
Chemiefirmen stellen weltweit immer mehr Chemikalien her – auch mehr sehr giftige Stoffe. Diese werden in vielen Wirtschafts- und Lebensbereichen verwendet. Das bedeutet auch: Mensch und Umwelt werden zunehmend mit Chemikalien belastet.
Bereits heute finden sie sich überall: in der Arktis, in Tiefseegräben, in unseren Körpern. Und das hat Folgen: Unsere Lebensqualität sinkt und jährlich sterben mehr als 1,6 Millionen Menschen durch solche giftigen Stoffe.
Darum geht es
Eigentlich sollten Mensch und Umwelt bereits viel besser vor gefährlichen Stoffen geschützt sein. Die Staats- und Regierungschef*innen aller Länder hatten im Jahr 2002 auf dem Nachhaltigkeitsgipfel in Johannesburg versprochen, die Risiken durch gefährliche Chemikalien bis 2020 zu minimieren.
Um dies zu erreichen, regeln oder verbieten zwar eine Handvoll internationaler Abkommen die Herstellung und den Einsatz mancher sehr gefährlichen Chemikalien. Doch es gibt viel mehr davon! Deshalb haben die Vereinten Nationen den "Strategischen Ansatz für internationales Chemikalienmanagement", kurz "SAICM", ins Leben gerufen.
Allerdings haben bislang alle Abkommen deutlich zu wenig bewirkt. Und nicht nur das: Die Risiken durch Chemikalien könnten sogar noch zunehmen. Fachleute schätzen, dass sich der Umsatz der Chemiefirmen weltweit von 2017 bis 2030 verdoppeln wird. Es muss also dringend etwas geschehen …
… etwa durch SAICM. Wie dieser Ansatz uns und die Umwelt erfolgreicher vor giftigen Chemikalien schützen kann, wird mittlerweile weltweit erneut verhandelt – zurzeit unter Federführung des Bundesumweltministeriums (BMU). Es geht um "SAICM beyond 2020", also um SAICM nach 2020.
Das macht der BUND
Der BUND beteiligt sich gemeinsam mit den Umweltverbänden Forum und Entwicklung (FuE), dem Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN) sowie Women Engage for a Common Future Deutschland (WECF) an den Verhandlungen für SAICM nach 2020. Unser Ziel ist, dass damit die Risiken durch gefährliche Chemikalien wirklich weltweit minimiert werden. Vergiftungen, Krebs, Fruchtbarkeit- und Stoffwechselstörungen ausgelöst durch giftige Chemikalien sollen damit wirksam bekämpft werden können.
Wir informieren Sie an dieser Stelle über Streitpunkte, Blockierer*innen und über Fortschritte der Verhandlungen. Und wir machen Chemie-Skandale bekannt wie auch wegweisende Ansätze, Produkte mit weniger oder ganz ohne Chemikalien herzustellen.
Berichte aus dem Projekt
Auf einer Konferenz unter Federführung des Bundesumweltministeriums (BMU) wollten sich Staaten aus allen Kontinenten im Juli 2020 in Bonn auf ein Abkommen einigen, das die Welt sicherer macht vor gefährlichen Chemikalien und Abfällen. Durch die Corona-Pandemie wurde die Konferenz zunächst auf Juli 2021, danach auf das Jahr 2023 verschoben – Datum ungewiss. Deutschland wird die Präsidentschaft bis dahin behalten, die Verhandlungen werden zwischenzeitlich in virtuellen Arbeitsgruppen weitergeführt.
Und: Der BUND ist soweit möglich dabei!
Solch ein Abkommen ist bitter nötig. Viele Chemikalien und daraus hergestellte Stoffe (etwa Plastik) richten Unheil an – und dies quasi überall: Sie reichern sich in Menschen und Tieren an und sind von der Tiefsee bis zu den höchsten Bergen überall nachzuweisen. Die unkontrollierte "Chemisierung" der Umwelt und des Menschen nimmt stetig zu: Der Umsatz der Chemiefirmen weltweit wird sich nach Angaben der UNEP beim gegenwärtigen Tempo bis 2030 verdoppeln, bis 2050 vervierfachen. Diese Entwicklung bedroht nicht nur unsere Gesundheit, sie verschärft auch die Klimakrise und das Artensterben.
Es muss dringend etwas geschehen …
Das erwartete neue Abkommen wird "SAICM nach 2020" genannt. Die Abkürzung steht für "Strategic Approach for an International Chemicals Management", auf Deutsch: "Strategischer Ansatz für ein Internationales Chemikalienmanagement".
Die Laufzeit des aktuellen SAICM-Abkommens, das seit 2006 bestand, endete im Dezember 2020. Jetzt geht es darum, die Weichen neu zu stellen und sich auf einen künftigen Umgang mit Chemikalien und Abfällen zu einigen, der den Zielen der UN-Agenda 2030 gerecht werden kann und die Bezeichnung nachhaltig verdient.
