"Nur gemeinsam können wir etwas bewirken!"

30. September 2020 | Wälder, TTIP / CETA, Lebensräume, Umweltgifte, Klimawandel

Vor einem Jahr brannte der Regenwald in Brasilien und die Welt war erschüttert. In diesem Jahr bestimmt die Pandemie die Berichterstattung. Dabei brennt es erneut im Amazonas und in anderen Gebieten Brasiliens, die Lage ist so prekär wie vor einem Jahr. Dazu kommt die Pandemie. Brasilien gehört zu den am stärksten betroffenen Ländern weltweit. Der BUND-Experte für internationale Klimapolitik, Martin Baumann, sprach mit Arthur Viana von "Amigos da Terra Brasil" – unserer Partnerorganisation in Brasilien – zur Entwicklung seit dem vergangenen September, zur aktuellen Lage in Brasilien und ihrer Arbeit vor Ort. 

Das Team von Amigos da Terra Brasil Das Team von Amigos da Terra Brasil. Die BUND-Partnerorganisation setzt sich für die Erhaltung des Amazonas-Regenwalds und der Lebensgrundlagen der ländlichen Bevölkerungsgruppen ein.  (Amigos da Terra Brasil)

BUND: Wie sah Eure Arbeit vor einem Jahr – im September 2019 aus?

Arthur Viana, "Amigos da Terra Brasil": Wir sind in verschiedene Regionen Brasiliens gereist und haben viele Menschen im Amazonasgebiet besucht. Darunter waren viele Indigene sowie afro-brasilianische Gemeinschaften und Kleinbäuerinnen und -bauern – also Gruppen, die durch den Vormarsch der Agrarindustrie, des Bergbaus und großer Infrastrukturprojekte für den Rohstoffexport bedroht sind. Diese Menschen leben in einer historisch gewachsenen Koexistenz und Harmonie mit der Natur und der lokalen biologischen Vielfalt. Ausgerechnet sie wollte Präsident Bolsonaro kürzlich in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung mit Lügen und falschen Anschuldigungen für die Brände im Amazonas verantwortlich machen. 

Wir pflegen schon immer intensive Beziehungen zu diesen ländlichen Bevölkerungsgruppen in Brasilien. Besonders diese traditionellen Gemeinschaften sind von der Landnahme betroffen. In ihren Gebieten sollen weitere Monokulturen (besonders Soja) und Weideflächen entstehen. Es ist immer der gleiche Kreislauf: Feuer werden gelegt, um Flächen zu entwalden, auf diesen Flächen wird dann meist Soja angebaut, verbunden mit einem intensiven Einsatz von Pestiziden. Diese verseuchen auch die anliegenden Gemeinden. Die Bewohner*innen werden vertrieben in die Armenviertel der Städte, und die Agrarindustrie nimmt sich einfach das Land. Diejenigen, die bleiben, werden bedroht und diejenigen, die kämpfen, sich organisieren und Widerstand leisten, sind ständig in Lebensgefahr, ohne jeglichen Schutz durch den Staat.

Wie helft Ihr den betroffenen Menschen?

Arthur Viana: Wir versuchen, die Betroffenen auf verschiedene Weise zu stärken: Zum Beispiel durch die Herstellung von Kommunikationsmaterial und die Verbreitung dieser Geschichten vor einem internationalen Publikum. Oder durch die Unterstützung von Treffen, die Organisation von Workshops und Schulungen. Wir bauen Solidaritätsnetze auf, die gerade jetzt äußerst wichtig für die Verteilung von Nahrungsmitteln und Hygieneartikeln sind. Uns ist wichtig, die Gemeinden im Umland der Städte mit sozialen Bewegungen zu verbinden und ländliche und städtische Gebiete zusammenführen. Nur gemeinsam können wir etwas bewirken! 

Welche Auswirkungen hatte und hat Covid-19 auf Eure Arbeit? 

