Oder-Katastrophe: "Angler sammelten die toten Fische ein"

17. August 2022 | Flüsse & Gewässer, Lebensräume, Chemie, Naturschutz

Sascha Maier ist BUND-Experte für Gewässerpolitik und Vertreter des internationalen Aktionsbündnisses "Lebendige Oder". Er war vergangene Woche selbst auf der Oder unterwegs und schildert im Interview seine Eindrücke von der Umweltkatastrophe.

Fischsterben in der Oder Tote Fische treiben auf der Oder.  (Sascha Maier)

BUND-Redaktion: Sascha, du warst bis vor kurzem noch selbst auf der Oder unterwegs. Wie hast Du die Katastrophe ganz persönlich erlebt?

Sascha Maier: Es war wirklich reiner Zufall, dass ich letzte Woche auf der Oder unterwegs war. Schon seit Längerem hatte ich eine Kajak-Urlaubstour geplant. Am Montag starteten wir im polnischen Örtchen Malczyce. Da schien die Welt völlig in Ordnung. Wir sahen Angler am Flussufer. Am Dienstag bekam ich eine SMS mit der Info zu toten Fischen bei Frankfurt (Oder) und wurde das erste Mal stutzig. Auf unserer Tour fiel uns aber nichts auf.

Mitte der Woche häuften sich dann die Meldungen, die ich mobil bekam. Und auch auf dem Fluss spürten wir Veränderungen: Menschen tauchten immer wieder am Ufer auf und warfen prüfende Blicke ins Wasser. Darunter auch Landwirte, denn am Ufer befinden sich oft Weideflächen und die Tiere trinken aus der Oder. Die Angler wurden weniger. Wir sahen erste Patrouillenboote und mit ein paar Brocken Polnisch und Englisch versuchten wir herauszubekommen, was los ist. "Water toxic" rief uns ein Mann von einem Boot aus zu.

Nun waren wir richtig alarmiert, zumal auch die Anzahl der toten Fische im Wasser stieg. Es waren keine Massen, wie wir sie jetzt im Fernsehen gesehen haben. Die schlimmste Welle schien bereits vorüber. Aber sie waren nicht zu übersehen. Und wir beobachteten Reiher, Seeadler, Störche und Waschbären, die Fischkadaver fraßen. Angler begannen, die toten Fische einzusammeln.

Meine Sorgen wuchsen quasi stündlich, an Urlaub war nicht mehr zu denken. Also setzten wir am Freitag bei Nietkowice unsere Boote aus und fuhren so schnell wie möglich nach Hause. Erst dann, in Berlin, wurde uns das wahre Ausmaß der Katastrophe deutlich.

Welche Folgen hat das Unglück auf die Flusslandschaft der Oder?

Wirklich absehbar ist das momentan noch nicht – und ich will mich auch nicht an Speku­la­tionen beteiligen. Denn wir brauchen erst Klar­heit, was wirklich geschehen ist und welche Sub­stan­zen in den Fluss geraten sind. Welche Schäden Pflanzen und andere Organismen genommen haben, können wir ebenfalls noch nicht abschätzen. Wir wissen aber, dass z.B. auch viele Muscheln verendet sind. Auch die Folgen für andere Tiere in der Nahrungskette sind noch komplett offen. Ich hoffe inständig, dass wir Glück haben und das Leben über die Nebenflüsse wieder in die Oder kommt.

Um den Ausbau der Oder als Wasserstraße streiten wir als BUND seit Jahren – bis vor Gericht. Auf polnischer Seite laufen die Aus­bau­arbeiten auch aktuell weiter. Siehst Du einen Zusammenhang zwischen dem Ausbau und der jetzigen Katastrophe?

Auf unserer Kajak-Tour haben wir selbst gesehen, wie in der Nähe von Nietkowice mit schwerem Gerät am Ufer gebaggert wurde. Da war die Katastrophe schon längst bekannt. Ein Unding! Denn Fakt ist: Die Aus­bau­ar­beiten sind ein zusätzlicher Stressfak­tor für die Fische. Bagger graben sich tief in die Uferbereiche ein, wirbeln Sedimente auf. In den Ablagerungen können sich "Altlasten" befinden, zum Beispiel Schwermetalle wie Queck­silber. Diese werden dann fortgetragen und lagern sich später an anderer Stelle wieder ab. Die Bauarbeiten müssen unterbleiben!

Was muss sich künftig ändern? Wie lassen sich solche Katastrophen verhindern?

Auch hier müssen wir mit der Einschätzung abwarten, bis wir die wirklichen Ursachen kennen. Aber für uns ist schon jetzt klar, dass mehrere Stress­faktoren zusammen­gekommen sind: erhöhte Temperaturen aufgrund der an­haltenden Hitze, niedrige Wasser­stände, die Bau­arbeiten zur Fluss­vertiefung, Nährstoff­einträge aus der Land­wirt­schaft sowie Schad­stoffe aus Abwasser­- und Regen­wasser­ein­leitungen oder Versickerungen. Dazu eine wahr­scheinlich giftige Substanz, die wir noch nicht kennen.

Was sich ändern muss? Wir müssen all diese Stressfaktoren verringern bzw. ganz beseitigen! Also weniger Dünger und Pestizide, die Gewässer belasten. Eine beschleunigte Energiewende, damit wir die Erderhitzung eindämmen. Kein weiterer Ausbau von Flüssen für die Schifffahrt bzw. Rückbau von Maßnahmen, die den natürlichen Lauf von Flüssen verändern.

Was tut der BUND für den Schutz der Oder?

Wir machen weiter Druck in der Politik: Wir brauchen auf Bundesebene ein Renaturierungspro­gramm. Dafür müssen Haushalts­mittel zur Verfügung gestellt werden. Denn Flussauen erfüllen eine Filterfunktion. Sie helfen dem Fluss, widerstandsfähiger zu werden. Auwälder spenden Schatten am Flussufer und schützen damit die dortigen Kinderstuben der Fische. Gesunde Auen sind die artenreichsten Lebensräume in Deutschland.

Und natürlich setzten wir unseren Kampf gegen den Ausbau der Oder fort. Er kann sich noch Jahre hinziehen, denn es ist ein Kampf vor Gericht. Gutachten, Stellungnahmen, Anwalts- und Gerichtskosten, ein zähes aber notwendiges Ringen für den Fluss. Und es kann in den nächsten Jahren noch "dicker" kommen, denn bisher setzt nur Polen die Ausbaupläne um. Aber auch auf deutscher Seite ist ein Ausbau der Oder in Planung...

 

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