
Schirmmensch: Steffen Lange
Institut für ökologische Wirtschaftsforschung
Wir müssen Wege finden, wie wir unsere Art des Wirtschaftens wachstumsunabhängig gestalten, um den Erhalt menschlichen Lebens auf dem Planeten zu sichern. Unser Ziel ist eine Postwachstumsgesellschaft, in der soziale Gerechtigkeit mit Umwelt- und Naturschutz Hand in Hand geht. Eine Gesellschaft, in der wir Wohlstand so verstehen, dass sich gemeinsames Wirtschaften an menschlichen Bedürfnissen orientiert. Wir wissen, dass wir dazu radikal mit den alten Denkweisen brechen müssen, auf denen unser aktuelles Wirtschaftssystem beruht.
Schon vor der Corona-Pandemie war unser Wirtschaftssystem nicht nur an seine ökologischen, sondern auch an seine sozialen Grenzen geraten. Der BUND ist überzeugt davon, dass nur ein gesellschaftlicher Aufbruch aus der Corona-Krise und zu einem erfolgreichen Umgang mit der Klimakrise und dem Artensterben führen kann. Dazu müssen wir grundlegende soziale und ökologische Fragen als Gesellschaft gemeinsam beantworten.
Aus diesem Anlass sind in der Schreibwerkstatt sechs verschiedene Themenbereiche definiert, in denen gemeinsam Schritte und Forderungen erarbeitet werden. Die Themenbereiche stellen wir hier vor.
Institut für ökologische Wirtschaftsforschung
In dieser Arbeitsgruppe der Schreibwerkstatt wollen wir uns mit Wirtschaftsstrukturen auf Makroebene befassen. Gemeinsam entwickeln wir Forderungen nach Rahmenbedingungen, die eine zukunftsfähige Wirtschaft schaffen.
Gemeinsam erstellen wir Antworten zu folgenden Fragen:
In der derzeitigen Krise stellen sich viele grundsätzliche gesellschaftliche Fragen ganz neu. Wir erleben, dass Pflegekräfte und Ärzt*innen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, aber auch Mitarbeiter*innen im Einzelhandel oder in der Logistik überlebenswichtig für uns alle und die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft sind. Wir erleben, dass die weltweiten Lieferketten nicht mehr funktionieren und einfache Dinge wie Schutzmasken zum knappen, weltweit umkämpften Gut geworden sind. Gleichzeitig sind die neuen Held*innen des Alltags an den Supermarktkassen und Krankenbetten weit überwiegend unterdurchschnittlich bezahlt; zudem sind sie und andere benachteiligte Gruppen besonders durch die Corona-Krise betroffen.
Wir sind uns sicher: Stabile Wege aus der Gesundheits- und Wirtschaftskrise und einen erfolgreichen Umgang mit Klimakrise und Artensterben wird es nur mit einem gesellschaftlichen Aufbruch und einem sozial-ökologischen Umbau unserer Wirtschaft geben, bei dem wir soziale und ökologische Fragen gemeinsam lösen. Für den BUND sind dabei ein Ende des Wachstumswahns, Suffizienzpolitik und soziale Gerechtigkeit unverzichtbare Eckpunkte. Wir sind uns sicher, dass wir dabei die Unterstützung vieler Menschen in Deutschland haben. So hat die Bertelsmann Stiftung in einer Umfrage ermittelt, dass 90 Prozent der Deutschen eine neue Wirtschaftsordnung befürworten.
Die Corona-Krise kann durchaus eine Chance für einen sozial-ökologischen Umbau unserer Wirtschaft sein, insbesondere für eine zukunftsfähige Neuorganisation systemrelevanter (Versorgungs-)Infrastrukturen u.a. in den Bereichen Ernährung, Energie, Mobilität, Gesundheit und Wohnen. Aber der Wandel muss noch tiefer reichen, an die Grundorientierungen unseres Wirtschaftssystems. Durch umfassende Vermarktlichung sozialer Beziehungen werden grundlegende gemeinschaftsorientierte Werte wie Vertrauen und Kooperation ökonomisch bestraft und stattdessen Misstrauen und Konkurrenz in Wirtschaft und Gesellschaft gefördert.
