Berlin. Anlässlich der EU-Minister*innenkonferenz zum 30. Jahrestag der Natura-2000-Schutzgebiete in Straßburg kritisiert der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) die laxe Umsetzung der Natura-2000-Ziele in den EU-Ländern. Viele Arten und Biotope in Deutschland und Europa hätten ohne Natura 2000 kaum eine Chance. Doch im Rückgrat des europäischen Naturschutzes knirscht es. Viele Lebensräumen und Arten sind weiterhin bedroht.
"Das Schutzgebietsnetzwerk Natura 2000 ist noch immer löchrig und insgesamt in einem schlechten Zustand", sagt der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt. "Auch Deutschland ist kein Vorzeigeland. Zwei Klagen der EU-Kommission gegen Deutschland beim Europäischen Gerichtshof sind der traurige Beweis. Deutschland hat es versäumt, große Teile des Netzwerkes zu Lande und zu Wasser unter Schutz zu stellen und passende Erhaltungsmaßnahmen zu definieren. So ist etwa europarechtlich geschütztes, artenreiches Dauergrünland aufgrund einer unangepassten Bewirtschaftung in einem signifikanten Maß zurückgegangen oder komplett verschwunden."
Vor allem beim Meeresschutz liegt noch vieles im Argen. Trotz einer Versechsfachung der Natura-2000-Meeresflächen innerhalb von 20 Jahren geht es den meisten bedrohten marinen Lebensräumen (Riffe und Sandbänke) und Arten (z. B. Meeressäuger und Seevögel) schlecht. Grund dafür ist unter anderem die zerstörerische Fischerei, die in Schutzgebieten weiterhin fast uneingeschränkt stattfinden darf. 57 Prozent der Lebensräume im Atlantik und 75 Prozent bzw. 40 Prozent der Arten in der Ostsee und im Mittelmeer sind weiter in einem schlechten Zustand.
Die EU-Länder haben um die Ausweisung neuer Gebiete gewetteifert, viel zu viel Zeit haben sie sich dagegen für Managementpläne und deren Umsetzung gelassen. Fast 18 Jahre sind seit der offiziellen Ausweisung der Schutzgebiete in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der deutschen Nord- und Ostsee vergangen. Der BUND begrüßt die von der Bundesregierung Anfang Februar veröffentlichten Managementpläne für die Ostsee, die konkrete Schutzmaßnahmen für alle zehn Meeresschutzgebiete in der deutschen AWZ festgelegen. Nun müssen sich nach dem Bundesumweltministerium aber auch das Landwirtschaftsministerium bei der Fischerei und das Wirtschaftsministerium beim Ausbau der Offshore-Windenergie um den Schutz der Lebensräume und Arten bemühen und sich für eine naturverträgliche Nutzung der Meere einsetzen.
Nur mit einem kompletten Verbot der Schleppnetzfischerei am Meeresgrund und dem Ausweisen sogenannter No-take zones (Null-Nutzungszonen) können die Riffe und Sandbänke geschützt und Rückzugsgebiete für bedrohte Arten wie den Schweinswal geschaffen und erhalten werden. Auch der Ausbau der Offshore-Windenergie darf nicht zu Lasten der Schutzgebiete gehen. Deswegen dürfen Offshore-Windparks nicht in und nur in sicherer Distanz zu den Meeresschutzgebieten gebaut werden. Nur so werden die Natura-2000-Schutzziele eingehalten.
Der bloße Schutz der verbliebenen Juwelen im Natura-2000-Netzwerk reicht zudem nicht mehr aus. Die Renaturierung von Ökosystemen muss mehr in den Fokus rücken. Nicht nur die Natur, sondern auch die Gesellschaft insgesamt profitiert am Ende durch die Schaffung von Ökosystemleistungen wie die Bindung von Kohlenstoff oder den Schutz vor Naturkatastrophen.
"Die neue Bundesregierung muss entschlossen anpacken, was ihre Vorgänger über Jahrzehnte verschleppt haben", so Bandt. "Im EU-Ministerrat muss sie für ein möglichst ambitioniertes EU-Renaturierungsgesetz eintreten." Ein Entwurf der EU-Kommission wird für den 23. März erwartet.
Mehr Informationen
- Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen unzureichender Ausweisung von Schutzgebieten und Aufstellung von Managementplänen für Natura-2000-Gebiete
- Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen anhaltendem Verlust von geschütztem, artenreichem Dauergrünland
- Kontakt: Nadja Ziebarth, BUND-Expertin für Meeresschutz, Mobil: 01 74 / 3 19 14 24 , nadja.ziebarth(at)bund.net sowie André Prescher, BUND-Experte für EU-Politik, Tel. (030) 2 75 86-76, Mobil: 00 32 / 4 88 84 70 64, andre.prescher(at)bund.net sowie BUND-Pressestelle (Sigrid Wolff / Daniel Jahn / Lara Dalbudak), Tel. (030) 2 75 86-497 / -531 / -425, presse(at)bund.net