Sowohl die Vertreter*innen der am SAICM-Prozess beteiligten Staaten und Industrieverbände betonen, sich diesen Zielen verpflichtet zu fühlen. Umweltverbände und andere zivilgesellschaftliche Gruppen fordern seit langem ein entsprechendes Umsteuern. Auch sie sind im SAICM-Prozess vertreten, allerdings nur als Beobachter und ohne jedes Mitspracherecht.
Industrie und Politik werden erst beweisen müssen, dass sie es ernst meinen.
Damit es nicht wieder leere Versprechen werden, braucht es zunächst ein gutes Vertragswerk. Ob das kommt, ist aber unsicher. Schon einmal hatte sich die Weltgemeinschaft darauf geeinigt, die weltweite Belastung mit Chemikalien und Abfällen bis 2020 auf ein Minimum reduzieren zu wollen. Daraus ist nichts geworden. Nun ist 2030 die neue Zielmarke.
So gut wie alles wird vom politischen Willen abhängen, gangbare Lösungen zu finden für die bislang größten Defizite von SAICM: Die Frage der Finanzierung (siehe Beitrag "Streit um Geld") und die fehlende Verbindlichkeit bisheriger Vereinbarungen zur Lösung der drängendsten Probleme. So wollen viele Entwicklungsländer etwa aus Afrika und Lateinamerika einem neuen Abkommen nur zustimmen, wenn sie bei der Umsetzung finanziell unterstützt werden.
Sofern auf gefährliche Chemikalien nicht verzichtet werden kann, erfordert der sichere Umgang mit diesen Giften Wissen, Technik und Gesetze, an die sich alle halten.
Industriestaaten wie Deutschland haben hier eine Tradition, Entwicklungsländer nicht. Ihnen fehlt neben dem Wissen oft auch die notwendige moderne Technik – und die Durchschlagskraft.
Ein Beispiel illustriert dieses Dilemma: Seit 2002 existieren Piktogramme, mit denen weltweit in allen Ländern auf gleiche Weise gefährliche Chemikalien gekennzeichnet werden sollen. Die Symbole zeigen etwa, dass Substanzen brennbar, giftig oder krebserregend sind.
In der EU sind die Symbole lange etabliert. In Afrika sieht es dagegen ganz anders aus: Erst drei afrikanische Staaten nutzen die Piktogramme. In allen anderen Staaten des Kontinents können Chemikalien also beliebig gekennzeichnet werden. Falscher Umgang mit giftigen Stoffen ist damit vorprogrammiert.
Auch werden in Entwicklungsländern teilweise gute Gesetze zum Schutz vor giftigen Stoffen erlassen – deren Einhaltung können die Länder aber wiederum kaum kontrollieren. Am Willen fehlt es dabei nicht: Viele wollen zum Beispiel auch selbst in Konsumgütern nach giftigen Substanzen suchen oder Chemiefirmen besser kontrollieren, um zu sehen, ob dort vorschriftsmäßig gearbeitet wird. Um ein eigenes, gut funktionierendes Chemikalienmanagement aufzubauen, brauchen sie jedoch Unterstützung.
Dies kostet Geld – und diese Länder haben keines. Also: Woher nehmen?
Die "SAICM nach 2020"-Vorverhandlungen zeigen leider, dass kaum ein Staat bereit ist, den Entwicklungsländern das benötigte Geld bereitzustellen. Fehlanzeige auch von Industrieseite: Die Unternehmen investieren lieber in eigene freiwillige Projekte – die jedoch bei weitem nicht genügen werden, um Mensch und Umwelt besser vor den gefährlichen Stoffen zu schützen, an denen sie sehr viel Geld verdienen.
Das genügt den Entwicklungsländern nicht. Ohne feste Zusagen für finanzielle Unterstützung wollen sie keinem neuen "SAICM nach 2020"-Vertrag zustimmen.
Die Chemiefirmen müssen zahlen!
Dabei gibt es einen Weg, um schnell ausreichend Geld für den Aufbau gut funktionierter Chemiekontrollsysteme in allen Ländern einzusammeln: Es muss das Verursacherprinzip angewandt werden! Chemiefirmen sollten 0,5 Prozent ihres Umsatzes in einen Chemikaliensicherheits-Fonds einzahlen.
Die Umsetzbarkeit dieses Vorschlags wurde in gemeinsamer Arbeit von der Nichtregierungsorganisation CIEL (Center for International Environmental Law) und vom Netzwerk IPEN (International Pollutants Elimination Network) ausgearbeitet, dem auch der BUND angehört.
Publikationen zum Thema
Meldungen zum Thema
- Kinderkommission: Kinder und Jugendliche müssen stärker vor Umweltgiften geschützt werden
- Weltweiter Umgang mit gefährlichen Chemikalien und Abfällen: Umwelt- und Entwicklungsverbände ziehen kritische Bilanz
- Giftige Stoffe und Abfälle: Wissenschaftler*innen fordern globalen Chemikalienrat
- Umweltgifte für die Ewigkeit
- Filmtipp: Der Kampf gegen Giftstoffe im Kino
- Globale Gefahr durch Chemikalien stark unterschätzt
Hintergründe zum Thema
