Interview: „Untätigkeit und Zaudern werden Afrika zu einer gefährlichen Situation verdammen“

18. November 2022 | Klimawandel, Energiewende, Lebensräume, Ressourcen & Technik

Im ägyptischen Sharm El-Sheikh laufen derzeit die UN-Klimaverhandlungen COP27. Der BUND ist als Teil der Delegation von Friends of the Earth International vor Ort. Wir haben mit Ubrei-Joe Maimoni Mariere gesprochen, der bei unserer Partnerorganisation Friends of the Earth Africa das „Climate Justice and Energy Programme“ koordiniert. Er hat die „African People’s Counter COP“ mitorganisiert, um die Perspektive der afrikanischen Zivilgesellschaft sichtbar zu machen und ist Teil der „Don’t Gas Africa“ Kampagne, die sich gegen einen Ausbau der Gasförderung auf dem afrikanischen Kontinent ausspricht.

Ubrei-Joe Maimoni Mariere ist Climate Justice and Energy Program Coordinator bei Friends of the Earth Africa

Im Vorfeld der COP27 hast du die zweite „African People’s Counter COP“ mitorganisiert. Was ist das Ziel dieser Veranstaltung?

Im Jahr 1992 hat die UN die „United Nations Framework Convention on Climate Change“ (UNFCCC) als eine Reaktion auf die drohende Klimakrise in Leben gerufen. Nach 26 Jahren Verhandlungen haben die UNFCCC und ihre jährlichen Verhandlungen, die COPs, jedoch kaum Fortschritt in Richtung echter Lösungen gegen die Klimakrise gemacht. Das liegt daran, dass die Agenda und Aktivitäten verzerrt wurden, um die Profitinteressen mächtiger Konzerne und mit ihren verbündeter Regierungen zu schützen. Konzerne und wohlhabende Regierung, zusammen mit einigen Teilen der Wissenschaft, untergraben Lösungsansätze, die das Kernproblem der Klimakrise adressieren. Es sind dringend ein Ende der Förderung fossiler Energieträger, die De-Industrialisierung der Landwirtschaft und eine rapide Reduktion des verschwenderischen Konsums im globalen Norden nötig.

Die UNFCC hat es bislang nicht geschafft, Regierungen und Konzerne dazu zu bringen, ihre Verpflichtungen einzuhalten, um die Klimakrise aufzuhalten. Afrika erhitzt sich und das Klima verändert sich hier viel schneller als in anderen Regionen. Fehlgeleitete Aktivitäten, Untätigkeit und Zaudern werden Afrika zu einer gefährlichen Situation verdammen. The COP ist ein Ort für Handelsgespräch, kosmetische Versprechen und einer Vermeidung von Verantwortung, während wir dringend echte Lösungen angesichts der zunehmenden Klimakrise rund um den Globus brauchen. Auf der COP drängen große Emittenten zum Beispiel auf das Konzept von „net zero“ (dt. Netto Null) anstelle von „real zero“. Die Idee dahinter ist, dass ein Akteur weiter wie gewohnt Emissionen ausstoßen oder diese sogar vermehren kann und diese Emissionen dann auf verschiedene Arten ausgleichen kann.

Daher haben sich die Menschen in Afrika, ihre sozialen Bewegungen und die Zivilgesellschaft entschieden, sich zu einer „gegen-COP“ zu versammeln, um unser Wissen und unsere Perspektiven zu teilen und ein gemeinsames Verständnis und Fürsprache für echte Lösungen für Afrika zu entwickeln! Wir wollen außerdem unsere Regierungen und Institutionen dazu aufrufen, auf der COP27 in Sharm El Sheikh und in allen anderen UNFCCC Prozessen die Interessen der Menschen in Afrika und des Planeten zu vertreten.

Was ist die Botschaft, die ihr von der Counter COP in die COP27 trägt?

