Wunschtraum Werbefreiheit? Warum die Vision von Städten ohne Außenwerbung so schwer umzusetzen ist

23. April 2015 | Suffizienz, Nachhaltigkeit

Wer immer den Kampf für weniger Werbung in unseren Städten aufnimmt, muss mit Gegenwind rechnen. "Davon geht die Welt nicht unter!" "Gibt es keine dringenderen Probleme?" "Wozu die Aufregung?" Die Kritik kommt nicht nur seitens der "üblichen Verdächtigen" aus Werbeindustrie und Lobbygruppen, die (verständlicherweise) am etablierten System festhalten wollen. Nein, auch potentielle Verbündete machen einem das Leben nicht leichter.

Aktion der Initiative "Amt für Werbefreiheit und Gutes Leben"; Foto: Jan Korte Aktion der Initiative "Amt für Werbefreiheit und Gutes Leben"  (Jan Korte)

Ein Erfahrungsbericht aus Berlin von Jan Korte

Werbung im öffentlichen Raum: undemokratisch, nicht nachhaltig, manipulativ

Zusammen mit meinen MitstreiterInnen aus der Initiative "Amt für Werbefreiheit und Gutes Leben" habe ich 2013/14 versucht, im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, Werbung in der Stadt stark einzuschränken.

Werbung im öffentlichen Raum ist undemokratisch. Wer das nötige Kleingeld hat, kann sich das Stadtbild nach seinen Wünschen formen. Alle anderen können sich nicht wehren oder "zurückschreien", denn Reklame ist purer Monolog.

Werbung im Öffentlichen Raum verhindert Nachhaltigkeit anstatt sie zu fördern. Der einzige Zweck der Außenwerbung ist, den zum Konsumenten mutierten Bürger zum Kauf sinnloser Produkte zu verführen. In einer endlichen Welt setzt sie auf Dauerexpansion und fördert eine Kultur des Konsumismus: Kaufen als Lifestyle und Leitkultur. Unser Motto dagegen, frei nach der Wissenschaftlerin Uta von Winterfeld: Niemand soll immer mehr haben wollen müssen.

Und schließlich erfüllt Werbung im öffentlichen Raum ihren ursprünglichen Zweck als neutrale Produktinformation überhaupt nicht mehr. Stattdessen setzt sie alle Tricks des Neuromarketings und der Verführung ein, und verschweigt bewusst, wie viel CO2 so ein Wochenendflug nach Barcelona denn verursacht, unter welchen Bedingungen die Näherin in Bangladesch das T-Shirt nähen musste oder welch unendliches Leid das Schwein als späteres Schnitzel im Megastall ertragen muss.

Stadtweite Debatte in Friedrichshain-Kreuzberg

Mit einem "EinwohnerInnen-Antrag" haben wir das Thema Werbefreiheit schließlich als Beschlussvorlage auf die politische Agenda des Bezirks gesetzt. In den heißen Kreuzberger Sommermonaten sammelten wir dafür tausende Unterschriften bei Boulespielerinnen und Barbesitzern, bei Parkbesucherinnen und  Polo-Fahrern. Schließlich hat zum Thema Werbung fast jedeR eine Meinung. Der Herbst wurde dann ebenso heiß: Wir stellten unser Anliegen der werbefreien Stadt den Bezirksverordneten in teilweise zähen Ausschusssitzungen vor, besuchten die Fraktionen in ihren Hinterzimmern, organisierten öffentliche (und hitzige!) Debattenabende und gaben unzählige Interviews: BILD, Spiegel, ZEIT, ZDF, FAZ, Tagesspiegel – alle haben berichtet.

Sexismus-Verbot statt weniger Werbung

Und dennoch: Im Februar 2014 entschied sich die Bezirksverordnetenversammlung gegen unseren Antrag. Stattdessen stimmte man für ein Verbot von sexistischer und diskriminierender Werbung. Ein schöner Anfang, denn die einseitige Darstellung von Frauen als immer verfügbare Sexobjekte ist in der Tat äußerst problematisch. Das eigentliche Problem des manipulativen Mediums Werbung wird damit aber nicht gelöst. Nicht die Inhalte des Werbung sind das größte Problem, sondern ihre Wirkungsweise an sich.

Schade, denn die Berliner Politik hätte Geschichte schreiben können. So wird nun 2015 das französische Grenoble durch einen historischen Beschluss zur ersten (weitestgehend) werbefreien Stadt Europas. Schade auch deshalb, weil jeder Einwand, den die GegnerInnen der Werbefreiheit auch in Friedrichshain-Kreuzberg hervorgebracht hatten,  einfach zu entkräften gewesen wäre. Doch mit guten Argumenten kommt man beim Thema Außenwerbung leider nicht viel weiter. Das Problem ist politisch.

Und was wird aus den Arbeitsplätzen?

