Ostsee-Fangquoten 2022: Später Wendepunkt oder weiter Richtung Kollaps?

13. Oktober 2021 | Meere, Naturschutz

Jedes Jahr im Oktober entscheiden die EU-Fischereiminister*innen über die Fangquoten der Fischbestände in der Ostsee für das kommende Jahr. Viele Arten sind bereits jetzt gefährdet. Kann die diesjährige Entscheidung den Kollaps noch abwenden?

Grundschleppnetz voller Fische. Die Überfischung in Nord- und Ostsee hat gravierende Folgen.  (vinzenttrozenberg / istock)

Am 12.10. wurden die Fangquoten der Fischbestände in der Ostsee bekannt gegeben. Von der Entscheidung der EU-Fischereiminister*innen hängt ab, ob die Überfischung in unseren Meeren sich weiter verschärft. 

Die Wissenschaftler*innen des internationalen Rats für Meeresforschung (ICES) und die EU-Kommission forderten im Vorfeld die Fangquoten für viele Bestände drastisch zu senken.

Der EU-Fischereirat ist auf Druck der EU-Kommission den Empfehlungen des ICES zumindest in Teilen gefolgt. Denn die Fischbestände der Ostsee sind in einem katastrophalen Zustand.

Inzwischen befinden sich sechs von zehn außerhalb sicherer biologischer Grenzen. Das bedeutet, dass die Bestände nicht mehr groß genug sind, um sich selbst reproduzieren zu können. Ihr Überleben ist somit in Gefahr – eine Folge der jahrelangen Überfischung und des Klimawandels. Welche Arten sind betroffen?

Westlicher Dorsch

Der Dorsch in der westlichen Ostsee ist stark gefährdet. Der Bestand ist so klein, dass der Nachwuchs immer häufiger ausfällt. Erst im August 2021 hatte der Fischereibiologe Christian Möllmann von der Universität Hamburg eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass der Bestand einen Kipppunkt erreicht hat und sich auch ohne Fischereidruck in absehbarer Zeit nicht mehr erholen wird. Der ICES kam zu dem gleichen Ergebnis. Der Dorsch könnte also aussterben.

Der BUND hat deshalb in einem großen europäischen NGO-Bündnis gefordert, die Fischerei auf westlichen Dorsch einzustellen. Jetzt hilft nur noch ein konsequenter Fangstopp und die vollständige Schließung der Fortpflanzungsgebiete.

Östlicher Dorsch

Dem Bestand des östlichen Dorsches geht es nicht besser. Nach vielen Jahren der Überfischung ist die Biomasse inzwischen auf dem niedrigsten Stand seit 70 Jahren angelangt. Auch ohne Fischerei wird der Bestand sich kurzfristig nicht erholen können, da nur noch sehr wenige fortpflanzungsfähige Fische übrig sind. Anlandungen des östlichen Dorsches sind daher seit 2020 nur noch als Beifang erlaubt.

Westlicher Hering

Auch die Situation des westlichen Herings ist dramatisch. Der Bestand ist schon lange nicht mehr groß genug für eine erfolgreiche Fortpflanzung und seit fünf Jahren stagniert diese auf einem historischen Tiefpunkt. Neben der Überfischung macht auch die Klimakrise dem Hering zu schaffen: Die steigende Wassertemperatur hat den Fortpflanzungsrhythmus des Herings durcheinandergebracht. Die Larven schlüpfen zu früh und verhungern, weil es noch nicht genügend Plankton gibt. Der ICES empfahl für 2022 zum vierten Mal in Folge die Fischerei auf den westlichen Hering einzustellen.

Lachs

Lachse beginnen ihr Leben in Flüssen und wandern, wenn sie älter werden ins Meer. Am Ende ihres Lebens wandern sie dann zurück in den Fluss, in dem sie geboren wurden, um sich ein einziges Mal fortzupflanzen. Obwohl der Lachs in der Ostsee in zwei Beständen gemanaged wird, bestehen diese eigentlich aus mindestens 32 wilden Lachsbeständen, die sich in unterschiedlichen Flüssen fortpflanzen.

Fast allen wilden Lachsbeständen in der Ostsee geht es sehr schlecht und in vielen Flüssen werden kaum noch fortpflanzungsfähige Individuen gesehen. Der ICES empfiehlt seit vielen Jahren das Management grundlegend zu verändern: Lachse sollten nicht mehr im Meer in der sogenannten "gemischten" Fischerei gefangen werden, sondern in Flüssen. Damit könnte sichergestellt werden, dass die gefährdeten Lachsbestände geschützt werden.

Was muss geschehen?

Zusammengebrochene Fischbestände brauchen lange, um sich zu erholen: Der größte Heringsbestand der Welt, der Norwegische Frühjahrslaicher, brauchte mehr als 20 Jahre, um sich nach seiner Überfischung in den 60er Jahren zu erholen.

Die Zeit, einen vollständigen Kollaps' des Ökosystems in der Ostsee zu verhindern, wird knapp. Es ist daher unbedingt nötig, die Fangquoten nach wissenschaftlicher Empfehlung festzulegen und die Überfischung zu beenden. Doch es muss noch mehr getan werden!

Der BUND fordert weiterhin:

  • Alle Fischerei und ihre Fangmethoden müssen einer Umweltprüfung unterzogen werden, die neben Auswirkungen auf Lebensräume und Artengemeinschaften auch Klimafolgen einbezieht.
  • Fangquoten müssen in einem transparenten und fairen Prozess vor allem an Fischer*innen vergeben werden, die nachweislich schonend fangen.
  • Fischereikontrolle durch REM, Kameras und unabhängige Beobachter*innen muss verstärkt werden, um eine lückenlose Nachverfolgung von Fängen zu garantieren.
  • Zerstörerische Fischereimethoden müssen grundsätzlich verboten und schädliche Subventionen beendet werden.
  • Mindestens 50 Prozent aller Schutzgebiete müssen für die Fischerei gesperrt werden.

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