Was das Corona-Virus mit dem Verlust von Lebensräumen zu tun hat

20. April 2020 | Lebensräume, Naturschutz, BUND

Zur Herkunft des Corona-Virus' kursieren in Deutschland viele Nachrichten, von denen eine Vielzahl eher als Verschwörungstheorie taugen, als denn zur Information. Deshalb will der BUND an dieser Stelle Spekulationen entgegentreten und stattdessen auf die wissenschaftlich belegten Fakten hinweisen. Viel zu wenig wird in der Diskussion zudem beachtet, dass die Zerstörung von natürlichen Lebensräumen einen wichtigen Faktor bei der Übertragung von Viren von Tieren auf den Menschen spielt.

Szene im chinesischen Wuhan, wo die Verbreitung des Corona-Virus' ihren Anfang nahm. Szene im chinesischen Wuhan, wo die Verbreitung des Corona-Virus' ihren Anfang nahm.  (Gwen24 / pixabay.com)

1. Zoonosen sind keine Seltenheit

Die aktuelle Covid-19 Pandemie ist Ende November/Anfang Dezember 2019 durch den Übergang des Sars-CoV-2-Virus von Tieren auf den Menschen entstanden (60 bis 70 Prozent aller beim Menschen neu auftretenden Infektionen stammen ursprünglich von Tieren).

Es handelt sich bei Sars CoV-2 nicht um ein von Menschen gemachtes Laborprodukt. Solche Infektionskrankheiten, die zwischen Wildtieren und Menschen übertragen werden, werden auch als Zoonosen bezeichnet. Zu den bekanntesten unter den über 200 existierenden Zoonosen zählen Tollwut, Pest sowie Influenza und Ebola. 

2. Die Pandemie begann auf einem Tiermarkt

Zoonosen können auf unterschiedliche Weise entstehen. Die gegenwärtige Pandemie nahm ihren Ursprung in einem Lebendtiermarkt in Wuhan, China. Die Tierhaltung auf solchen Märkten begünstigt den Transfer.

3. Viren entwickeln sich fort

Die Ursprungsarten, von denen das Virus kam, waren wahrscheinlich Fledermäuse, möglicherweise mit einem Pangolin, einem asiatischen Schuppentier, als Zwischenwirt. Solche Zwischenträger sind relevant, weil sich das Virus in ihnen fortentwickelt – der ursprüngliche Fledermaus-Virus wäre weit weniger infektiös gewesen. Es ist möglich, dass das Virus weitere Evolutionsschritte im Menschen vollführt.

4. Es ist nicht die erste Corona-Krise

Covid-19 ist nicht die erste Corona-Virus-Pandemie bzw. -Epidemie. Frühere schwere Corona-Virus-Ausbrüche waren Sars 2002/03 (ebenfalls in China und von Fledermäusen) und Mers 2012 (im Nahen Osten, von Kamelen). Corona-Viren sind hauptsächlich in den tropischen Regionen der Erde verbreitet; da die biologische Vielfalt in den Tropen am höchsten ist, überrascht es nicht, dass das auch für Krankheitserreger gilt. 

5. Zoonosen können überall entstehen

Tropische und subtropische Regionen haben jedoch kein Monopol auf Zoonosen. Die bisher tödlichste Pandemie, die sogenannte "Spanische Grippe" von 1916-18, hatte ihren Ursprung in den USA und wurde von den US-Truppen nach Europa gebracht. Andere tödliche Infektionskrankheiten wie die Pocken entstanden wahrscheinlich im Mittelmeerraum – und die Masern in Mitteleuropa. Es waren bislang vor allem Vögel, Nagetiere oder Primaten, in denen die meisten großen Pandemien der Geschichte ihren Ursprung hatten.

6. Unsere Fledermäuse sind harmlos und nützlich

In den Tropen sind Fledermäuse das wichtigste Reservoir von Corona-Viren. In Deutschland ist das anders: Die hier vorkommenden 25 Fledermausarten sind keine Überträger von gefährlichen Corona-Viren. Zudem sind Fledermäuse (die zu den weltweit am stärksten bedrohten Wildtieren zählen) unentbehrlich für die Funktion von Ökosystemen, von denen wir Menschen abhängig sind – in vielen Regionen sind sie z.B. wesentliche Bestäuber. 

7. Die Globalisierung beschleunigt die Verbreitung des Virus'

Da sich im Zeitalter der Globalisierung von Handel und Reisen Infektionen, die früher eng lokalisiert geblieben wären, schnell rund um die Welt verbreiten, müssen wir aus Covid-19 Lehren ziehen, um zum einen die Häufigkeit von Zoonosen und von ihnen verursachte Pandemien zu verringern und zudem auf zukünftige Pandemien besser vorbereitet zu sein. Die Globalisierung von Handel und Reisen hat keine Krankheitserreger erzeugt, ist aber ursächlich für ihre schnelle weltweite Verbreitung.

