Von Benedikt Jacobs, BUND-Experte für die Ressourcenwende
Derzeit werden die Stimmen lauter, die fordern, dass in Zeiten der Krise Umwelt- und Klimaschutz hintenangestellt werden müsse. Die Diskussion um die "Abwrackprämie 2.0" ist dabei nur die Spitze des Eisbergs an Konjunkturmaßnahmen, welche ein "Weiter so" und damit eine Entwicklung in die falsche Richtung bedeuten würden, anstatt den Neustart zu nutzen, um in eine sozial-ökologische Gemeinwirtschaft aufzubrechen.
Falsche und rückwärtsgewandte Konjunkturprogramme bedeuten jedoch nicht nur, dass wir eine Wirtschaftsweise fördern, die weder ökologisch nachhaltig noch sozial gerecht ist, sondern auch, dass das Risiko weiterer Pandemien in der Zukunft erhöht wird. Dieser Faktor wird in der Diskussion noch allzu oft vergessen.
Hunger nach Ressourcen vernichtet Lebensräume
Zwischen Pandemie und dem Ressourcenverbrauch besteht ein kausaler Zusammenhang. Von 1970 bis 2017 hat sich die weltweite jährliche Rohstoffgewinnung verdreifacht – und der Trend ist weiter steigend. Rohstoffgewinnung geht jedoch nicht ohne massive Eingriffe in die Natur: Wälder werden gerodet, Fläche wird verbraucht und Wasser sowie Luft verschmutzt. Deutschland steht dabei im globalen Vergleich der größten Rohstoffverbraucher an fünfter Stelle.
Auch aus einer Gerechtigkeitsperspektive ist dies dramatisch, denn mehr als 99 Prozent der bergbaulich gewonnenen Metalle kommen aus dem Ausland. Die direkte Belastung der Umwelt und der Menschen vor Ort exportieren wir.
Zusätzlich werden die Lagerstätten, die neu erschlossen werden, immer tiefer und entlegener. Das Resultat ist, dass der Flächenverbrauch sowie der Verbrauch von Wäldern, Wasser, Energie und Chemikalien pro gewonnener Einheit Rohstoff weiter steigt. Die eingesetzten Chemikalien selbst müssen zudem wiederum auch erst produziert werden – und verbrauchen dafür weitere Ressourcen.
Lebensraumverlust erhöht das Pandemie-Risiko
Ob nun Moore entwässert werden, um die Flächen für die industrielle Landwirtschaft zu nutzen, Biotope zerstört werden, um Autobahnen oder Industriegebiete zu bauen oder der Regenwalt im Amazonas abgeholzt wird, um Eisenerz oder Bauxit für die deutsche Autoindustrie zu gewinnen: Jeder Ressourcenverbrauch bedeutet am Ende einen Verlust von Lebensräumen. Insgesamt sind mehr als 90 Prozent des Biodiversitätsverlustes auf die Gewinnung und Verarbeitung von Materialien, Brennstoffen und Lebensmitteln zurückzuführen.
Doch was hat das mit Corona zu tun? Ganz einfach: Die Hauptursache für die Übertragung neuartiger Viren auf den Menschen sind schrumpfende Lebensräume durch Naturzerstörung und steigenden Biodiversitätsverlust. Wir halten also fest: Ressourcenverbrauch führt zu Biodiversitätsverlust, Biodiversitätsverlust erhöht das Risiko der Übertragung neuartiger Viren auf den Menschen und damit das Risiko einer Pandemie.
Kein Wachstum ohne Ressourcenverbrauch
Und was hat das Ganze mit dem Konjunkturprogrammen zu tun, welche die Bundesregierung gerade verhandelt, um die Wirtschaft nach der Coronakrise wieder hochzufahren? Auch das ist naheliegend: Der Haupttreiber hinter dem steigenden Ressourcenverbrauch ist ein auf Wirtschaftswachstum fixiertes System. Und das Credo des Konkurrenzkampfes und des "Höher, schneller, weiter“ der Lebens- und Wirtschaftsweise des globalen Nordens.
Unter der Prämisse, dass "grünes Wachstum" ein Mythos ist und bleibt, da eine ausreichende Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch mehr als fraglich ist, heißt das: Jegliche Konjunkturprogramme, die einzig das Ziel des Wirtschaftswachstum im Auge haben, führen zu steigendem Ressourcenverbrauch – und damit zu einem erhöhten Risiko neuer Pandemien.
Konjunkturprogramm als Motor der Ressourcenwende
Dabei stellt der BUND gar nicht in Abrede, dass es ein umfangreiches Konjunkturprogramm braucht. Dieses muss jedoch für einen wirklichen Neustart genutzt werden und klug und mutig den Umbau hin zu einer zukunftsfähigen Wirtschaft in den Blick nehmen.
Die geplanten Investitionen bieten die Chance, sie für eine Ressourcenwende zu nutzen, um den Ressourcenverbrauch absolut zu senken, Ressourcen gerecht zu verteilen und eine Wohlstandsdefinition unabhängig vom Bruttoinlandsprodukt zu etablieren.
Durch eine konsequente Unterstützung und einen Ausbau von zirkulären Wirtschaftsmodellen können Stoffkreisläufe schrittweise geschlossen werden. Intelligentes Produktdesign ist dafür ebenso notwendig wie Investitionen in eine Reparaturinfrastruktur, die von gesetzlichen Maßnahmen (zum Beispiel einem Recht auf Reparatur) begleitet wird.
Hier besteht die Chance, beispielsweise im Bereich des Recyclings und mit Reparaturbetrieben einen beschäftigungsreichen, krisensicheren und zukunftsfähigen Wirtschaftszweig aufzubauen, der aktiv zur Ressourcenschonung beiträgt.
Darüber hinaus können mit Investitionen die Weichen für eine generelle Umgestaltung unserer Konsum- und Produktionsmuster gestellt werden. Der Fokus muss dabei auf der Abfallvermeidung liegen. Dazu sollte beispielsweise in öffentliche Mehrwegsysteme (z.B. genormte Mitnahmebehälter), in die Abfallberatung, in organisierte Kaskaden-, das heißt Mehrfachnutzung von Rohstoffen sowie in Wirtschaftsmodelle, die eine "Nutzen-statt-Besitzen-Philosophie" fördern, investiert werden. Auch diese Bereiche schaffen neue Arbeitsplätze und tragen zum Aufbau von krisenfesten und regionalen Strukturen bei.