Die Counter COP hat die folgenden Forderungen aufgestellt:

  1. Klimafinanzierung soll erhöht werden, um die gesteckten Ziele zu erreichen; sie sollte in Form von Subventionen und ohne die Schaffung neuer Schulden oder die Auferlegung repressiver Bedingungen geschehen. Sie sollte auf die vulnerabelsten Gemeinschaften zielen, die an der Frontlinie der Klimakrise stehen, unter anderem Frauen, die in ländlichen Gegenden Nahrung anbauen.
  2. Es sollte klare Zusagen zum Thema Schäden und Verluste geben. Es ist nötig, sicherzustellen, dass das Prinzip der historischen Verantwortung für „Klima-Schulden“ von großen Verschmutzern aufrechterhalten wird und dass unterdrückte indigene und andere lokale Gemeinschaften in Afrika und dem Globalen Süden entsprechend dem Schaden, der für sie durch die Klimakrise entsteht, entschädigt werden. Der Globale Norden muss gerecht die Schäden und Verluste derjenigen kompensieren, die am vulnerabelsten und weniger verantwortlich für die Zerstörung der Umwelt sind. Es ist nötig, dass der „Glasgow Dialogue“ von einer Verhandlungsplattform mit offenem Ende zu einer zu einer Notfalleinrichtung mit Rechenschaftspflicht werden.
  3. Ernährungssouveränitat aufbauen: die bäuerliche Agrarökologie und andere nachhaltige Modelle der Nahrungsproduktion und –distribution, die auf Ernährungsouveränität als Alternative zum industrialisierten Nahrungssystem basieren, sollen Anerkennung, Respekt und Untersützung erfahren. Lokale Initiativen sollten Nahrungssysteme stärken und Ernährungssouveränität von Frauen und Kleinbäuer*innen muss durch nationale und internationale Mittel bedingungslos gefördert werden. Regierungen sollten das nationale Budget für Landwirtschaft erhöhen und lokale Samen schützen.
  4. Stoppt die Finanzierung falscher Lösungen: alle falschen Lösungsansätze (inklusive net zero, der gescheiterte Emissionshandel und die Kompensation von Emissionen, beispielweise durch den Clean Deveopment Mechanism), so genannte naturbasierte Lösungen und andere techno-fixes wie Geo-Engineering
  5. Fossile Energieträger müssen im Boden bleiben: Die Regierungen im Globalen Norden und im Globalen Süden und die Finanzgeber der globalen Öl-, Gas- und Kohleindustrie müssen die Erschließung neuer Projekte einstellen. Unsere Regierungen müssen die bereits existierenden Reserven für einen phase-out Plan verwenden und sich zu einer gerechten Energiewende verpflichten.

Viele Europäische Länder versuchen derzeit, von russischem Gas unabhängig zu werden. Daher gibt es ein gestiegenes Interesse an Gasförderung auf dem afrikanischen Kontinent. Zum Beispiel plant Bundeskanzler Scholz eine Kooperation mit dem Senegal und es gibt erneute Gespräche über Pipeline-Projekte. Du bist Teil der „Don’t gas Afrika“ Kampagne, die sich gegen diese Entwicklung auflehnt. Was ist deine Vision für die Zukunft der Energieversorgung auf dem afrikanischen Kontinent?

Der globale Energiesektor wird von fossilen Energieträgern dominiert und unsere Vision ist, dass die Welt schnell zu erneuerbaren Energiequellen wechselt, wie z.B. Sonne und Wind. Die Energiewende stellt Afrika vor Schwierigkeiten, sowohl in Bezug auf Technik als auch auf Kosten.

Die Staatsoberhäupter und Eliten in Afrika haben sich die gestiegene Nachfrage nach Öl und Gas in Afrika zu Nutze gemacht, um eine Reihe von Europäischen Funktionsträgern und Diplomaten zu treffen, die falsche Narrative verbreiten.  Heutzutage haben sich diese Afrikanischen Politiker diese Narrative zu eigen gemacht und verwenden die Sprache der Klimagerechtigkeit, um den „gas rush“ in Afrika zu legitimisieren. Leider wurden sie dazu gebracht, zu glauben, dass der Kontinent nur auf der Basis von Öl- und Gasproduktion aufgebaut werden kann. Ein aktuelles Papier der Afrikanischen Union zum Thema „Energy access and transition“ legt keine konkreten Pläne vor, um erneuerbare Energien als Teil einer Energiewende auszubauen, sondern verspricht nur ein Afrika, das von Öl und Gas angetrieben wird, obwohl das eine große Gefahr für die Entwicklung, Gesundheit, Biodiversität und unser Klima darstellt.

Es gibt auch Initiativen von Deutschen und Europäischen NGOs, eure Kampagne zu unterstützen. Wie kann die Zivilgesellschaft in Deutschland und/oder Europa eure Kampagne sinnvoll unterstützen? Und was sind deine Forderung an deutsche und europäische Politiker*innen?

