Nach dem Abschalten – wie es mit der Atomkraft in Deutschland weitergeht

Der Rückbau der Atomkraftwerke alleine in Deutschland wird uns noch mindestens bis in die 2060er Jahre hinein beschäftigen. Gleichzeitig wird in Deutschland, trotz "Atomausstieg", Uran angereichert und Brennstäbe für den weltweiten Einsatz in AKW vorbereitet.

Mitte April 2023 sollen alle Atomkraftwerke in der Bundesrepublik vom Netz gehen. Doch was geschieht nach dem "Ausstieg"? Wenn ein Atomkraftwerk "abgeschaltet" wird, dauert es Jahrzehnte, bis an seiner Stelle eine "grüne Wiese" blühen kann.

Einfach Abreißen geht nicht – drei Varianten des Rückbaus von AKWs

Drei Wege stehen zur Auswahl, um ein Atomkraftwerk zurückzubauen: Der "sichere Einschluss", der "direkte Rückbau" oder der "Rückbau nach sicherem Einschluss". Beim "sicheren Einschluss" wird das AKW – zum Beispiel mit Hilfe einer Betonhülle – von der Biosphäre abgetrennt. Beim "direkten Rückbau" wird das Atomkraftwerk nach Ende des Regelbetriebs auseinandergebaut. Die verstrahlten Bauteile müssen vor Ort aufwendig zerlegt und, soweit möglich, gereinigt werden. Der "Rückbau nach Einschluss" ist eine Kombination beider Methoden: Das AKW wird für einen bestimmten Zeitraum eingeschlossen und erst einige Jahrzehnte später zurückgebaut. In Deutschland wird seit 2017 nur noch der direkte Abbau genehmigt.

Rückbau von Atomkraftwerken dauert teilweise Jahrzehnte – häufige Komplikationen

Zwei Beispiele für einen direkten Rückbau: Das AKW Greifswald am Ostseebad Lubmin war der größte Atomkraftwerkskomplex der DDR, fünf WWER-Reaktoren waren hier zuletzt in Betrieb. Der Rückbau der Anlagen läuft seit 1995, bis 2028 soll die Dekontamination aller Hauptanlagengebäude abgeschlossen sein. Erst dann kann mit dem konventionellen Abriss begonnen werden.
Das AKW Stade (KKS), rund 30 Kilometer westlich von Hamburg gelegen, war der erste ausschließlich kommerziell betriebene Druckwasserreaktor der Bundesrepublik. Nach dem Betrieb von 1972 bis 2003 sollte der Rückbau bis Anfang 2016 abgeschlossen sein. Wegen erhöhter Strahlenwerte am Sockel des Reaktors verzögert sich der Abriss jedoch. Der Rückbau inklusive des Abbruchs der Gebäude soll nun 2026 abgeschlossen sein.

Das Konzept des sicheren Einschlusses wurde lediglich für die Atomkraftwerke in Lingen (1985) und in Hamm-Uentrop (1993) genehmigt, wobei der Begriff "sicherer Einschluss" reichlich euphemistisch ist. Die gefährliche Strahlung verbleibt eingeschlossen im AKW: Naturkatastrophen, Anschläge, Unfälle und Materialermüdung können sie jederzeit entweichen lassen.

Entsorgung eines AKW: Ein langer, komplizierter Weg

Um zu verstehen, warum der Rückbau so lange dauert, muss man sich die Größenordnung des Vorhabens bewusst machen: Bevor mit dem Rückbau eines AKW begonnen werden kann, müssen die Brennelemente zuerst abgekühlt werden: Bis zu fünf Jahre liegen sie im Abklingbecken, bis sie in Castoren eingeschlossen zwischengelagert werden können. Die Entsorgung in eine tiefengeologisches Lager wird noch bis ins nächste Jahrhundert dauern. – sollte es dann ein Endlager geben. 

Das weit größere Problem stellt die Bausubstanz an sich dar: 1,8 Millionen Tonnen Abfall müssen zum Beispiel am AKW Greifswald entsorgt werden, ein Drittel davon ist radioaktiv verseucht. Der größte Teil dieser Abfälle kann gesäubert werden, rund drei Prozent bleiben stark radioaktiv. Dieser Müll wird gemeinsam mit den Brennelementen aus den Reaktoren dauerhaft eingelagert.

Damit ein Bauteil wieder in den Wertstoffkreislauf zurückkommen kann, muss es ein mehrstufiges Verfahren durchlaufen: Nach der Demontage, Zerlegung und Zerkleinerung werden die Bauteile mit Wasser, Sandstrahlern und Stahlkugelstrahlern gereinigt. Im Anschluss werden wiederholt Untersuchungen durchgeführt, ist ein Bauteil bei einer der Prüfungen belastet, kommt es zurück in die Dekontamination und muss den Kreislauf erneut durchlaufen.

Kritiker*innen hinterfragen die bei dieser Methode angesetzten Grenzwerte: Wann ist ein Bauteil wirklich ungefährlich? Hier müssen sich die Bürger*innen auf den Staat verlassen, wie so oft beim Thema Atomkraft, ohne absolute Sicherheit.

Wer bezahlt die Rechnung?

Der Rückbau von Atomkraftwerken verschlingt nicht nur viel Zeit, sondern auch viel Geld. In der Bundesrepublik sind die Atomkonzerne dazu verpflichtet, Gelder für den Rückbau zurückzulegen. Die ehemals staatseigenen Atomkraftwerke in der DDR hat die Bundesregierung Deutschland übernommen, somit auch die Kosten: Rund 6,5 Milliarden Euro soll alleine der Rückbau des AKW in Greifswald kosten.

Dass diese Kosten durchaus im Nachhinein steigen können, hat der Rückbau des AKW Würgassen in Nordrhein-Westfalen gezeigt: Siebzehn Jahre lang (bis 2014) wurde das AKW für mehr als eine Milliarde Euro rückgebaut. Kalkuliert waren indes nur Kosten von 500 Millionen Euro, also gerade einmal halb so viel. Und von "grüner Wiese" kann nach dem Rückbau in Würgassen keine Rede sein, da noch Gebäude auf dem AKW-Gelände verblieben sind. Deren Abriss wird sich noch um Jahrzehnte verzögern. Der Grund: Auf dem ehemaligen AKW-Gelände wurde – in Ermangelung eines Atommüll-Lagers – ein Zwischenlager für den schwach- und mittelradioaktiven Abfall eingerichtet.

Nach dem Ausstieg geht es weiter – mit der Urananreicherung

Nicht zu vernachlässigen ist, dass dem Atomausstieg zum Trotz bis heute mitten in Deutschland Uran für die Verwendung in Atomkraftwerken angereichert wird. Wenn die Bundesregierung tatsächlich aus der Atomkraft aussteigen will, dann muss sie auch aus der Urananreicherung aussteigen – alles andere ist inkonsequent.

BUND-Aktion vor dem im Rückbau befindlichen AKW Rheinsberg; Foto: BUND BUND-Aktion vor dem im Rückbau befindlichen AKW Rheinsberg

Warum unsere Arbeit gegen Atomkraft weiter geht:

Die letzten AKW sind bald vom Netz. Endlich. Doch die Gefahr schwelt weiter. Zum Beispiel in 16 unzu­rei­chend gesicherten Zwischenla­gern für hochradioaktive Ab­fäl­le. In Lingen und Gronau werden weiterhin Brennstoffe für ausländische AKW produziert.

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Juliane Dickel

BUND-Expertin für Energiepolitik, Klima und Atom
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