Zu kurz gedacht

14. März 2017 | Naturschutz, Lebensräume

Der von der Bundesregierung im Februar vorgelegte Entwurf des neuen Naturschutzrechts muss dringend nachgebessert werden. Was vor allem fehlt, sind Qualitätsmaßstäbe für den Biotopverbund und eine effektive Stärkung des Arten- und Meeresnaturschutzes, betont der BUND-Naturschutzexperte Magnus Wessel.

Neues Naturschutzrecht: Vor- und Nachteile Neues Naturschutzrecht mit Vor- und Nachteilen  (BUND)

Ursprünglich war die Novellierung des Bundes­naturschutzgesetzes auf die politische Agenda des Umweltministeriums gelangt, um Gesetzes­­­­lücken im Meeresnaturschutz zu schließen.

Doch anstatt rechtliche Grau­zonen zu klären, hat das von Barbara Hendricks geführte Ministerium mit seinem Gesetzes­entwurf neue Unsicherheiten geschaffen. Insbesondere das Meeresnatur- und Arten­schutzrecht muss gründlich überarbeitet werden. Noch können die Länder und der Bundestag im April und Mai versuchen, die gravierendsten Lücken zu schließen. Eine Anhörung im Umweltaus­schuss ist für Mitte Mai geplant.

Biotopverbund ausbauen

Sicherlich ist die im aktuellen Kabinettsentwurf geplante Frist zur Umsetzung des Biotopverbunds bis 2027 grundsätzlich begrüßenswert. Damit ein solches Projekt tatsächlich realisiert wird und auch Bestand hat, bedarf es allerdings weiterer gesetzlicher Vorkehrungen. Folgt man den bisherigen Bestimmungen, sind weder zusätzliche Maßnahmen zur Schließung der sich immer stärker aus­weitenden Lücken zwischen den Biotopen vorgesehen noch zur dauerhaften Sicher­ung der Lebens­räume. Tatsächlich müssen Bundesländer, die der landesweiten Vernetzung der Schutzgebiete bis 2027 nicht nachkommen, weiterhin keine Konsequenzen fürchten. Notwendig ist letztlich ein vom Bundestag verabschiedeter und mit dem Bundesverkehrswegeplan vergleichbarer "Bundesnetzplan Biotopverbund". Nur so kann die Umsetzung des länderübergreifenden Biotopverbunds gewährleistet werden.

Biotopschutz ausweiten und Artenvielfalt schützen

Die Aufnahme von nicht genutzten Höhlen und naturnahen Stollen in die Liste der geschützten Biotope ist nach Ansicht des BUND ein erster wesentlicher Fortschritt. Doch auch hier ist der Bundestag gefordert nachzubessern: Die in der Begründung aufgeführte Definition ist schließlich kaum geeignet, besonders wertvolle Lebensräume zu schützen und ihre ökologischen Funktionen dauerhaft zu erhalten. Zudem wird in der aktuellen Neufassung des Gesetzes die Bedeutung von Höhlen und Stollen für den Schutz von Pflanzen und Pilzen weitgehend ignoriert.

Damit besonders artenreiche und bedrohte Lebensräume umfassend erhalten bleiben, gilt es die Anzahl der bundes­weit gesetzlich geschützten Biotope zu erhöhen. Neben bedrohtem Grünland, Streuobst­wiesen und Hecken müssen vor allem zukünftige Wildnisgebiete, artenreiche Steilhänge und Bachschluchten auf die Liste geschützter Biotope. Ohne den gesetzlichen Schutz von Lebens­räumen lässt sich der dramatische Verlust der Artenvielfalt und der historischen Kultur­landschaften nicht stoppen. Be­sonders Artengruppen wie Schmetterlinge, Amphibien und Wildbienen, deren Lebensräume durch die industrielle Landwirtschaft besonders gefährdet werden, könnten von diesen zusätzlichen Schutzräumen profitieren.