Diese Kampagne ist sehr schwierig und braucht viel Graswurzel-Mobilisierung, die zu nationalen und regionalen Bündnissen führt. Um das zu erreichen, sollten NGOs in Deutschland und Europa Afrikanische NGOs bei der Mobilisierung von Ressourcen unterstützen, damit sie eine strake Bewegung gegen die Förderung des Gases aufzubauen. Die Zivilgesellschaft in Deutschland und/oder Europa sollten eine koordinierte Kampagne mit Aktionen und gemeinsamer Pressearbeit unterstützen, die offenlegt, wie die Europäischen Staaten Afrika und eine Klimakrise stürzen.

Unsere Forderungen an Deutsche und Europäische Politiker*innen ist, dass sie Klimafinanzierung leisten müssen, um für Schäden und Verluste in Afrika zu bezahlen und Finanzen für 100% erneuerbare in Afrika zu Verfügung stellen, anstatt weiterhin Afrikanische Ressourcen auszubeuten und die Region in Gefahr bringen, gekocht zu werden.

Was inspiriert dich, dich weiterhin im Aktivismus gegen die Klimakrise zu engagieren?

Wir haben die dringende Notwendigkeit gesehen, die Klimakrise anzugehen, die schon jetzt die ärmsten und vulnerabelsten Menschen in Afrika betrifft. Zusätzlich zu vielen Generationen, die unter Kolonialismus und Ausbeutung gelitten haben, sind die Afrikaner*innen jetzt der Zerstörung und Enteignung ihrer grundlegendsten Ressourcen wie Land, Wasser und Wälder ausgesetzt und Verschmutzungen für extraktive und schmutzige Kriege, Energieprojekte, die Agrarindustrie und noch viel mehr. Wir sind sehr frustriert über die Straflosigkeit für die Zerstörung unserer Umwelt und die Vertreibung der Menschen. Uns inspiriert der Slogan, dass in einer ungerechten Gesellschaft Schweigen einen Verrat darstellt.

Der BUND solidarisiert sich mit der Kampagne und hat einen Brief an die EU-Kommission sowie die Regierungen von Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien mitgezeichnet, der ein Ende aller Förderung von fossilen Infrastrukturprojekten im Ausland, eine rapide Reduktion des Energieverbrauchs in Europa sowie die Unterstützung der Energiewende auf dem afrikanischen Kontinent fordert.

Weitere Informationen

Originalinterview

Ahead of COP27, you organised the second edition of the African People’s Counter COP. What is the purpose of this event?

In 1992 the UN instituted United Nations (UN) Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) as a response to the impending climate crisis. However, over the last 26 years, the UNFCCC and Conference of Parties (COPs), as annual spaces for the negotiations - have been unable to progress towards real solutions to the climate crisis. This is because its agenda and actions have been skewed to preserve the profit-driven vested interests of powerful corporations and their allies in governments. Corporations and rich governments, and some parts of the scientific community, undermine solutions that address the core causes of climate change. What is needed is an end to fossil fuels extraction, the deindustrialization of agriculture, and a rapid reduction in wasteful consumption in the developed parts of the world.

The UNFCCC has so far failed to get governments and corporations to make good on their commitments and methods needed to stem the climate crisis. Africa is also heating up and the climate is changing much faster than other regions and misguided action, inaction and dithering will doom Africa to a perilous situation. The COP is an avenue of trade talks, cosmetic pledges, and avoidance of responsibilities, when we urgently needreal actions despite the growing climate crisis across the globe. COP 26 is already toeing this part with the strong push for net zero by big polluters instead of real zero. The idea behind Big Polluters’ use of “net zero” is that an entity can continue to pollute as usual or even increase its emissions—and seek to compensate for those emissions in a number of ways.

For this reason, the African people, their social movements and civil society decided to gather to organize a counter COP to share our knowledge and perspectives and build a common understanding and advocacy towards real solutions for Africa! We also want to challenge our governments and African institutions to go into the forthcoming COP27 in Sharm El Sheikh or any other UNFCCC processes and negotiate in the interests of our African people and planet.

What is the main message you are taking from the Counter COP into the COP?

The counter COP makes some of the following demands: See the full document here.