So war das häufigste Gegenargument ein alter Bekannter: Der drohende Verlust von Arbeitsplätzen. Im Falle eines Werbeverbots würden nicht nur unzählige lokale Werbe- und Kommunikationsagenturen massenhaft Leute entlassen müssen, so der Tenor der CDU-Vertreter im Bezirk. Nein, unser ganzes etabliertes Wirtschaftssystem würde zerfallen. Denn weniger Werbung bedeute weniger Konsum, bedeute weniger Umsatz, bedeute weniger Produktion, bedeute: richtig, weniger Arbeitsplätze. Doch sind übermäßiger Konsum und Wachstum nicht viel mehr das Problem als die Lösung? Und der Anteil der Außenwerbungs-Sparte in den Agenturen dürfte auch eher gering sein. Mit dem Arbeitsplatz-Argument kann man darüber hinaus einfach alles legitimieren: von Waffenhandel über Atomkraft bis hin zum Verzicht auf strengere C02 –Grenzwerte für neue Autos.

Aber Werbung informiert uns doch über neue Produkte!?

Mit einem Verzicht auf Werbung würden viele Produkte aber günstiger. Marketing kostet schließlich. So könnten dann die laut Prophezeiung alle arbeitslos werdenden Werberinnen in unabhängige Verbraucherberatungen wechseln. Denn mit "Verbraucherinformation" hat Werbung im 21. Jahrhundert nur am Rande zu tun. Schließlich verfolgt sie nur einen einzigen Zweck: die Menschen zum Kauf zu überreden. Da kann man die Wahrheit nicht immer auf dem Silbertablett präsentieren.

Das sozialdemokratische "Recht auf Dummheit"

Das seltsamste Argument kommt in der Kreuzberger Debatte aber von der SPD-Fraktion. Die Bürgerinnen und Bürger seien schließlich mündig genug, mit Werbung umzugehen. Wegschauen sei jederzeit problemlos möglich, so die Sozialdemokraten in einem Hintergrundgespräch mit der Bürgerinitiative. Außenwerbung trifft aber jeden, wie eine gleichnamige Kampagne des Fachverbands Außenwerbung im Jahr 2013 so entlarvend in die Welt hinaus posaunte. Ein Wegschauen ist eben nicht möglich. Daraufhin entgegnete man den Vertretern des Amts für Werbefreiheit, dass die Menschen doch selbst entscheiden sollten, inwieweit sie auf Werbung reinfallen wollen – für die SPD existiert eben "ein Recht auf Dummheit".

Konsumismus als Normalität

Grüne und Linke entgegneten uns in vielen Diskussionen, dass Werbung zwar nervig und ärgerlich sei, aber eigentlich doch nicht die Wurzel des Problems. Tenor: Verwendet Eure Energien lieber auf den Kampf für ökologischere Produktionsbedingungen, gegen Mietsteigerungen, eine bessere Umweltpolitik oder eine bessere finanzielle Ausstattung der Berliner Bezirke. Dann könne man auch über Werbung reden. Diese Argumentation verkennt leider, wie normal und omnipräsent die Reklame in der Stadt inzwischen geworden ist. Es wird als alternativloses Grundrauschen einfach hingenommen. Es ist aber der Konsumismus, der das Kaufen von immer mehr Produkten propagiert, der Suffizienz verhindert und gutes Leben schwierig macht.

Geld regiert die Welt: Werbung finanziert Brunnen, Busse, Toiletten und Fahrräder

Dass viele Städte trotzdem diesen "Pakt mit dem Teufel" eingehen, liegt aber eigentlich nur an einem Grund: dem Geld. Inzwischen finanzieren Werbeeinnahmen wichtige öffentlichen Aufgaben und stützen somit die kommunalen Haushalte. In Berlin betreiben die Außenwerber von der Wall AG die öffentlichen Toiletten und erhalten im Gegenzug stadtbildprägende Werbeflächen, gerne an gut einsehbaren großen Straßenzügen. In Friedrichshain-Kreuzberg bekommt die Firma Ströer vier große "Billboards" und überweist dafür zweckgebunden mehrere Hunderttausend Euro in den Bezirkshaushalt, um damit die öffentlichen Brunnen zu unterhalten. In Städten wie Paris und Lyon managt JCDecaux das beliebte Fahrradleihsystem und sichert sich das Monopol auf die Außenwerbung in der jeweiligen Stadt. Für uns Bürgerinnen und Bürger sind diese Arrangements keineswegs kostenlos. Schließlich bezahlen wir mit einem knappen Gut – unserer Aufmerksamkeit. Und je länger, je mehr die Außenwerber sich in den städtischen Haushalten unentbehrlich machen, desto schwieriger wird es, die visuelle Umweltverschmutzung zu reduzieren. Inzwischen treffen uns nämlich durchschnittlich ca. 6.000 Werbebotschaften pro Tag – das ist mehr als fünfmal so viel als noch in den 1980er Jahren. Das nennt man dann wohl einen Teufelskreis. Ich meine, öffentliche Aufgaben sollten auch öffentlich finanziert werden.

Wir sehen: Die guten Argumente sprechen in der Mehrheit für eine starke Einschränkung der Werbung im öffentlichen Raum – zumindest, wenn man an Nachhaltigkeit und globaler Gerechtigkeit interessiert ist. Doch mit guten Argumenten kommt man nicht immer weiter. Dennoch: Die Hoffnung auf konsum- und werbebefreite Innenstädte, sie stirbt zuletzt.

Zur Übersicht

BUND-Newsletter abonnieren!

BUND-Bestellkorb