Das EU-Naturschutzpaket erklärt: Mehr Natur, weniger Pestizide?

29. März 2023 | BUND, Chemie, Klimawandel, Landwirtschaft, Lebensräume, Meere, Naturschutz, Umweltgifte

Seit Jahrzehnten verfehlt die EU ihre Natur- und Umweltschutzziele. Nun bahnt sich ein Sommer der Entscheidungen an – mit Auswirkungen auf alle Bürger*innen der EU. Denn dem ambitionierten Naturschutzpaket des „Green Deals“ droht die Verwässerung oder gar ein Scheitern – hitzige Diskussionen inklusive. Da braucht es einen kühlen Kopf und Fakten. Wir klären auf.

Die EU plant eine Revolution. Statt weiterhin "nur" zu bewahren, wie hier im Elbsandsteingebirge, sollen Mitgliedsstaaten zur Renaturierung verpflichtet werden.

Um was geht es?

Das Naturschutzpaket des „Green Deals“  besteht aus zwei Gesetzesvorschlägen mit den sperrigen Titeln „Verordnung zur Wiederherstellung der Natur“ (EU-Renaturierungsgesetz ) und „Verordnung zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln“. Der Inhalt kann sich sehen lassen. Deutschland wäre etwa verbindlich verpflichtet, den Einsatz von Pestiziden bis 2030 zu halbieren und auf 20% seiner Fläche Ökosysteme zu renaturieren. Das würde uns im Umwelt- und Naturschutz deutlich voranbringen.

Was bedeutet das EU-Naturschutzpaket für mich?

Die beiden Vorschläge decken eine große Bandbreite an verschiedenen Ökosystemen und Nutzungsformen ab und adressieren sowohl Agrarflächen, Grünland, Wälder, Gewässer, Städte sowie die Meere. Die Auswirkungen wären damit lokal und überall spürbar.

Für die Bevölkerung vor Ort ergeben sich dadurch handfeste Vorteile. Mehr Grün in der Stadt hilft, Hitzewellen im Sommer abzumildern. Ein geplantes Verbot von Pestiziden im öffentlichen Raum schützt die Gesundheit von Anwohner*innen und gefährdeten Gruppen wie Kindern und Schwangeren. Die Renaturierung von Flüssen oder die Wiedervernässung von Mooren hilft beim Schutz etwa vor Unwetterereignissen, die in der Zukunft eher zunehmen werden.

All diese Effekte lassen sich auch beziffern. Die EU-Kommission schätzt, dass ein Euro, der in die Renaturierung von Ökosystemen fließt, einen gesellschaftlichen Mehrwert von 8 bis 32 Euro schafft.

Was passiert politisch?

Sowohl das Europäische Parlament als auch die EU-Umweltminister*innen müssen sich mit den zwei Vorschlägen der EU-Kommission befassen. Leider wird gerade das EU-Parlament stark durch die Agrarindustrie lobbyiert, die versucht dieses Vorhaben zu verwässern oder komplett zu verhindern. Die entscheidenden Abstimmungen beginnen ab Juni. Es zeichnet sich jeweils ein enges Endergebnis ab.

Was sagen die Kritiker?

Die Industrie- und Wirtschaftslobby kritisiert, dass die Vorschläge die Produktion von Nahrungsmitteln reduzieren und die Inflation weiter anheizen würden. Gerade mit Blick auf den Krieg gegen die Ukraine sei es darum jetzt ein schlechter Zeitpunkt für mehr Naturschutz.

Das genaue Gegenteil ist jedoch das Fall. Zusammen mit der Erderhitzung ist das fortschreitende Wegbrechen von Arten und Lebensräumen und den damit verbundenen Ökosystemleistungen die größte Bedrohung für die Nahrungsmittelproduktion. Ohne Bestäuber, gesundes Bodenleben oder Nützlinge wären Ernten massiv bedroht.

Dagegen zeigt die Praxis und wissenschaftliche Studien, dass beispielsweise eine deutliche Reduktion des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft möglich ist, und zwar bei konstantem Ertrag. Der Natur mehr Platz zu geben, kann sich sogar förderlich auf die Nahrungsmittelproduktion auswirken. Hecken oder Brachen sind Lebensräume für Nützlinge und helfen den Boden vor Erosion durch Wind und Wasser zu schützen.

Was fordert der BUND?

Der BUND begrüßt beide Vorhaben, fordert aber Verbesserungen, um gefährliche Lücken zu schließen. Ein Beispiel: Gerade bei besonders gefährlichen Pestiziden (sogenannten Substitutionskandidaten) reicht eine Halbierung des Einsatzes bis 2030 nicht aus. Diese müssen bis dahin komplett vom Markt. Beim EU-Renaturierungsgesetz braucht es dringend eine Reihe von technischen Verbesserungen, damit am Ende auch wirklich sinnvolle Maßnahmen in der Fläche ankommen.

Der BUND hat für beide Vorhaben jeweils ein Forderungspapier veröffentlicht:

Auch wenn die EU damit einen wichtigen ersten Schritt macht, wären auch nach Verabschiedung des Naturschutzpaketes weitere Anstrengungen notwendig. Ungeklärt ist zum Beispiel die Finanzierung. Um die großflächige Renaturierung von Ökosystemen voranzutreiben, sind ausreichende Mittel notwendig. Der BUND setzt sich darum in den kommenden Haushaltsverhandlungen der EU für einen eigenständigen Naturschutzfonds ein.

Gleichzeitig muss auch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU entsprechend ausgerichtet werden, um beispielsweise die Reduktion des Einsatzes von Pestiziden zu unterstützen. So fehlt in den Vorschlägen etwa eine Verpflichtung für die EU-Staaten, ihre GAP-Gelder entsprechend umzuschichten.

Wie geht es weiter?

Der BUND begleitet die politische Diskussion zusammen mit seinen Partnern auf europäischer Ebene intensiv. Dazu gehören u.a. Friends of the Earth sowie das europäische Umweltbüro (EEB). Zusammen setzen wir uns in den kommenden Abstimmungen dafür ein, dass ambitionierte Ideen eine Mehrheit finden und die EU sich auf einen transformativen Pfad im Naturschutz begibt.

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