Gesetze hacken, Falschparker-App & Co: Zehn Ideen für eine Fahrradpolitik von unten

25. Oktober 2016 | Mobilität, Nachhaltigkeit, Suffizienz

Macht Ihnen das Schlagloch wieder mal das Leben schwer? Reißt Ihnen der Geduldsfaden, weil Sie gerne auf dem Radschnellweg in die Stadt sausen möchten, aber die Politik den Bau blockiert? Sind Sie sauer, weil die Radspur wieder zugeparkt ist? Oder sind Sie frustriert, weil der Stadtrat die Füße hochlegt, während der autogerechten Stadt immer noch der rote Teppich ausgelegt wird? Die gute Nachricht: Sie sind nicht allein.

Bildet Fahrradbanden! Foto: Kristoffer Schwetje Bildet Fahrradbanden!  (Kristoffer Schwetje)

Von Jan Korte

Denn trotz zum Teil desaströser Verkehrspolitik wagen sich hierzulande immer mehr Leute aufs Rad. Noch besser: Die Menschen nehmen den Stillstand nicht mehr hin. Viele Initiativen kämpfen bereits für eine bessere Fahrradinfrastruktur. Von Bremen bis Berlin, von Osnabrück bis München – wir stellen zehn schöne und effektive Beispiele für eine "Fahrradpolitik von unten" vor.

1. Eine andere Welt ist möglich: Mit dem Parking Day

Schaut man sich die Raumverteilung auf Deutschlands Straßen an, wird klar: Die Räder haben das Nachsehen. Beim Parking Day, der traditionell im Herbst begangen wird, verwandeln Aktivist*innen mit einfachen Mitteln für einen Tag Parkplätze vorübergehend in Parkflächen. Ähnliches probiert Greenpeace mit seiner bundesweiten Kampagne U-turn the streets. Bei einer Aktion in Bielefeld wurde eine viel befahrene Straße für einen Tag zur entschleunigten Zone, man informierte über die Verkehrswende und neue Mobilitätsformen.  Oder einfach selbst die Dinge in die Hand nehmen, beim Ordnungsamt anrufen und seine Straße mal für einen "Autofreien Sonntag" verwandeln.

2. Zusammen ist man weniger allein: Critical Mass & MitRadGelegenheit

Bei der Critical Mass treffen sich in vielen Städten in Deutschland am letzten Freitag des Monats die Radler*innen. Ob jung, ob alt, alter Hase oder Neuzugang: Weil die Straßenverkehrsordnung ab einer Gruppengröße von mehr als 15 Rädern (also der "kritischen Masse") ein Nebeneinanderfahren zulässt, wird die Aktionsform regelmäßig zu einer eindrucksvollen Demonstration. Die gleiche Lücke in der StVO macht sich die Aktion der Berliner BUNDjugend namens MitRadGelegenheit zu Nutze. Ob zur Schule, zur Uni oder ins Büro – zusammen ist man weniger allein und so fährt man auf ausgewählten Routen gemeinsam im Pulk durch die Stadt. In München läuft die Aktion unter dem Motto "Radl-Guerilla".

3. Nach der Trauer kommt die Wut: Das Ghost Bike

Viel zu oft kommt es auf unseren Straßen zu gefährlichen Unfällen. Dabei müssen  Radfahrende als schwächere Verkehrsteilnehmende sogar in manchen Fällen ihr Leben lassen. Ein Skandal – wenn man bedenkt, dass oft schlechte Rahmenbedingungen wie fehlende Fahrradwege eine Mitschuld tragen. Um den Toten zu gedenken und auf  mangelnde Verkehrssicherheit aufmerksam zu machen, platzieren Angehöre und Aktivist*innen an den Unfallstellen weiß gestrichene Fahrräder, jüngst z.B. in Osnabrück. Die Idee der Ghost Bikes stammt ursprünglich aus St. Louis/ USA. Neben der Funktion als Gedenkstätte sollen sie auch auf mögliche Gefahrenpunkte hinweisen. Eine andere Art des Mahnmals ist ein "Die-In", bei der sich Radfahrende auf der Straße von ihren Rädern absteigen, zu Boden fallen und sich tot stellen. Somit wird die Straße blockiert und Solidarität und Mitgefühl mit den Verunglückten kundgetan.

4. Gesetze hacken: Der Volksentscheid Fahrrad in Berlin

Wenn Politik und Verwaltung stur bleiben, hilft manchmal nur noch der große Wurf: Ein Volksentscheid. Genau das dachten sich Engagierte um den Berliner Heinrich Stößenreuther und starteten die Initiative Volksentscheid Fahrrad. In einem "Hackathon" erarbeiteten sie mit allen, die Interesse und Expertise in und an politischen, juristischen und verkehrsplanerischen Themen hatten, einen Gesetzesentwurf, der sich sehen lassen konnte. Das "Radgesetz" sieht Fahrrad-Highways, durchgehende Fahrradrouten, Radverkehrsbeauftragte in allen Berliner Bezirken und einen schnellen Ausbau der Radwege vor. In der ersten Phase des Volksbegehrens sammelten sie über 100.000 Unterschriften – ein Vielfaches der benötigten Stimmen. Wie es mit der auch von der Berliner BUNDjugend unterstützten Kampagne weitergeht, entscheidet jetzt das Berliner Abgeordnetenhaus.  Entweder wird das Volksgesetz so angenommen, oder es kommt zur nächsten Stufe des Volksbegehrens – und vielleicht letztendlich zum stadtweiten Volksentscheid. Schöne Aktion – die aber auch einen langen Atem und ein motiviertes Team braucht.

