Energiewende: "Atomkraft ist nicht CO2-neutral"

30. November 2021 | Atomkraft, Energiewende

Atomkraft ist teuer, gefährlich und nicht CO2-neutral. Trotzdem will die EU sie als nachhaltig einstufen – ein Skandal. Im Interview erklärt BUND-Atompolitikexperte Jan Warode, warum die neuen und alten Versprechen der Atomlobby falsch sind und die Energiewende nur ohne Atomkraft gelingen kann.

Besuch unter Tage im Atommülllager Morsleben; Foto: Volker Möll / PubliXviewinG Unter Tage im Atommülllager Morsleben  (Volker Möll / PubliXviewinG)

Beim BUND arbeiten zahlreiche Expert*innen rund um die Themen Klima-, Umwelt-, und Naturschutz. Oftmals ist die Arbeit komplex und schwer nachzuvollziehen. In diesem Interviewformat fühlen wir den Fachreferent*innen auf den Zahn und stellen ihnen auch die Fragen, die unsere Community brennend interessieren. In unserer vierten Ausgabe sprechen wir mit dem BUND-Atompolitikexperten Jan Warode über neue und alte Mythen der Atomlobby. 

BUND-Redaktion: Hallo Jan, in einigen Medien erlebt Atomkraft gerade ein kleines Comeback, gleichzeitig werden Ende des Jahres drei der letzten sechs Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz gehen. Ende 2022 ist dann endgültig Schluss oder nicht?

Jan Warode: Das stimmt. In einigen Medien wird die Atomkraft in der letzten Zeit immer wieder bemüht – mal als Klimaschützerin, mal als Garant für Versorgungssicherheit. Das ist natürlich Quatsch und der Medienhype spiegelt auch nicht die weltweiten Entwicklungen wider. Weder was den Neubau von AKWs, noch was die angeblichen Fortschritte bei der Entwicklung neuer Reaktortypen angeht. 

Also müssen wir uns keine Sorgen machen, dass die Atomkraft zurückkehrt?

Global gesehen ist Atomkraft auf dem absteigenden Ast. Weltweit fiel die Stromerzeugung aus Atomkraft dieses Jahr auf den niedrigsten Stand seit 1995 – sieht man einmal von China ab. Allerdings setzen noch immer Staaten auf die gefährliche Atomkraft. Das bereitet uns natürlich große Sorge. 

In Deutschland ist aber Ende nächsten Jahres Schluss mit Atomkraftwerken, da ändert auch die aktuelle Scheindebatte nichts. Selbst die Energiekonzerne wollen keine gefährliche AKWs mehr. Das ist ein Riesenerfolg für uns und die gesamte Anti-AKW-Bewegung. Es zeigt, welche Kraft Bewegungen haben, und, dass der Einsatz für eine nachhaltige und gerechte Zukunft erfolgreich sein kann.

Im Zuge des Klimawandels bekommen Befürworter*innen dennoch Auftrieb: Durch Atomkraft entstehe kein CO2, lautet deren Argument häufig. Die EU will sie künftig sogar als nachhaltige Investition klassifizieren. Ist an dem Argument also etwas dran?

Diese Behauptung lenkt nur von den wirklichen Herausforderungen ab. Zudem ist das Argument falsch. Atomkraft ist nicht CO2-neutral. Betrachtet man die ganze Produktionskette, also vom unglaublich schmutzigem Uranabbau bis zur ungelösten Frage der Atommülllagerung, dann fällt deutlich mehr CO2 an als bei Wind- oder Solarenergie. Die mögliche Entscheidung der EU, Investitionen in Atomkraft und fossiles Gas ein grünes Label zu verpassen, ist eine fatale Weichenstellung für echten Klimaschutz

Atomkraft kann nicht gegen die Klimakrise helfen?

Nein, denn neben den vielen Gefahren ist Atomkraft auch viel zu langsam: Aktuell werden zehn Prozent der globalen Stromproduktion aus Atomkraft gewonnen – und das in nur wenigen Ländern des globalen Nordens. Wir müssten also innerhalb weniger Jahre Tausende neue AKWs weltweit bauen. Doch allein der Bau eines AKWs dauert heute schon über 15 Jahre. Für die Klimakrise haben wir schon jetzt bessere und schnellere Lösungen wie Sonne, Wind und Energie sparen

Apropos sparen: Wird die Energiewende ohne Atomkraft für uns alle teurer?  

