Sie regierte die Meere – bis der Mensch eine Delikatesse aus ihr machte.
Die heimischen Bestände der Europäischen Auster (Ostrea edulis) erstreckten sich einst vom Nord- und Ostfriesischen Wattenmeer, der Helgoländer Austernbank bis zu den küstenfernen Austerngründen der Deutschen Bucht. Aufgrund der starken Überfischung gilt sie in diesen Gebieten als ausgestorben und befindet sich daher auch auf der OSPAR-Liste sowie der Roten Liste Deutschlands, welche vom Aussterben bedrohte Arten dokumentieren.
Austern siedeln auf Hartstrukturen und bilden Riffe, welche als Lebensraum für zahlreiche andere Arten dienen. Im Zuge der Überfischung sind diese in den vergangenen Jahrhunderten stark dezimiert worden.
Obwohl die übliche Riffstruktur sich deswegen in der Nordsee anscheinend nicht ausgebildet bzw. erhalten hat, beherbergten die alten Austernbänke trotzdem zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. Sie dienten als sogenannte "Hotspots der biologischen Vielfalt" als Futter-, Schutz- und Laichgebiet sowie Kinderstube zugleich. Zudem besaßen diese Austernbänke eine hohe Reinigungsfunktion für die Nordsee: Eine Auster filtert pro Tag etwa 240 Liter Meerwasser, die Miesmuschel im Vergleich nur circa 10 bis 20 Liter täglich.
Austern sind Zwitterwesen
Mit der etwas stärker gewölbten Schalenseite heftet die Europäische Auster sich an Substrat an. Hier sind die Muschellarven sehr wählerisch und bevorzugen andere größere Austern als Besiedlungssubstrat, wahlweise wird auch Muschelschill besiedelt. Die Austern sind zwittrig und können in ihrem Lebenszyklus mehrmals das Geschlecht wechseln.
Nach der Befruchtung beherbergen Mutter-Austern die Larven für einige Tage in ihrer Mantelhöhle, bevor diese ins freie Wasser entlassen werden. Geschlechtsreife erlangt die Auster mit etwa drei bis vier Jahren. Ausgewachsen misst sie circa 15 Zentimeter und kann bis zu 30 Jahre alt werden.
Die größte Bedrohung: der Mensch
Wie der berühmte Autor und Satiriker Jonathan Swift schon im 18. Jahrhundert feststellte: "Es war ein mutiger Mann, welcher die erste Auster aß." Schließlich präsentiert sich die Auster äußerlich nicht sonderlich appetitanregend. Dennoch war sie bereits in der Stein- und Eisenzeit Bestandteil des häuslichen Mittagstisches und entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer sehr beliebten und begehrten Delikatesse.
Dies erhöhte die Nachfrage, was schon im Mittelalter zur Folge hatte, dass neben dem Hering auch die Auster einer der wichtigsten Bestandteile der Fischerei wurde. Vermutlich wurden schon im 13. Jahrhundert mit sogenannten Dredgen ausgerüstete Segelschiffe eingesetzt, welche den Meeresboden pflügten und die Austernbänke abernteten.
Diese Fangmethode wurde im Laufe der vergangenen Jahrhunderte immer weiterentwickelt. Am Ende wurden beim Pflügen des Bodens nicht nur die begehrten großen Austern entnommen: Auch die kleineren, noch nicht fortpflanzungsfähigen Individuen, wurden gefischt – und der Lebensraum der anderen, mit Austern lebenden Tiere und Pflanzen zerstört.
Eine ausgestorbene Art soll zurückkommen
Die jahrhundertelange Übernutzung führte dazu, dass sich die Austernpopulationen nicht mehr schnell genug erholen konnten und im Bestand immer mehr abnahmen. Deshalb gilt die Europäische Auster seit Mitte des 20. Jahrhunderts in der Nordsee als ausgestorben.
Im Rahmen eines durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) finanzierten Projekts wollen nun Forscher*innen des Alfred Wegner Instituts (AWI) herausfinden, unter welchen Voraussetzungen die Europäische Auster wieder in deutschen Gewässern angesiedelt werden kann.
Der BUND meint: Das Wiederansiedlungsgebiet sollte auf jeden Fall frei von Störungen sein. Insbesondere ein absolutes Verbot der Fischerei mit Bodenschleppnetzen bzw. ein komlettes Fischerei-Verbot in der betreffenden Zone scheint Voraussetzung für eine Wiederansiedlung der sich langsam entwickelnden Population zu sein.