Stopp! Die Welt versinkt im Müll

14. März 2022 | Chemie, Ressourcen & Technik, Suffizienz, Nachhaltigkeit

Die Umweltverschmutzung durch Chemikalien und Plastik hat die Belastungsgrenzen des Planeten überschritten und bedroht unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Der BUND fordert Obergrenzen für Chemieproduktion und Ressourcenverbrauch.

Wasserverschmutzung  (Yogendra Singh / Pixabay)

Die Verschmutzung der Umwelt durch gefährliche und langlebige Chemikalien und (Plastik-)Abfälle ist außer Kontrolle. Weltweit ist die Stabilität von Ökosystemen, die unsere natürliche Lebensgrundlage bilden, unmittelbar bedroht. Zu diesem Schluss kommen Wissenschaftler*innen in einer Studie zur Bestimmung der planetaren Belastungsgrenze für sogenannte "neue Substanzen" (Novel Entities), die bislang noch nicht genau bestimmt worden war. Demnach hat die Verschmutzung durch Chemikalien und Plastik diese Grenze längst überschritten. 

Oder anders gesagt: Die rasant wachsenden Mengen an synthetischen Chemikalien und Stoffen, die erzeugt und als Emissionen oder Abfälle freigesetzt werden, übersteigt die Fähigkeit des Menschen, diese sicher zu behandeln und das Erdsystem vor dadurch verursachten irreparablen Schäden zu bewahren. Die Menschheit, so das Fazit der Forscher*innen, habe an dieser Stelle den sicheren Handlungsspielraum, der für ein sicheres und dauerhaftes Fortbestehen der Menschheit erforderlich ist, bereits verlassen. Es brauche eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft, die den Einsatz von Primärrohstoffen erheblich reduziert sowie Obergrenzen für die Chemikalienproduktion.

Dazu gehören auch die meisten Plastikmaterialien, die neben den 350.000 in Umlauf befindlichen Industriechemikalien, als besonders problematisch angesehen werden. Die chemische Verschmutzung fördert auch das Artensterben. So töten Pestizide auch viele nützliche Insekten, die für das ökologische Gleichgewicht unverzichtbar sind. Und Chemikalien, die natürliche Hormone nachahmen, gefährden nicht nur die Gesundheit der Menschen, sondern auch die Fortpflanzungsfähigkeit vieler Tierarten.

Viel zu viele Chemikalien im Umlauf

Neben den giftigen Eigenschaften, ist die Langlebigkeit vieler Stoffe ein besonderes Problem. Plastikabfälle und Industriegifte wie PCB, Fluorchemikalien und Pestizide werden von Wind und Wasser über den gesamten Globus verteilt, überdauern Jahrzehnte bis Jahrhunderte. Sie finden sich in der Arktis, in den Ozeanen und im Hochgebirge ebenso, wie im Blut von Menschen und Tieren oder in Pflanzen. 

Ständig kommen neue Substanzen auf den Markt. Die für deren Überwachung zuständigen Behörden kommen nicht mehr hinterher. Viele der im Umlauf befindlichen Chemikalien sind mangels belastbarer Daten nicht ausreichend auf ihre Risiken hin untersucht. Diese Entwicklung muss dringend gestoppt werden! Es braucht global gültige Vereinbarungen, um die chemische Verschmutzung zu stoppen. Chemieproduktion und der damit verbundene Ressourcenverbrauch muss erheblich reduziert werden, wenn wir Klimawandel und Artensterben aufhalten wollen.

Etwa alle zehn bis zwölf Jahre verdoppelt die globale Chemieindustrie ihre Produktion, verbraucht am meisten Energie und ist der drittgrößte Emittent von Treibhausgasen. Nahezu alle Grundchemikalien und Plastiksorten werden auf Basis von fossilen Rohstoffen hergestellt, vor allem Erdöl und Erdgas. Konzerne wie Ineos treiben mit billigem Fracking-Gas das Tempo der Plastikproduktion voran. Die Förderung und der Abbau von immer selteneren Rohstoffen vergiftet die Umwelt und zerstört immer mehr natürliche Lebensräume

Neue Erkenntnisse der Forschung

Lange Zeit seien die globalen Dimensionen der chemischen Verschmutzung nicht erkannt worden, sagte eine der Autor*innen der neuen Studie, Sarah Cornell. Es sei schwierig gewesen zu bestimmen, ob diese eine planetare Grenze überschritten habe, weil es keine früheren Bezugsgrößen gebe, wie etwa beim Klimawandel der vorindustrielle CO2-Gehalt in der Atmosphäre. 