Nein. Studien zeigen: Atomkraft war und wird nie günstig sein. Im Gegenteil, schon jetzt kostet die Kilowattstunde Atomstrom aus neuen Kraftwerken mindestens doppelt so viel wie die aus Windenergieanlagen. Und da sind die immensen Umweltkosten der Atomkraft noch gar nicht eingerechnet. Kein privatwirtschaftliches Unternehmen will aktuelle Atomkraftwerke bauen. Die wenigen Neubauten sind massiv von staatlichen Subventionen abhängig und laufen allesamt aus dem Zeit- und Kostenplan. Das eingesetzte Geld fehlt beim naturverträglichen Ausbau der erneuerbaren Energien.

"Wir sollten uns nicht noch eine Atomkrise schaffen"

Wenn heute über Atomkraft diskutiert wird, fällt oft das Schlagwort SMR, also Small Modular Reactor. Was hat es damit auf sich? Und stimmt es, dass diese sicherer sind als herkömmliche Kraftwerke? 

Mit Small Modular Reactors (SMR) sind Mini-Atomkraftwerke mit einer Leistung eines einzelnen Reaktors von bis zu 300 Megawatt elektrischer Leistung gemeint. Ihr Ursprung liegt in den 1950er Jahren, als man begann, atomare Antriebe für Militär-U-Boote zu entwickeln. Die kleinen AKWs sollen durch ihre modulare Bauweise Kostenvorteile bringen. Wie bei allen Träumereien der Atomindustrie ist diese Massenproduktion bisher noch nirgends eingerichtet. Außerdem zeigt sich schon heute, dass die Mini-Reaktoren niemals wirtschaftlich, aber ein massives Sicherheitsrisiko sein werden. Zum einen geht von den Reaktoren eine erhöhte Gefahr aus, weil viele Konzepte auf wichtige Sicherheitselemente verzichten wollen. Und zum anderen wird radioaktives Material überall im Land verteilt.   

Warum werden diese Reaktoren dann immer wieder als Allheilmittel von der Industrie oder Regierungschefs, wie etwa in Frankreich durch Präsident Emmanuel Macron, gepriesen? 

Fast alle Länder, die kleine modulare Reaktoren vorantreiben, unterhalten auch Atomwaffenprogramme und bauen Atom-U-Boote oder stecken bereits in einem umfangreichen Atomprogramm. Für sie geht es also vornehmlich um den Wissenserhalt und die Querfinanzierung ihrer Militärprogramme. Die Atomlobby versucht seit über 70 Jahren neue Wundertechniken herbeizureden, liefern konnten sie bisher nichts. Auch für die Zukunft sieht das nicht anders aus: Atomkraft bleibt unrentabel, ungerecht und gefährlich. Die Klimakrise fordert uns auf allen Ebenen, wir sollten uns daher nicht noch eine Atomkrise schaffen. 

"40.000 Generationen müssen mit den Folgen leben"

In Deutschland gibt es einen politischen und gesellschaftlichen Konsens zum Atomausstieg. Was erwartest du von der nächsten Bundesregierung?

Da kommen wir wieder zum Anfang. Auch nach 2022 ist immer noch nicht Schluss mit Atomkraft in Deutschland. In Gronau wird weiter Uran angereichert und mit der Brennelementefabrik in Lingen beliefern wir weiter Schrott-AKWs in Grenznähe. Das muss die neue Bundesregierung beenden. Außerdem muss sie sich verstärkt dem bisherigen Umgang mit dem radioaktiven Abfall widmen, die Situation an den Zwischenlagern deutlich verbessern sowie endlich das ungeeignete 80er-Jahre-Projekt Schacht Konrad beenden. Habe ich noch mehr Wünsche frei? Mir fällt noch eine lange Liste ein …

Kommen wir noch zu unserer Bildfrage: Ziemlich eindeutig oder? (siehe Bild oben)

Ja, das fasst eigentlich die ganze Katastrophe zusammen: Vier Generationen haben von der Atomkraft profitiert und den strahlenden Müll für 40.000 Generationen hinterlassen. Eine wahnsinnig egoistische, ungerechte und zerstörerische Form der Energieerzeugung. Jetzt bleibt uns das strahlende Erbe. Der Umgang damit ist eine Mammutaufgabe. Wir als Umweltverband stehen auch vor einer großen Herausforderung: Wir haben immer vor dem Müll gewarnt. Dennoch ist er jetzt da. Wir können uns daher einem Umgang nicht verwahren oder einfach sagen: Nicht bei mir. Wir müssen aber ganz genau bei der Suche eines Lagers hinschauen und auf Fehler aufmerksam machen. Ein zweites Gorleben darf es nicht geben!

Lieber Jan, danke für das informative Gespräch!

Sie haben Fragen zu Umwelt- und Naturschutzthemen, die wir unseren Fachreferent*innen stellen sollen? Dann schreiben Sie uns gerne an internet(at)bund.net.

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