint er nun vorerst gesichert: Die Stadt Erlangen übernimmt die Miete. "Erfolg hat man, wenn der Laden gut erreichbar und regelmäßig offen ist", meint Sophia Herold. "Dann muss man noch etwas Werbung machen und alles schön und sauber präsentieren."
Weil einige Aktive wegzogen, war es eine Zeit lang schwierig, genug Mitstreiter zu finden. Der Umsonstladen ist an vier Nachmittagen pro Woche geöffnet – wer noch zur Schule geht, hat da oft keine Zeit. Doch inzwischen ist das Team wieder einsatzfähig. Auch neue Mitstreiter sind am Start. So wie Elena Rauchmann, die Medizin studiert: "Wir können nicht immer mehr konsumieren, ohne wirklich mehr zu brauchen. Der Umsonstladen ist unsere Alternative."
Free Willy ist keine Tauschbörse: Wer etwas mitnimmt, muss nicht im Gegenzug etwas dalassen. Manche kommen in den Umsonstladen, um gezielt nach Dingen für sich oder ihre Familie zu suchen. Erstaunlich viele Großmütter prüfen regelmäßig, ob für ihre Enkel etwas dabei ist. Andere bedienen sich, weil sie geldfrei leben wollen.
Mehrsprachige Werbung
"Manche haben auch gar keine Wahl. Die können sich neue Sachen einfach nicht leisten", meint Elena Rauchmann. Das Team will den Laden deshalb noch bekannter machen. Ein Flyer informiert auf Deutsch, aber auch Arabisch, Englisch, Französisch und Russisch. Die BUNDjugend will ihre Initiative nämlich in den Asylbewerberheimen der Region vorstellen – und die Flüchtlinge auffordern, nicht nur mal vorbeizuschauen, sondern im Team mitzuarbeiten.