8. Wildtierhandel muss verboten werden

Aufgrund der Entstehungsgeschichte von Covid-19 ist es unstrittig, dass der unkontrollierte und illegale Wildtierhandel eine zentrale Rolle gespielt hat und in Zukunft verboten werden muss. Das gilt auch für den meist illegalen Handel mit seltenen Tierarten, der besser kontrolliert werden muss. Der Wildtierhandel ist jedoch nur einer von mehreren Wegen, auf denen Krankheitserreger von Wildtieren auf den Menschen übertragen werden; die Vorsorge darf sich nicht darauf beschränken.

9. Die Zerstörung von Lebensräumen ist eine wichtige Ursache

Die Schädigung von Ökosystemen ist ein weiterer wesentlicher Weg, auf dem Zoonosen entstehen, auf dem also Krankheitserreger (oft Viren) von Tieren auf den Menschen übergehen. Zwar ist es plausibel, dass mit mehr Arten auch mehr Erreger im einem Ökosystem existieren (sog. Amplification-Hypothese). 

Aber die Anzahl der Krankheitserreger, die in Wildtierpopulationen zirkulieren, ist letztlich nicht entscheidend für das Risiko, dass neue Krankheiten entstehen, die die Menschheit bedrohen. Dafür kommt es darauf an, ob Bedingungen existieren, unter denen diese Mikroorganismen von einer Art auf die andere und auch auf den Menschen übergehen können. Dafür ist unser Umgang mit der Natur entscheidend: In größeren und weniger dicht besiedelten Lebensräumen sind enge Kontakte und damit Übertragungsmöglichkeiten seltener (sog. Dilution Effect). 

Wenn wir jedoch diese natürliche "Sicherheitsmaßnahme" untergraben, bekommen wir Probleme. Wo der Mensch also Habitate von Tieren und Pflanzen stört, Landschaften verändert und vor allem die Nutzung intensiviert, gehen Lebensräume verloren. Das führt dazu, dass viele Arten verdrängt werden – und gleichzeitig besonders die Arten überleben, die höhere Populationsdichten aufweisen. Diese sind – deswegen sind sie dann ja häufiger als die verdrängten Arten – angepasster an den Menschen, was auch zu mehr Kontakten mit Menschen führt. 

Die Arten, die überleben oder einwandern, werden also gezwungen, sich in zunehmendem Maße Lebensräume mit anderen Tieren und dem Menschen zu teilen. Indem wir die natürlichen Barrieren zwischen Wirtstieren, in denen Erreger wie die Corona-Viren natürlicherweise zirkulieren, und uns reduzieren, schafft die Menschheit geradezu die Bedingungen für die Ausbreitung solcher Krankheiten. 

Das Problem liegt also nicht bei den Fledermäusen und anderen Wildtieren, sondern in unserem Umgang mit der Natur: Wenn wir die Tierwelt "in die Enge" treiben und es dadurch zu verstärkten direkten Kontakten kommt, treten Übertragungen vermehrt auf – und dabei spielen viele Tiergruppen eine Rolle. 

Auf diese Weise erhöht die Zerstörung und Fragmentierung von natürlichen Lebensräumen durch den Menschen die Häufigkeit, mit der aus Wildbeständen Krankheitserreger direkt oder durch übertragende Tiere (Vektortiere wie Mücken und Zecken, aber auch Nutztiere) auf Menschen überspringen. Während die genauen Übergangsmechanismen von Fall zu Fall variieren, ist der Gesamteffekt eindeutig, wie auch der Weltbiodiversitätsrat festgestellt hat.

10. Wir brauchen Regeln

Um die Verbreitung von Krankheitserregern und damit Pandemien zu vermeiden, sind weltweit Regelungen notwendig, die die Konfrontation mit Wildtieren, Erregern und deren Weitergabe beschränken bzw. den Transfer sicher gestalten, z.B. im internationalen Handel und Tourismus.

11. Wir können die Lebensräume jetzt schützen!

Die Vorsorge für die öffentliche Gesundheit ist damit ein weiterer Grund, warum der BUND es für dringend notwendig hält, dass die Zerstörung von Habitaten gestoppt wird. Mit den Verhandlungen zur Konvention für Biologische Vielfalt (CBD) und die Europäische Biodiversitätsstrategie besteht in diesem und im kommenden Jahr die Möglichkeit, den Schutz von Lebensräumen auf europäischer und globaler Ebene rechtsverbindlich festzuschreiben und bisherige Bestimmungen, auch aus Gründen der öffentlichen Gesundheit, zu verschärfen.

Der BUND fordert daher:

  • Den Schutz von Lebensräumen zu stärken muss eine der zentralen Aufgaben in der Rahmensetzung der CBD nach 2020 sein – und bei der 15. Konferenz (COP15) des Übereinkommens über die biologische Vielfalt im chinesischen Kunming im Frühjahr 2021 festgeschrieben werden.
  • Werden nach der Covid-19-Krise Einsparpotenziale gesucht, um die in der Krise zu Recht aufgenommenen staatlichen Schulden abzubauen, so darf dies keinesfalls zu Lasten des nationalen wie internationalen Umwelt- und Naturschutzes gehen. 
  • Deutschland muss trotz der durch die Corona-Krise entstandenen großen finanziellen Belastungen beim Kampf gegen die Zerstörung von Lebensräumen und der Ökosystemleistungen finanzielle Solidarität mit den Ländern des Südens zeigen. 

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