  1. Climate financing should be increased to meet the set target; it should be in the form of grants and without any debt- creating and repressive conditions. It should be targeted towards the most vulnerable communities at the frontline of the climate crisis in Africa including rural women food producers.
  2. Clear commitments should be made on ‘loss and damage’ reparations. There is a need to ensure that the historical ‘polluter-pays’ responsibilities for the ‘climate debt’ that large polluters owe is honoured and paid to oppressed indigenous and other local communities in Africa and rest of the Global South according to how the climate crisis is impacting them. The Global North must fairly and justly compensate for the loss and damage experienced by those who are most vulnerable, and often less responsible in the destruction of environments. There is a need to advocate for the Glasgow Dialogue to move from an open ended negotiating platform on loss and damage to an emergency facility with accountability frameworks.
  3. Build Food Sovereignty: Recognize, respect and support peasant agroecology and other real sustainable food production and distribution models grounded on food sovereignty as alternatives to the industrialized food system. Local level initiatives should strengthen food systems and food sovereignty by women and peasants and must be supported by national and international resources without any conditions. Governments should increase national budget allocations to agriculture, and protect local seeds and seed systems, guided by the principle of Free, Prior and Informed (and Continuous) Consent by small-scale food producers and consumers.
  4. Stop financing false Solutions: Abandon all false solutions (including net zero, failed emissions-trading and offsetting mechanisms, such as clean development mechanism (CDMs), so-called nature-based and other techno-fix false solutions like geo-engineering, sequestration in monocultures, dangerous genetic modification and manipulation). Nuclear energy, big dams, and ‘Green’ and ‘blue’
  5. Leave Fossil Fuels Underground: Governments of the Global North and Global South and the financiers of the global oil, gas and coal industries must stop all new exploration. Our governments must redirect existing reserves towards a sovereignty agenda of phasing out of fossil fuels and commit to a just energy transition.

Because many European countries are trying to become independent from Russian gas, there is an increased interest in gas exploration on African countries. For example, German chancellor Scholz is planning cooperation with the Senegalese government and there are renewed talks on the Trans Saharan Gas Pipeline. You are part of the “Don’t gas Africa” campaign that opposes this development. What is your vision for the future of energy on the African continent?

The global energy sector is dominated by hydrocarbons and our vision is for the world to swiftly shift to renewable energy sources, such as solar, and wind. The energy transition process is a big constraint for the African continent, both in terms of technological needs and cost.

Taking advantage of the increase oil and gas demand in Africa, its leaders and elites have hosted a variety of European officials and diplomats who are spreading false narratives. As at today, these African leaders and elites have been misappropriating the narratives, framings, and language of climate justice to legitimize the gas rush in Africa. Sadly, our African leaders have been cowed into believing that the continent can only be built based on proceeds from oil and gas projects. A recent African Union Common Position paper on Energy Access and Transition makes no concrete plans for scaling renewable energy production as part of an energy transition but  it only promised an Africa driven by coal, oil & gas extraction despite the threat they pose to development, health, biodiversity, and our climate.

In line with the above, the future of Africa energy is built on fossil fuels and other dirty energies. But my vision for the future of energy on the African continent is the energy system that is based on the principles of  energy sufficiency for all, energy sovereignty, energy democracy, energy as a common good, 100% renewable energy for all, community-owned, low-impact renewable energy programs. An energy system the will result in the phase-out of fossil fuel production and consumption, with equity at the core.

4.           There are also initiatives by German and European NGOs to support you campaign. How could the civil society in Germany and/or Europe support your campaign in a meaningful way? And what are your demands towards German and European political leaders?

This campaign is a very though campaign that needs really grass roots mobilization that will translate into national and regional movement building. To achieve this, CSOs in Germany and Europe need to support African CSOs in terms of resource mobilization to be able to a strong movement against the gas push on Africa. Civil society in Germany and/or Europe need to support real coordinated campaign and action and joint press statements to expose how the European leaders are forcing Africa into real climate crisis.

Our demands towards German and European political leaders is for them to pay up their climate finance to support loss and damage in Africa, provide finance for a 100% renewable plan for Africa instead of continuing on the path of plundering African resources and expose the region to being cooked.

5.           What inspires you to keep being involved in activism to fight for climate justice?

We have seen the urgent needs to tackle the climate crisis that is already impacting some of the poorest and most vulnerable people in Africa. On top of generations of colonialism and exploitation, now Africans face further destruction and dispossession of their most basic resources in the form of land, water, and forest grabbing and polluting for extractive and dirty wars, energy projects, agribusiness and more. We are total dissatisfied with the impunity on our environment and the dislocation of our people. We are inspired by the slogan that says silence would be treason in the midst of unjust society.

 

 

 

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