5. Es gibt nichts Gutes außer man tut es: Autofrei zur Schule in Bremen

Wir kennen sie alle: Die Helikopter-Eltern, die ihre Sprösslinge mit dem Zweit-SUV zur Schule bringen und Fuß- und Radwege versperren. Der BUND Bremen wirbt in seiner Kampagne "Autofrei zur Schule" dafür, die Jüngsten mit dem Rad zu bringen. Das ist nicht nur gesund, es bringt den Kindern auch dabei, selbstständig zu werden. Auch für andere Aktivitäten bietet es sich anders, öfters mal das Fahrrad zu nehmen. Der BUND Berlin schlägt dazu eine "Probezeit" vor: Freunde und Bekannte sollte man an das "Einkaufen mit dem Rad" heranführen. Nach dem Praxistest können sie dann entscheiden, ob das nicht auch langfristig was für sie wäre.  Denn nur, wenn es noch mehr Räder auf den Straßen gibt, erhöht sich der Druck für die Verkehrswende. 

6. Tue Gutes und rede darüber: Öffentlichkeitsarbeit für Radinfrastruktur

Zugegeben: Das Thema Radverkehrsinfrastruktur ist nicht gerade sexy. Doch es ist wichtig. Um ein wenig Aufmerksamkeit zu schaffen, hat der ADFC 2016 einen Wettbewerb für Radschnellwege in der Hauptstadt ausgerufen. Unzählige Einreichungen zeigen, dass sich viele Menschen Gedanken über bessere Wege machen können und wollen. Die Medienresonanz war vergleichsweise hoch – und die Ergebnisse durchaus anschlussfähig.

7. Mein gutes Recht: Druck beim Ordnungsamt für freie Radspuren machen

Fahrradfahrer*innen nervt selten etwas mehr als zugeparkte Radwege. Autos, Taxis und Lieferwagen, die Regeln ignorieren, sind vielerorts zum Ärgernis geworden. Doch es gibt Mittel und Wege, das Ordnungsamt zum Einschreiten zu bewegen. So kann man mit der durchaus umstrittenen App Wegeheld Falschparker anonymisiert (mit geschwärzten Nummernschildern) und direkt dem Amt melden. Nach Gegencheck der App-Macher (in Bezug auf Datenschutz und Korrektheit) werden Fotos und ein kurzer Bericht des Vorfalls auf der Wegeheld-Karte eingetragen und öffentlich im Netz sichtbar. Kritiker*innen sehen in der App pures Denunziantentum, andere feiern sie als lange überfällige Möglichkeit, unbürokratisch das Recht auf freie Fahrt für Räder einzuklagen. Das Ordnungsamt in Osnabrück jedenfalls nennt die App "problematisch". Machen Sie sich am besten selbst ein Bild. BUND und ADFC verfolgen mit ihrer Kampagne "Radspuren frei" mit etwas sanfteren Methoden ein ähnliches Ziel.

8. Politik mit dem Einkaufswagen: Grüne Logistik für alle!

Klimawandel und der Diskussion um lebenswerte Städte zum Trotz: Der Trend hin zu mehr Verkehr ist ungebrochen. Der Online-Handel sorgt dafür, dass Lieferdienste und DHL-Fahrer zum steigenden Verkehrsaufkommen beitragen. Doch es geht auch anders: Logistik mit dem Rad: Wenn man schon im Netz bestellen muss (und nicht sich die Zeit nimmt, um lokales Gewerbe zu unterstützen), dann kann man sich Dinge lieber per Fahrrad liefern lassen. Fahrradkuriere oder auch Lastenfahrradlogistik (wie z.B. durch das Start-Up Velogista) bieten vielerorts schöne Alternativen.

9. Die Gelegenheit beim Schopfe packen: Mit Bürgerbeteiligung zum Lobbyisten werden

Spätestens nach Stuttgart 21 (einem Verkehrsprojekt!) ist das Thema Bürgerbeteiligung in aller Munde. Auch zum Radverkehr gibt es in vielen Städten verstärkt Beteiligungsangebote. So wollen Kommunen in Online-Dialogen wissen, wo es gefährliche Kreuzungen gibt, wie man Verkehrslärm bekämpfen kann oder welche Ideen die Bürger*innen für einen neuen Verkehrsentwicklungsplan haben. Auch als Radaktivist kann man Aufmerksamkeit schaffen und als "transparente Lobbyistin" für den Ausbau des Radverkehrs kämpfen. Leider reagieren Verwaltung und Politik in manchen Fällen dann immer noch nicht so richtig, wie dieses Video einer Berliner Fahrrad-Aktivistin zeigt. Unsere Empfehlung: Sich die Beteiligungsangebote zu Eigen machen und danach auch medienwirksam auf die Umsetzung der Ergebnisse pochen.

10. Ganz klassisch: Wählen gehen!

Auch in kommunalen und überregionalen Wahlkämpfen wird das Thema Radverkehr ein immer wichtigeres. Sogar Fragen des berühmten Wahl-o-mats der Bundeszentrale für politische Bildung beschäftigen sich inzwischen mit dem Ausbau des Radnetzes. Um den Parteien auf den Zahn zu fühlen, kann es sich lohnen, mit Bündnispartnern Wahlprüfsteine zum Thema zu erstellen, wie es z.B. das Netzwerk Fahrradfreundliches Neukölln getan hat. Direktkandidatinnen zu nerven und immer wieder auf zeitgemäße Mobilitätspolitik anzusprechen bringt sie ggf. dazu, Farbe zu bekennen und sich Ihren Forderungen anzuschließen. Und dann, nicht vergessen: Am Wahltag in die Kabine gehen und das Kreuzchen für eine neue Radverkehrspolitik machen.

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