Der BUND will unsere natürlichen Lebensgrundlagen aus dieser Falle befreien und als Gemeingüter schützen: Saubere Luft und Gewässer, gesunde Böden und ein intaktes Klima sind Gemeingüter par excellence. Ihr Schutz muss deshalb als zentraler Maßstab und Orientierung für Wirtschaft und Gesellschaft gesehen werden.
Forscherin zu Postwachstum & Unternehmen
Gemeinsam werden in dieser Arbeitsgruppe Kriterien für Unternehmungen und Betriebe in einer Postwachstumsgesellschaft entwickelt.
Hier diskutieren wir folgende Fragen:
Wenn wir in einer Gesellschaft jenseits des Wachstumsparadigmas "neu wirtschaften" wollen, wird das andere Anforderungen an die Funktionsweisen von Unternehmen bzw. Unternehmungen und Betrieben stellen. Doch welche Maßstäbe legen wir an Unternehmen und Unternehmungen an, die aus unserer Sicht auch in einer Postwachstumsgesellschaft zukunftsfähig sind? Wie sieht der BUND die Zukunftsfähigkeit von Genossenschaften, Kooperativen, selbstverwalteten Betrieben, Non-Profit-Unternehmen? Sind Debatten um Wirtschaftsdemokratie, die beispielsweise in den Gewerkschaften geführt werden und bereits von einigen Start-Ups wie "Premium Cola" oder "Einhorn" umgesetzt werden, für uns anschlussfähig?
Wie ist die Rolle des BUND dabei: Wie steht der BUND zur Idee des Verantwortungseigentums von Firmen wie Bosch und Zeiss? Wollen wir als Gesellschaft das Risiko dieser Unternehmungen (mit)tragen, etwa indem wir als BUND einen an strenge sozial-ökologische Auflagen gebundenen staatlichen grünen High- oder Low-Tech-Fonds fordern? All diese Debatten werden von jungen Gründer*innen und pluralen Ökonom*innen bereits geführt, jedoch sind bisher die Debatten innerhalb des BUND damit noch unverbunden.
Zudem überlegt der BUND derzeit, einen "Rat für zukunftsfähiges Wirtschaften" einzurichten, in dem Vertreter*innen der Zivilgesellschaft zusammen mit nachhaltigkeitsorientierten Wirtschaftsakteuren die Rahmenbedingungen für zukunftsfähiges Wirtschaften diskutieren. Gerne wollen wir hierbei auch Feedback einholen: Wer wäre eine gute Besetzung für diesen Rat? Was können dessen Aufgaben spezifiziert werden?
VÖW-Arbeitsgemeinschaft sozial-ökologische Arbeits- und Zeitforschung
Zusammen definieren wir in dieser Gruppe Ziele von Tätigkeiten und unterfüttern sie mit konkreten politischen Forderungen. Wir wollen gemeinsam überlegen, wie diese Forderungen zu einem breiten sozial-ökologischen Bündnis beitragen können.
Hier geht es um Fragen wie beispielsweise:
Der Umbau der Ökonomie zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise wird für einige Branchen den Ab- und Umbau von Arbeitsplätzen bedeuten; beispielhaft seien hier Atomwirtschaft, fossile Energiewirtschaft, Automobil- und Chemieindustrie genannt. Für den BUND sind Prozesse, die zu einem massiven Beschäftigungsabbau bzw. -umbau führen, schon immer eine Herausforderung. Auf der einen Seite stehen die ökologischen Notwendigkeiten, auf der anderen Seite die Schicksale einer Vielzahl von Beschäftigten, denen Arbeitslosigkeit oder eine massive Einkommensverschlechterung durch eine Beschäftigung in schlechter bezahlten Tätigkeiten droht.
