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25. Dezember 2022 | Klimawandel, Nachhaltigkeit

Vor 60 Jahren erschien »Der stumme Frühling« von Rachel Charlson, vor 50 Jahren »Die Grenzen des Wachstums« vom Club of Rome. Vor 30 Jahren fand in Rio de Janeiro der erste globale Nachhaltigkeitsgipfel statt. Und vor 20 Jahren prägte Nobelpreisträger Paul Crutzen den Begriff des Anthropozäns. Wir hätten also gewarnt sein können, meint Joachim Spangenberg, Sprecher des Wissenschaftlichen Beirats im BUND.

Porträt von J. Spangenberg Porträt von J. Spangenberg

Herr Spangenberg, Warnungen vor einem selbst verschuldeten Umweltkollaps schienen lange Zeit auf eine eher ferne Zukunft zu verweisen. Doch nun häufen sich die Alarmsignale von Jahr zu Jahr.

Die oben Genannten und auch der Nachhaltigkeitsgipfel richteten sich ja nicht an künftige Generationen. Sie erkannten Gefahren und riefen die Menschen ihrer Zeit dazu auf, sofort zu handeln, um größeren Schaden in einer schon absehbaren Zeit zu vermeiden.

Gleich vier wichtige Zäsuren für das weltweite Umweltbewusstsein jährten sich 2022 auf besondere Weise. 1962 oder 1972 war die Welt eine gänzlich andere. Haben uns »Silent Spring« etc. noch was zu sagen?

Ich denke, wir haben viele der Lektionen nicht verstanden. Ein Grund des stummen Frühlings war damals das Insektengift DDT. Ihm fielen nicht nur unzählige Sing und Greifvögel zum Opfer, selbst im Gewebe von Pinguinen war es nachzuweisen. DDT ist inzwischen weltweit geächtet. Doch immer noch entlassen wir große Mengen naturfremder Stoffe in die Umwelt. Heute finden wir in den Pinguinen Mikroplastik. Als »Die Grenzen des Wachstums« erschienen, glaubten wir lange, menschlicher Erfindungsgeist könne die physischen Grenzen der Natur überwinden. Dabei ist Wirtschaft nicht nur in Geldeinheiten zu rechnen, sondern auch in Kilowatt und in Tonnen – begrenzter – Ressourcen. Viele träumen weiterhin von unerschöpflicher Energie. Die wird es, auch in erneuerbarer Form, schlicht nicht geben. Von Rio gingen zwei Botschaften aus: Ohne mehr soziale Gerechtigkeit keine naturverträgliche Wirtschaft. Und es ist an uns eine Welt zu hinterlassen, in der auch die Enkel noch gut leben können. Dafür tun wir bis heute viel zu wenig. Paul Crutzen schließlich hat den Wirkmechanismus des Ozonlochs aufgeklärt und eindrücklich vor den globalen Folgen eines nuklearen Schlagabtauschs gewarnt. Mit dem Begriff Anthropozän wollte er bewusst machen, dass wir Menschen zur entscheidenden irdischen Triebkraft geworden sind und entsprechend sorgsam mit unserem Planeten umgehen müssen. Auch das ist hochaktuell.

Dennoch übernutzen gerade Wirtschaftsmächte wie Deutschland die Ressourcen bis heute, als gäbe es kein Morgen.

Tatsächlich sind wohl bereits sechs der neun planetaren Grenzen überschritten. Wir müssen also ganz deutlich umsteuern. Das fällt schwer, weil es viele Gewohnheiten infrage stellt. Mir scheint, wir Deutschen sind stolz darauf, dass wir dem rettenden Ufer näher gekommen sind als andere. Doch auch wir erreichen es nicht, wenn wir weiter auf fossile Energie setzen – und dazu Ländern in Afrika bei der Gasförderung helfen oder mehr Kohle aus Kolumbien kaufen. Dann wird die Temperatur um über drei Grad steigen und in Teilen unserer Erde kein menschliches Leben mehr möglich sein.

Was bleibt uns, um zu retten, was noch zu retten ist?

Wir müssen weiter gegen jedes Zehntel Grad Erderwärmung kämpfen. Mit jedem Zehntel verhindern wir auch unendliches Leid. Weil es keine schnellen Wege aus der Krise gibt, müssen wir Wege finden, um in der Krise ein menschenwürdiges Leben zu bewahren. Genau daran arbeiten ja zahlreiche BUND-Gruppen: Wie kann sich die eigene Stadt an die Erderhitzung anpassen? Wie schaffen wir genug Raum für die biologische Vielfalt? Was ist nötig, damit unsere Chemikalien und Abfälle nicht die ganze Welt vergiften? All das ist heute wichtiger denn je.

Dieser Text ist eine Überarbeitung eines BUNDmagazin-Artikels aus der Ausgabe 4/22. Das Magazin für Mitglieder ist stets auch online verfügbar. 

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