Zur Bestimmung der tatsächlichen Belastung durch Chemikalien, wurden deshalb verschiedene messbare Faktoren kombiniert. Dazu gehören zum Beispiel die schnell steigenden Produktionsraten für Chemikalien und deren kontinuierliche Freisetzung in die Umwelt, begonnen bei der Förderung der dafür benötigten fossilen Rohstoffe. 

Im Ergebnis sehen die Autor*innen der Studie genügend Belege dafür, dass die planetare Belastungsgrenze für neue Substanzen bei weitem überschritten ist. So übersteige die Gesamtmasse an Plastik bereits die Gesamtmasse aller lebenden Säugetiere. Eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft in der Primär- durch Sekundärrohstoffe weitgehend ersetzt werden, sei deshalb enorm wichtig. Es brauche künftig eine strikte Regulierung von potentiell gefährlichen Stoffen, so die Forscher*innen, sowie eine Obergrenze für die Chemikalienproduktion.

BUND-Forderungen

Der BUND fordert deshalb eine neue nachhaltige Stoffpolitik, die darauf ausgerichtet ist, Stoffströme zu verlangsamen und zu verringern. Wenn wir Klima und Natur schützen wollen, muss das aktuelle Einbahnstraßen-Modell einer linearen Stoffstromwirtschaft "vom Abbau zur Deponie" durch eine konsequente Kreislaufwirtschaft zur Vermeidung von Abfällen ersetzt werden. Dazu muss die Herstellung, Verwendung und Freisetzung von Chemikalien und Abfällen durch völkerrechtlich verbindliche internationale Vereinbarungen geregelt werden.

Ein erster Schritt wäre eine starke Nachfolgevereinbarung zum Strategischen Ansatz für ein Internationales Chemikalienmanagement (SAICM), das 2023 bei einer großen Konferenz (ICCM5) unter deutscher Präsidentschaft verabschiedet werden soll. Das neue SAICM sollte aus Sicht des BUND vor allem verbindliche Aktionspläne zur Lösung der drängendsten Probleme in Ländern des globalen Südens sowie konkrete Vorschläge für eine finanzielle Beteiligung der globalen Chemieindustrie nach dem Verursacherprinzip enthalten. Und es sollte als Diskussionsplattform dienen, um ein künftiges, völkerrechtlich verbindliches UN-Abkommen für nachhaltige Chemikalien-, Ressourcen- und Abfallpolitik auf den Weg zu bringen.

Hintergrund: Was sind planetare Grenzen?

Die Belastungsgrenze für chemische Umweltverschmutzung ist die fünfte von insgesamt neun, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen bislang überschritten wurden. 2009 erregte Rockström et al. Weltweite Aufmerksamkeit mit der Publikation „A sage operating space for humanity“. Darin wurde ein wissenschaftlicher Ansatz zur Bestimmung der Stabilität unseres Planeten sowie von planetaren Grenzen für die Belastungen, die er aushalten kann ohne diese zu gefährden.

Insgesamt neun Prozesse wurden als entscheidend für die Stabilität des Systems Erde bestimmt und beschrieben. Eines davon heißt "neue Substanzen" (Novel Entitities) und beschreibt die Belastung der Umwelt mit sog. anthropogenen Substanzen sowie modifizierten Lebensformen etwa aus der synthetischen Biologie. Einen entscheidenden Anteil an den neuen Substanzen haben industriell hergestellte Chemikalien, Plastik und andere synthetische Stoffe, die in die Umwelt gelangen. 

Die Belastungsgrenze "Novel Entities" war damals mangels belastbarer Daten offengelassen und mit einem Fragezeichen versehen worden. Mit der jetzt vorgestellten neuen Studie "Outside the Safe Operating Space of the Planetary Boundary for Novel Entities" wurde das planetare Ausmaß der Umweltverschmutzung durch Chemikalien und Plastik jetzt erstmals quantifiziert. Erstellt wurde diese von einem internationalen Forschungsteam von 14 Wissenschaftler*innen aus Großbritannien, Schweden, Dänemark und der Schweiz.

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