Für einen sozial-ökologischen Umbau ist das keine Perspektive. Deshalb beschäftigt sich der BUND schon seit vielen Jahren mit Fragen der Zukunft von Erwerbs- und Nichterwerbsarbeit in unserer Gesellschaft. Aktuell zeigen die Erfahrungen in der Kohlekommission, wie auch die Diskussionen mit Regionalpolitiker*innen und Gewerkschafter*innen über die Herausforderungen, vor denen Regionen mit starker Automobilindustrie schon vor der Corona-Krise standen und jetzt immer noch stehen, dass unsere Antworten auf die Fragen nach einer der Gestaltung sozial-ökologischer Transformationsprozesse im Hinblick auf Beschäftigung und Einkommen der Arbeitnehmer*innen in den Regionen noch nicht konkret genug sind.
Bürgerbewegung Finanzwende
Wir wollen eine Vorstellung eines resilienten, sozial und ökologisch nachhaltigen europäischen und internationalen Finanzsystems eruieren, diesbezüglich (exemplarische) Forderungen entwickeln und Adressaten identifizieren.
Es geht hier zum Beispiel um folgende Fragestellungen:
Entscheidungen der Finanzwirtschaft – also von Finanzmarktakteuren wie Banken, Versicherungen, Pensions- und Investitionsfonds – beeinflussen nicht nur die Realwirtschaft, sondern gesellschaftliche Entwicklungen weltweit. Die Finanzwirtschaft und der Bankensektor hatten ursprünglich die Funktion, Sparguthaben anzulegen und so der Realwirtschaft Kapital für Investitionen zur Verfügung zu stellen. Eine zunehmende Entkopplung von der Realwirtschaft sorgt jedoch dafür, dass diese Funktion nicht mehr angemessen erfüllt wird (es gibt weit mehr anlagesuchendes Kapital als profitable Anlagemöglichkeiten): Die Finanzwirtschaft ist zur Spekulationswirtschaft geworden, in der nicht mehr Dividenden, sondern Kursgewinne die Anlagestrategien bestimmen.
Die Ausrichtung an kurzfristigen Rendite-Erwartungen führt zu Spekulationsblasen bei gleichzeitig geringeren realwirtschaftlichen Investitionen als für eine kohlenstofffreie und erst Recht für eine nachhaltige Wirtschaft notwendig wären, und zu Rendite-Erwartungen von 20 Prozent und mehr, die die Firmen zu möglichst hohen Erträgen drängen – auch zu Lasten von Umwelt und Mitarbeitenden. Eine Ursache dafür ist die Tatsache, dass Aktionär*innen – obwohl formal "Betriebsbesitzer*innen" – keinerlei Haftung für die Folgen der Handlungen "ihrer" Betriebe übernehmen müssen, so lange der Aktienkurs nicht einbricht. So tragen die Finanzmärkte zu negativen Auswirkungen von Wirtschaftshandeln auf Mensch und Natur bei.
Darüber hinaus zeigt die aktuelle Krise, dass nicht nur die Realwirtschaft unter internen Verwerfungen der Finanzwirtschaft leidet, sondern dass auch umgekehrt Einbrüche in der Realwirtschaft Krisen in der Finanzwirtschaft auslösen. Die Folgen der Interaktion von Real- und Finanzwirtschaft für die physische Ökonomie, die Stoff- und Energieflüsse, die den Großteil der ökologischen Probleme verursachen, werden zwar zurzeit offensichtlich, sind aber in der Politik immer noch nicht handlungsleitend. Deshalb braucht es für einen sozial-ökologischen Umbau unbedingt eine Vorstellung davon, wie ein resilientes, sozial und ökologisch nachhaltiges Finanzsystem aussehen könnte.
Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie (Uni Jena)
Zusammen wollen wir herausfinden, wie eine Umverteilung zu einer gerechteren Gesellschaft gestaltet werden kann, wer dabei Gewinner*in und wer Verlierer*in sein soll, wie die Lasten verteilt und mit wem zusammen solche Veränderungen durchgesetzt werden können. Dazu wollen wir konkrete Forderungen erarbeiten, die zu einer "Just Transition" führen.
In diesem Themenbereich beschäftigen wir uns mit folgenden Fragen:
Wir wissen, dass jede Transformation unvermeidlich Gewinner*innen und Verlierer*innen haben wird. Gleichzeitig wissen wir auch, dass Deutschland im Euroraum eine der höchsten Vermögensungleichverteilungen aufweist. Global ist die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen sogar so drastisch, dass die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen der Bekämpfung von Ungleichheit innerhalb und zwischen Ländern ein eigenes Ziel in ihren Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) zugewiesen haben.
Als BUND stehen wir für eine sozial-ökologische Transformation. Aus dieser Haltung sind wir Mitglied im Bündnis "Reichtum umverteilen" geworden. Doch welche Konzepte führen dazu, dass Investitionsentscheidungen, die Unternehmen unter der Herausforderung durch neue Politiken der ökologischen Transformation treffen, auch zu sozialer Gerechtigkeit beitragen? Wie soll der in einem Jahr erwirtschaftete Mehrwert zwischen Arbeit, Kapital und Staat (als Anbieter sozialer Leistungen) aufgeteilt werden? Wieviel Gewinn soll ein Unternehmen auf dem Wege zu einer Postwachstumswirtschaft machen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Arbeitsgruppe.
Inhaber des Lehrstuhls für Soziale Entwicklungen und Strukturen (LMU)
Als basisdemokratischer Verband wollen wir uns zusammen mit Forderungen nach einer stärkeren Demokratisierung der Demokratie auseinandersetzen und die künftige Rolle des BUND in diesen Prozessen definieren. Dabei entwickeln wir konkrete Forderungen für Beteiligungsformate, von der Besetzung bis hin zu den nötigen Kompetenzen.
Gemeinsam erarbeiten wir Antworten auf folgende Fragen:
Als basisdemokratischem Verband ist dem BUND bewusst, dass ein sozial-ökologischer Wandel nur unter einer echten Beteiligung der Menschen vor Ort gewährleistet werden kann. Gemeinsam mit Bündnispartnern wie Mehr Demokratie setzt sich der BUND für eine weitere Demokratisierung der Politik, unter anderem durch stärker direktdemokratische Elemente ein. So unterstützt der BUND beispielsweise die Einrichtung von Ernährungsräten im Agrarbereich, wie von der Agrarökologie gefordert, und ist im Energiebereich aktiv im und für den Ausbau der Energie in Bürger*innenhand engagiert.
Ein anderes Element von Demokratisierung ist die Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft an politischen Prozessen. Findet diese in der Frühphase von Planungen statt und werden Anregungen und Forderungen aufgegriffen und umgesetzt, so kann das zu einer deutlich bürgernäheren Politik führen. Die Erfahrung zeigt, dass Planungsverfahren durch solche Prozesse nicht verzögert, sondern beschleunigt werden, weil Einwände von vornherein berücksichtigt werden.
Der BUND ist in zahlreichen derartigen Prozessen beteiligt und kennt daher auch die andere Seite der Medaille: Prozesse, die viel Zeit absorbieren, in denen aber nicht auf die Argumente der Umweltverbände eingegangen wird oder deren Ergebnis von der Politik – wie bei der Kohlekommission – nur selektiv umgesetzt wird. In solchen Situationen droht der "Participation Overkill", das Lahmlegen durch Beteiligung. Im Zusammenhang mit dem regionalen Strukturwandel und aus den Erfahrungen der Kohlekommission, werden Fragen nach der Rolle demokratischer Beteiligung und Steuerung in der politischen Diskussion zum Teil auf neue Art gestellt.
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