Krieg in der Ukraine: "Ein zweites Tschernobyl dürfen wir nicht riskieren"

04. April 2022 | Atomkraft, BUND, Naturschutz

Evgenia Zasiadko leitet die Klimaabteilung der BUND-Partner-NGO "Ecoaction" in der Ukraine. Im Interview spricht sie über den Kriegsausbruch, Umweltschutz in Kriegszeiten und die Umweltverbrechen der russischen Armee.

Proteste gegen den Krieg in der Ukraine New York: Weltweit protestierten Menschen gegen den russischen Einmarsch in die Ukraine.  (Katie Godowski / pexels)

BUND-Redaktion: Hallo Zhenia, wie hast du den Ausbruch des Kriegs erlebt?

Evgenia Zasiadko: Als der Krieg ausbrach, war ich gerade mit meinen Eltern in Kharkiv. Das ist eine Stadt im Osten der Ukraine. Teile der Stadt wurden von der russischen Armee bombardiert und zerstört. Mittlerweile sind rund 70 Prozent der 1,5 Millionen Einwohner*innen geflohen. Darunter auch meine Familie und ich.

Und wie geht es dir und deinen Kolleg*innen von Ecoaction jetzt?

Die meisten meiner Kolleg*innen waren in Kyiv als der Krieg ausbrach. Tatsächlich hatten wir bereits vor dem Angriff der russischen Armee darüber gesprochen, was wir tun werden, sollte Russland die Ukraine angreifen. Unser Plan war, aus Kyiv nach Rivne zu gehen. Das liegt im Westen der Ukraine in der Nähe der Belarusischen Grenze. Allerdings hatten wir nicht mit dieser massiven Invasion der Russen gerechnet. Anstatt nach Rivne zu gehen, verteilten wir uns deshalb auf kleinere Dörfer, einige gingen zu Familienangehörigen in der Westukraine und wieder andere haben die Ukraine bereits verlassen: nach Tschechien oder Polen.

Hast du noch Kontakt zu deinen Mitarbeiter*innen?

Ja. Wir haben morgens häufig ein Online-Meeting. Wir versuchen uns gegenseitig, so gut es eben geht, zu unterstützen und zu informieren.

Klima- und Naturschutz haben wahrscheinlich gerade nicht die oberste Priorität. Woran arbeitet ihr bei Ecoaction aktuell?

Bei Kriegsbeginn haben wir erstmal unsere Kontakte in Russland und bei EU-Organisationen informiert. Wir mussten die Information verbreiten, dass wir von Russland massiv angegriffen werden. Wir haben auch versucht, von der Ukraine aus, Menschen auf die Straßen zu bitten und zu protestieren. Unterstützung kam dann auch aus einigen Ländern: Georgien, Deutschland, Ungarn, den USA und Schweden – aus Russland kam leider keine Unterstützung. Es gingen zwar ein paar Tausend Menschen auf die Straße, aber gemessen an der Bevölkerung von 140 Millionen war das natürlich zu wenig, um Auswirkungen auf den Krieg zu haben.

Arbeitet ihr trotz des Kriegs weiter an Umweltthemen?

Ja. Wir fokussieren uns gerade auf die Umweltverbrechen, die während des Kriegs begangen werden.

Unsere Arbeit zur Klimapolitik, also zum Beispiel zum CO2-Preis, pausieren wir natürlich erstmal. Allerdings machen wir uns für ein Embargo von russischen fossilen Energien stark. Auch Importe aus Venezuela, USA oder Dubai sind keine Lösung. Die Welt muss endlich die Erneuerbaren stärker ausbauen, die Energieeffizienz steigern und Krieg und Klimakrise beenden.

Was meinst du mit Umweltverbrechen?

Wir haben in den vergangenen Wochen zahlreiche offene Quellen durchforstet und nach Umweltverbrechen der russischen Armee gesucht. Mittlerweile haben wir mehr als 120 Vorfälle dokumentiert. Darunter ist die Besatzung von Atomkraftwerken, das Niederbrennen von Öl-Einrichtungen, Waldbrände, Schäden an Gaslagern, Wasserwerken und vieles mehr. Allerdings sind die Ausmaße der Umweltkatastrophe noch schwer einzuschätzen. Ein vollständiges Bild werden wir erst nach dem Krieg haben.

Hast du ein konkretes Beispiel für ein Umweltverbrechen?

Ja. Zum Beispiel was die Atomkraft betrifft: Wir sehen, dass Russland das Atomkraftwerk in Zaporizhzhia besetzt hat. In Kharkiv hat Russland eine nukleare Forschungseinrichtung mehrfach bombardiert. Es ist möglich, dass hier Strahlung ausgetreten ist.