Artenschutz stärken

Das Töten einzelner geschützter Tiere ist nach dem gegenwärtigen Entwurf nur noch dann verboten, wenn ihr allgemeines Risiko zu sterben dadurch "signifikant" erhöht ist. Was sich genau hinter diesem Begriff verbirgt, definiert nicht der Gesetzgeber, sondern bleibt den Naturschutz- und Planungs­behörden überlassen – ein wissenschaft­lich hochkomplexes Vorhaben, bei dem Miss­verständnisse und Rechtsstreite vorprogrammiert sind. Fest steht, damit wären Arten weniger geschützt als heute. Der Gesetzgeber läuft Gefahr, seinen Verpflichtungen aus der FFH- und Vogelschutz­richtlinie nicht nachkommen zu können und Europarecht zu verletzen.

Genauso unzureichend ausformuliert bleibt das Vorgehen bei Ordnungswidrigkeiten. Der BUND fordert: Wer nachweislich gegen die Maßnahmen zur Vermeidung von Tiertötungen verstößt oder gar unwirksame Maßnahmen umsetzt, muss belangt werden. Ein sinnvoller Umgang mit den in der Praxis entstehenden Umsetzungsproblemen des Artenschutzes, die auch vom BUND nicht abgestritten werden, muss grundsätzlich einen anderen Weg gehen: Es braucht bessere Regeln und Unterstützung für die praktische Umsetzung von Artenschutz durch Naturschutz- und Genehmigungsbehörden, ohne seine rechtlichen Grundlagen zu gefährden.

Meeresnaturschutz über Wirtschaftsinteressen stellen

In jedem Fall sind gravierende Änderungen im Meeresnaturschutz nötig. Entscheidend ist hier die geplante Einvernehmensregelung, die andere Ministerien künftig mit faktischen Vetorechten aus­stattet und sie in die Lage versetzt, vom Umweltministerium vorgeschlagene Maßnahmen zum Schutz der Meere zu blockieren. Zwar ermöglicht das neue Gesetz, zukünftig auch weniger pro­minente Artengruppen wie Rochen oder Muscheln bei Schutzbemühungen zu berücksichtigen. Doch solche Vorgaben haben nur wenig Konsequenzen für die Tiere, wenn effektive und regulierende Maßnahmen aufgrund der Einvernehmensregelung praktisch nicht mehr umgesetzt werden.

Dabei gilt laut der Roten Liste jede dritte Art in Nord- und Ostsee mittlerweile als gefährdet. Schon heute setzen sich beim Meeresschutz viel zu oft einzelne Wirtschaftsinteressen gegen das All­gemeinwohl durch. Den Beweis dafür liefern die Verhandlungen um die Natura-2000-Gebiete in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ). Die im vergangenen Jahr veröffentlichten Entwürfe der Naturschutzgebietsverordnungen sind von den anderen Ministerien in den letzten Monaten so stark verwässert worden, dass die Bundesregierung weder ihrem eigenen Koalitions­vertrag gerecht wird noch den EU-rechtlichen Verpflichtungen. Insbesondere das Wirtschafts- und das Landwirtschaftsministerium haben sich Ausnahmen in die Verordnungsentwürfe schreiben lassen, so dass in den Schutzgebieten weiter gefischt, Sand- und Kies abgebaut oder mit extrem lauten Schall­kanonen nach Öl und Gas gesucht werden darf. In der Konsequenz sind die neuen Regelungen absehbar rechtswidrig, der Bundesregierung drohen für ihre unzulänglichen Bemühungen im Meeresschutz Strafzahlungen vom Europäischen Gerichtshof.

Mehr Informationen

Informationen und Rückfragen bei:
Magnus Wessel
Leiter Naturschutzpolitik und -koordination
Kaiserin-Augusta-Allee 5,
10553 Berlin  
Tel. (030) 2 75 86-543
magnus.wessel(at)bund.net

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