Arthur Viana: Bis März 2020 waren wir in den betroffenen Regionen unterwegs. Dann mussten wir aufgrund der fortschreitenden Pandemie abbrechen und nach Porto Alegre zurückkehren. Seitdem sind unsere Aktivitäten direkt in den Gebieten, insbesondere in den traditionellen Gemeinschaften, ausgesetzt. Das Risiko, dass wir, die wir in der Stadt leben, das Virus in uns tragen, ist groß, wir müssen vorsichtig sein.

Die Auswirkungen der Pandemie in Brasilien sind katastrophal. Die Klassenunterschiede zeigen sich in diesen Zeiten von ihrer schrecklichen Seite: Zwar gibt es mehr Ansteckungen unter den Reichsten, aber die Mehrheit der Todesfälle tritt in den verarmten Bevölkerungsschichten auf. Dies hat natürlich schwerwiegende Auswirkungen auf die ländlichen Gemeinden, mit denen wir zusammenarbeiten.

Wir versuchen dennoch zu helfen: Gemeinsam mit anderen sozialen Bewegungen haben wir Tonnen von Lebensmitteln und Hygieneartikeln in Regionen, die besonders von Covid-19 betroffen sind, verteilt.

Aus der Ferne haben wir Treffen und Schulungssitzungen abgehalten, um den aus dem Gebiet kommenden Beschwerden nachzugehen. Wir organisieren Schulungen in digitaler Sicherheit und Kommunikation, die wir dann allen Partner*innen im Amazonasgebiet zur Verfügung stellen werden, damit sie autonom agieren und ihre eigenen Kommunikationsinhalte produzieren können.

Welche Aktivitäten plant Ihr für die kommenden Wochen und Monate? 

Arthur Viana: Neben den schon genannten Aktivitäten wollen wir zum Beispiel Kommunikationsgeräte anschaffen. Hier fehlt es oft an den Grundlagen: Mobiltelefone, Computer, Internet-Datenpakete. Auf diese Weise können sich die Regionen untereinander vernetzen und austauschen. Und so werden die Menschen auch gehört – selbst in Europa! 

Wir klären weiter auf, planen z.B. eine Publikation zum Mercosur-Abkommen. Dieses Freihandelsabkommen würde den Druck auf die Amazonasgebiete und andere Regionen Brasiliens noch verstärken, weil es die kommerziellen Interessen der Großkonzerne in den Vordergrund stellt. Diese sind aber die Hauptursache für die Umweltzerstörung und die Gewalt gegen die Landbevölkerung. Weitere Brände, Abholzung, Pestizide und Landraub wären die Folge. 

Wie können wir Euch von Deutschland aus unterstützen? 

Arthur Viana: Eine Möglichkeit besteht darin, Druck auf die deutsche Regierung auszuüben, damit sie sich gegen das Freihandelsabkommen zwischen dem Mercosur und der Europäischen Union ausspricht. Und Ihr könnt die Menschen in Deutschland über die Missstände hier informieren:

Das, was im Amazonasgebiet passiert, wiederholt sich im übrigen Brasilien und in Lateinamerika!

Diese Nachricht an die Menschen in Deutschland ist uns besonders wichtig: Alles hängt miteinander zusammen. Es handelt sich nicht um isolierte Angriffe, und es ist auch nicht nur die Schuld von Bolsonaro – obwohl er die Grausamkeit dieses kapitalistischen Entwicklungsmodells so gut verkörpert. Auch die Regierungen und Unternehmen Europas sind für das, was hier geschieht, mit verantwortlich. Deshalb müssen wir gemeinsam den Widerstand derer stärken, die am unmittelbarsten unter den Angriffen leiden – die ländlichen Gemeinden, die sozialen Bewegungen, die indigenen Völker. Es geht um den Kampf um die Souveränität dieser Völker in ihren Territorien. In Brasilien besitzen ein Prozent der Landeigentümer die Hälfte der gesamten produktiven Fläche. Das muss aufhören!

Aktuelle Impressionen aus dem Amazonas-Gebiet:

Bilder von den Bränden im Amazonas 2019:

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