Hormonelle Schadstoffe: Steigender Einfluss von Industrielobbyisten unter TTIP und CETA

15. September 2016 | TTIP / CETA, Chemie

Am Beispiel der EU-Regulierung riskanter hormonell wirksamer Chemikalien – sogenannter endokriner Disruptoren (EDC) – hat der BUND die versuchte Einflussnahme von Industrielobbyisten sowie der kanadischen Regierung auf den Gesetzgebungsprozess nachgewiesen. Ein neues Rechtsgutachten der Umweltrechtsexpertin Cornelia Ziehm im Auftrag des BUND zeigt in Verbindung mit einer aktuellen Analyse des Gesetzgebungsprozesses zu EDC, dass die geplante regulatorische Kooperation in CETA, dem Handelsabkommen der EU mit Kanada, erhebliche negative Folgen für Bestand und Fortentwicklung des Umweltrechts in der EU haben würde.

Demonstration gegen CETA und TTIP in Berlin Demonstration gegen CETA und TTIP in Berlin  (Jörg Farys / BUND)

Es war abzusehen, dass die Beteuerungen von EU-Kommission und Bundesregierung nicht haltbar sind: Europäische Umwelt- und Gesundheitsschutz-Standards würden im Zuge der transatlantischen Handelsabkommen der Europäischen Union mit Kanada (CETA) und den USA (TTIP) unangetastet bleiben, wurde von offizieller politischer Seite oft wiederholt.

Doch mit ihrem Vorschlag für die künftige Regulierung von hormonellen Schadstoffen (Endocrine Disrupting Chemicals, EDC) vom 15. Juni 2016 hat die EU- Kommission gezeigt, dass sie sogar bereit ist, geltendes Recht in vorauseilendem Gehorsam  zu ändern und im Sinne der CETA-Vorgaben  so genannte "unnötige Regulierungsunterschiede" mit Kanada und den USA zu vermeiden.

EU-Vorsorgeprinzip wird auf Druck der Chemikalienindustrie ausgehebelt

Der Vorschlag zielt darauf ab, das im EU-Chemikalienrecht verankerte Vorsorgeprinzip auszuhebeln und auf diese Weise drohende Verbote von hormonell schädlichen Chemikalien abzuwenden. Dies betrifft insbesondere den Pestizidbereich, wo über 300 potentiell endokrin schädliche Substanzen vermarktet werden.  Um den Forderungen der Industrie gerecht zu werden, hatte die EU-Kommission ihren ersten Regulierungsvorschlag, der das Vorsorgeprinzip noch berücksichtigte, im Sinne der Verhandlungspartner Kanada und USA sowie auf massiven Druck der Chemieindustrie verändert.

"Gefahrenbasiert" versus "risikobasiert"

Ebenso wie die USA verfolgt Kanada weitgehend einen auf Risikobewertung basierenden Regulierungsansatz. Demnach braucht es den Nachweis für konkrete schädliche Auswirkungen eines Stoffes, bevor der Gesetzgeber handeln kann. Erst, wenn negative gesundheitliche Auswirkungen oder schädliche Umweltwirkungen wissenschaftlich bewiesen wurden, kann ein gefährlicher Stoff also verboten werden. Die EU verfolgt bislang einen grundsätzlich anderen Ansatz, nach dem vorbeugend gehandelt wird. Nach dem Vorsorgeprinzip und der gefahrenbasierten Bewertung reicht bereits die Vermutung aus, dass ein Stoff gefährliche, in diesem Fall hormonell schädliche Eigenschaften besitzt, um beispielsweise nach EU-Pestizidrecht verboten zu werden.

Diese unterschiedlichen Ansätze haben zur Folge, dass etliche Erzeugnisse, die in Kanada oder den USA vermarktet werden, in der EU nur eingeschränkt verwendet werden dürfen oder ganz verboten sind, darunter beispielsweise gentechnisch veränderte Produkte oder Hormonfleisch. Daher haben die kanadischen und US-amerikanischen Verhandlungspartner ein grundsätzliches Interesse daran, dass das Vorsorgeprinzip bei künftigen EU-Gesetzesvorlagen nicht mehr zum Tragen kommt.

Auch die vorläufige Anwendung von CETA gefährdet EU-Umweltrecht

Das vom BUND in Auftrag gegebene Rechtsgutachten der Umweltrechtsexpertin Dr. Cornelia Ziem zeigt, dass CETA die Tür weit aufmacht für Lobbyisten, die umwelt- und gesundheitsschädliche Stoffe und Produkte auf den Markt bringen wollen. Handelspartner erhielten mit CETA das Recht, in die Gestaltung neuer Gesetzesmaßnahmen eingebunden zu werden. Auch wenn dies auf freiwilliger Basis geschehen soll, müssten die Handelspartner eine Weigerung stets begründen.

Zudem wären die Vertragsparteien „verpflichtet“, die Regulierungszusammenarbeit "weiterzuentwickeln", auf dieses Recht könne sich der Handelspartner mit CETA stets berufen. Diese "Weiterentwicklung der Regulierungszusammenarbeit" jedoch setzt in der Praxis den Umwelt- und Verbraucherschutz unter Druck und schwächt die Belange des Allgemeinwohls, wie das Rechtsgutachten in Verbindung mit der BUND-Analyse zur Regulierung hormonell wirksamer Chemikalien belegt.

SPD darf CETA nicht schön reden: Delegierte müssen Verbraucher statt Konzerne schützen

Vor diesem Hintergrund fordert der BUND von der Bundesregierung, weder der vorläufigen Anwendung noch einer späteren Unterzeichnung von CETA zuzustimmen. Kurz vor dem bevorstehenden SPD-Parteikonvent in Wolfsburg am 19. September sollte der SPD-Vorstand die Bedenken einer Vielzahl von zivilgesellschaftlichen Organisationen aus ganz Europa ernst nehmen und dem Veto etlicher Landesverbände und der Jusos Gehör zu schenken. Die Beschlussvorlage pro CETA darf Sigmar Gabriel nicht von oben durchdrücken, wenn er sich als Vertreter des Allgemeinwohls sieht.

Einige wenige kosmetische Veränderungen an dem CETA-Vertragsentwurf ändern nichts an der Tatsache, dass das Abkommen für Umwelt und Verbraucher ebenso gefährlich ist wie TTIP. Wer für Verbraucher- und Umweltschutz ist, kann nicht für CETA und TTIP sein.

Mehr Informationen

Informationen und Rückfragen bei:
Manuel Fernández
BUND-Chemieexperte
manuel.fernandez(at)bund.net

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