Zum ersten Mal wird ein Krieg in einem Land mit so hohem nuklearen Potential ausgetragen. Die ukrainische Armee kann atomare Einrichtungen nicht mit Waffengewalt verteidigen. Das Risiko wäre zu groß. Russland scheint sich um dieses Risiko allerdings nicht zu scheren.

Wäre es nicht besser, die ukrainische Armee würde die Atomkraftwerke bewachen?

Nein. Es ist internationales Recht, Angriffe auf nukleare Einrichtungen zu vermeiden. Die ukrainische Armee hält sich an internationale Abkommen. Die Atomkraftwerke sind ein großes Risiko – nicht nur für die Ukraine. Ein zweites Tschernobyl dürfen wir nicht riskieren.

Im Grunde sind Atomkraftwerke trotz ihrer Sicherheitssysteme auch in Friedenszeiten eine Gefahr. In Kriegszeiten steigt das Risiko enorm, deshalb dürfen sie nicht angegriffen werden.

In der Ukraine gibt es fünf Atomkraftwerke. Wie wahrscheinlich ist es, dass Russland sie besetzt und was würde das für die Stromversorgung der Ukraine bedeuten?

Russland hat bereits angekündigt, dass es Strom aus dem besetzten Atomkraftwerk in Zaporizhzhia auf die Krim umleiten will. Unsere Energieexpert*innen halten das für nicht umsetzbar. Aber ja, es zeigt, dass Russland Atomkraftwerke besetzen kann und damit etwas anstellen will. Die ukrainische Regierung und das Militär arbeiten daran, die Stromversorgung aufrecht zu erhalten. Trotzdem waren Städte wie Mariupol wochenlang ohne Strom. Insgesamt sind bereits mehr als 1.300 Siedlungen ohne Strom.

Lass uns noch einmal über die Umweltverbrechen sprechen. Im Osten der Ukraine gibt es viele Minen. Einige von ihnen könnten geflutet werden. Das würde das Grundwasser verseuchen. Habt ihr dazu bereits Informationen?

Der Krieg in der Ukraine hat ja nicht erst am 24. Februar begonnen. Seit 2014 sind die Gebiete um Donetsk und Luhansk von pro-russischen Separatisten besetzt. In den vergangenen acht Jahren, hatten wir keinen barrierefreien Zugang zu diesen Gebieten, daher gibt es auch keine verlässlichen Informationen über die Umweltschäden in der Region.

Aber ja, das Grundwasser ist ein echtes Problem. Am 7. März gab es einen russischen Angriff auf die Energieinfrastruktur in der Region Luhansk. Daraufhin wurde eine Kohlemine bei Zolote geflutet.

Wie bekommt ihr überhaupt Informationen aus diesen Gebieten?

Wir sind auf frei zugängliche Quellen angewiesen, werten Bilder und Videos aus, die die Menschen vor Ort in den sozialen Medien posten. Und wir beziehen Informationen von lokalen und nationalen Medien.

Können euch Menschen außerhalb der Ukraine irgendwie unterstützen?

Wichtig ist erstmal, weiter darüber zu berichten, was hier passiert. Außerdem müssen wir gemeinsam dafür sorgen, dass Russland für die Umweltverbrechen bezahlt. Wir brauchen dabei die Unterstützung aus dem Ausland und von NGOs. Ich hoffe sehr, dass uns die Welt unterstützt, bis dieser Krieg beendet ist. International agierende Unternehmen müssen ihre Geschäfte mit Russland einstellen und Länder sollten russisches Öl und Gas nicht weiter importieren.

Warum ist ein Importstopp von Öl und Gas so wichtig für euch?

Die EU hat vor Kurzem vorgeschlagen, russische fossile Energie noch bis 2027 zu importieren. Das sind weitere fünf Jahre. Fünf Jahre, in denen ihr Russland für seine Verbrechen bezahlt. Mit diesem Geld finanziert Russland den Krieg. Das Mindeste, was die EU machen könnte, wäre, das Geld vorerst in einen Fonds zu zahlen und nach dem Krieg an Russland zu übergeben. In jedem Fall muss diese Abhängigkeit so schnell wie möglich enden. Wir haben keine fünf Jahre. Menschen sterben hier jeden Tag.

Gibt es noch etwas, das NGOs wie der BUND tun können?

Viele NGOs verbreiten Statements über den Krieg, aber benennen Russland nicht als den Aggressor. Aber abstrakt an den Frieden zu appellieren, hilft uns nicht. In diesem Krieg gibt es nur einen Aggressor und das ist Russland. Deshalb muss Russland den Krieg auch beenden. Die Ukrainer*innen haben diesen Krieg nicht angezettelt. Sobald wir sicher sind, werden wir die Waffen niederlegen.

Außerdem würde es helfen, wenn NGOs das Embargo von fossilen Energien aus Russland unterstützen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview haben wir auf Englisch geführt und ins Deutsche übersetzt. Die Fragen stellte Leonhard Rosenauer.

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