Globale Gefahr durch Chemikalien stark unterschätzt

27. Juli 2020 | Chemie, TTIP / CETA, Nachhaltigkeit

Die weltweiten Gefahren durch Chemikalien sind wohl deutlich höher als bisher angenommen. Nicht nur gibt es viel mehr Substanzen auf dem Weltmarkt, als bisher angenommen. Zu vielen dieser Stoffe und Gemische fehlen zudem öffentlich zugängliche Informationen. Deshalb braucht es endlich ein wirksames globales Chemikalienmanagement.

Chemikalien Weltweit sind viele unbekannte – und potenziell gefährliche – Chemikalien in Umlauf.  (Jalyn Bryce / pixabay.com)

Chemiefirmen stellen weltweit mit rund 350.000 Stoffen und Gemischen mehr als dreimal so viele Chemikalien her wie bislang angenommen. Dies zeigt die Bestandsaufnahme aller registrierten Industriechemikalien durch ein Forscherteam in der Schweiz. Und: Von vielen dieser bislang nicht im Rampenlicht stehenden Chemikalien ist kaum oder nur sehr wenig über deren Gefährlichkeit bekannt.

Um die Jahrtausendwende hatte die EU eine Liste mit 100.000 Stoffen erstellt, um erstmals einen Überblick zu erhalten, welche Chemikalien die Industrie überhaupt einsetzt. Der Fokus lag dabei vor allem auf chemischen Stoffen aus den USA, Kanada und Westeuropa. 

Denn auf diese Länder entfielen damals mehr als zwei Drittel des weltweiten Umsatzes von chemischen Substanzen. Gut 23.000 der rund 100.000 Stoffe setzen Unternehmen damals in der EU in großen Mengen ein, von knapp 2.500 sogar zum Teil deutlich mehr als 1.000 Tonnen jährlich.

Rapides Wachstum an Chemikalien

Doch die Welt – auch die der Chemikalien – hat sich seitdem dramatisch geändert: 

  • Der globale Umsatz mit Chemikalien hat sich seit der Jahrtausendwende mehr als verdoppelt. 2017 setzten Chemiefirmen weltweit bereits mehr als fünftausend Milliarden US-Dollar um.
  • Der "globale Westen" ist nur noch an einem Drittel des weltweiten Chemikalienhandels beteiligt, während China allein 37 Prozent des Umsatzes bestreitet.

Es verwundert daher nicht, dass das Forscherteam an der ETH in Zürich mit einem weltweiten Blick heute mehr Chemikalien zählt. Für seine Studie hat das Team 22 offizielle Chemikalienlisten aus 19 Ländern und Regionen inklusive der EU zusammengeführt. Die daraus entstandene 350.000er-Liste führt damit erstmals viele Chemikalien auf, die nur in Entwicklungs- und Schwellenländern, nicht jedoch in der EU, USA oder Kanada registriert wurden.

Unbekannte Gefahr

Wie gefährlich diese unerwartete Masse an unterschiedlichen Chemikalien für Mensch und Umwelt ist, konnte das schweizer Team an der ETH nicht sagen. Es verweist auf Informationslücken: Von gut einem Drittel dieser Substanzen fehlen öffentlich zugängliche Informationen. Und bei weiteren 50.000 Einträgen in einer der Listen gilt sogar schon die Identität der Chemikalie als vertraulich!

Doch das schweizer Team verweist auf Erfahrungswerte. Danach geben ungefähr drei Prozent aller Chemikalien ernsthaften Anlass zur Beunruhigung. Wird diese Schätzung auf die 350.000 ermittelten Stoffe und Gemische angewandt, ist mit gut 6.000 neuen potenziell für Mensch und Umwelt problematischen Substanzen zu rechnen!

Diese werden zwar in Entwicklungs- und Schwellenländern hergestellt. Der weltweite Handel sorgt aber dafür, dass sich Chemikalien nicht an Ländergrenzen halten. Sie kommen über Konsumprodukte und Lebensmittel zu uns oder werden, wenn sie in der Umwelt stabil sind, zu uns geweht oder mit Meeresströmungen hierher transportiert.

SAICM: Weltweite Regeln jetzt!

Dies zeigt zweierlei: Es braucht überall auf der Welt ein anspruchsvolles Chemikalienmanagement. Und der Schutz vor gefährlichen Stoffen muss hohe politische Priorität bekommen. 

Auf Ebene der Vereinten Nationen wird im sogenannten SAICM-Prozess tatsächlich gerade über ein verbessertes internationales Chemikalienmanagement verhandelt. Ziel ist, die von synthetischen Stoffen ausgehenden Gefahren für Mensch und Umwelt auf ein Mindestmaß zu senken. Dieses Ziel sollte eigentlich schon dieses Jahr erreicht werden – so hatten dies die Staats- und Regierungschef*innen auf dem Nachhaltigkeitsgipfel 2000 in Johannesburg versprochen. Doch davon sind wir noch sehr weit entfernt!

Der BUND macht sich daher mit dem International POPs Elimination Network (IPEN) für ein weltweites SAICM-Abkommen stark, das den von der Weltgemeinschaft vereinbarten Nachhaltigkeitszielen bis 2030 endlich Geltung verschafft. 

Die ETH-Forscher*innen selbst empfehlen als ersten Schritt, die 22 global existierenden Verzeichnisse mit Chemikalien (wie etwa das europäische REACH-Verzeichnis) zusammenzuführen, um einen Überblick darüber zu bekommen und auch zu behalten, welche Chemikalien weltweit hergestellt und gehandelt werden. Nur so könne es die Menschheit schaffen, die immer grösser werdende Vielfalt an chemischen Stoffen vernünftig zu regulieren.

Europa muss vorangehen

Der BUND möchte, dass Deutschland und die EU eine Vorreiterrolle beim Aufbau eines international abgestimmten Chemikalienmanagements übernehmen. So muss die EU-Kommission in der neuen EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit die Eckdaten für eine entsprechende Neuausrichtung auch des EU-Chemikalienrechts festlegen.

Der BUND fordert hier, dass unter REACH nicht nur Einfuhren strikter reguliert werden – sondern auch Exporte: Global operierende Unternehmen aus der EU und ihre Zulieferer müssen verpflichtet werden, die Sicherheitsstandards der EU für Mensch und Umwelt weltweit entlang der gesamten Lieferketten einzuhalten. 

Und es braucht ein EU-Lieferkettengesetz, das diese Unternehmen und ihre Zulieferer zwingt, soziale und arbeitsrechtliche Mindeststandards entlang der gesamten Wertschöpfungsketten einzuhalten.

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