2017 ist Wahljahr – der BUND fragt Sahra Wagenknecht nach den umweltpolitischen Positionen ihrer Partei

05. August 2017 | BUND, Bundestagswahl

Anlässlich des Wahljahrs 2017 interviewt Severin Zillich, Redakteur des BUNDmagazins, die Fraktionsvorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien. Es folgen unsere Fragen an Sahra Wagenknecht von den Linken.

Sahra Wagenknecht von den Linken. Foto: Trialon Berlin Sahra Wagenknechtvon den Linken  (Trialon Berlin)

Frau Wagenknecht, es ist nicht wirklich einfach, im Internet von Ihnen Aussagen zu ökologischen Themen zu finden. Spielen die Umwelt-, Klima- und Naturschutzthemen eher für die Linke oder eher für Sie lediglich eine Nebenrolle?

Wagenknecht: Das stimmt nicht. In meinen Büchern "Freiheit statt Kapitalismus" und "Reichtum ohne Gier" habe ich mich ausführlich zu Umweltthemen geäußert und begründet, warum es meines Erachtens keinen "grünen Kapitalismus" geben kann. Aber es stimmt, dass ich selten zu diesen Themen befragt werde, was ich bedaure. Und es stimmt leider auch, dass viele Menschen die Kompetenz für diese Themen eher bei den Grünen vermuten. Das hat auch damit zu tun, dass wir die ökologische Frage in der Regel nicht isoliert betrachten, sondern als Systemfrage begreifen, die mit der sozialen Frage eng verbunden ist. Eine Wirtschaftsordnung, die auf Umsatz- und Gewinnsteigerung und damit notwendigerweise auf extensives Wachstum und Wegwerfkultur setzt, zerstört unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Und eine rein "marktkonforme" Wende ist schwer vorstellbar. Deshalb brauchen wir den Mut zum öffentlichen Eingriff und zur direkten Steuerung des ökologischen Umbaus, sonst kommt nur teurer Pfusch heraus. Das sehen wir bei der vermeintlich "grünen" Energiewende, in deren Ergebnis jetzt die ältesten und dreckigsten Kohlekraftwerke Hochkonjunktur haben und im Winter massenhaft Atomstrom aus Tschechien und Frankreich nach Deutschland importiert wird. Das ist kein sinnvoller Weg.

Fast alle Parteien haben inzwischen profilierte Umweltpolitiker*innen in ihren Reihen, warum ist dies bei den Linken eine eindeutige Fehlstelle, oder sehen Sie das nicht so?

Wagenknecht: Wie kommen Sie auf "eindeutige Fehlstelle"? Eva Bulling-Schröter macht seit über 20 Jahren im Bundestag Umwelt- und Energiepolitik. Sie war in der letzten Wahlperiode Vorsitzende des Um­welt­ausschusses. Das sollten Sie eigentlich mitbekommen haben. Auch mit Hubertus Zdebel haben wir einen insbesondere in der Anti-Atombewegung anerkannten Fachmann im Umwelt­ausschuss. Und Dr. Kirsten Tackmann kämpft als ausgewiesene Expertin seit Jahren im Landwirtschaftsbereich für die Agrarwende. Wir werden die Umweltpolitik in Zukunft aber noch stärker zu einer "Chefsache" machen, damit unsere gemeinsame Arbeit auf diesen Themenfeldern wahrnehmbarer wird.

Es gibt ja ein Medium, das der Linken nahesteht – die sozialistische Tageszeitung "Neues Deutschland". Deren Umweltberichterstattung – interessanterweise auf den Seiten für Wirtschaft, Soziales, Umwelt ist ziemlich umfangreich, ambitioniert und engagiert. Warum aber hört man aus Ihrer Partei so wenig zu diesen Themen, es gibt zwar bei Ihnen eine "ökologische Plattform", jedoch wird sie kaum wahrgenommen. Woran liegt das?

Wagenknecht: Es ist kein Geheimnis, dass die Linke ihren Schwerpunkt bei sozialen Themen und der Friedenspolitik sieht. Allerdings hat auch die ökologische Frage einen starken sozialen Bezug, was von einer Partei der Besserverdienenden wie den Grünen ausgeblendet wird. Die Armen leiden am stärksten unter den Folgen des ökologischen Raubbaus, das gilt sowohl global als auch für Deutschland. Umgekehrt sind es in erster Linie die großen Konzerne und Superreichen, die Umweltpro­bleme durch eine schädliche Produktion, unsinnige Transportwege und übermäßigen Ressourcenverbrauch zu verantworten haben. Die Umweltfrage ist auch eng mit der Frage von Krieg und Frieden verknüpft – man denke an die Öl- und Gaskriege im Nahen Osten oder an Konflikte über den Zugang zu sauberem Wasser. Der Klimawandel wird viele Konflikte extrem verschärfen und hunderte Millionen Menschen zu Flüchtlingen machen, das ist alles schon absehbar.

Die Umweltfrage muss mit der sozialen Frage und der Frage von Krieg und Frieden zusam­menge­dacht werden. Es darf kein Blut für Öl mehr fließen. Aber dafür muss es uns gelingen, fossile Energieträger durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Um Widerstände gegen die Energiewen­de zu brechen müssen wir aber dafür sorgen, dass der Strukturwandel keine Existenzen zerstört, dass auch in der Branche der erneuerbaren Energien die Beschäftigten anständige Tariflöhne bekommen oder dass die Kosten der energetischen Sanierung von Wohnungen nicht auf die Mieterinnen und Mieter abgewälzt werden. Ich denke, im Zuge des nötigen Strukturwan­dels sollte die Montanmitbestimmung auf andere Branchen wie die der erneuerbaren Energien ausgedehnt werden. Den ökologischen Wandel sozialverträglich voranbringen: Dafür kämpft Die Linke – etwa in Berlin, wo wir erfolgreich Druck gemacht haben für die Rekommunalisierung der Energiever­sorgung. Auch in den Bundestag haben wir viele Initiativen eingebracht: Zum verfehlten Emissionshandel, zum Strukturwandel in Braunkohleregionen, zur Stärkung des ÖPNV und zur Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene, zur Agrarwende oder zu den Gefahren von Fracking und CCS. Ende Januar hatten wir zum sozialökologischen Umbau eine große Konferenz im Zollverein Essen.

Für uns Umwelt- und Naturschützer sind die europäischen umweltbezogenen Richtlinien eine große Hilfe. Nicht alles was aus Brüssel kommt, freut uns, beispielsweise die schwachen Klimaschutzziele oder die Unterschrift der EU-Kommission unter das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA. Aber uns ärgert, wenn undifferenziert über die "Brüsseler Technokraten" hergezogen wird, so auch von Ihnen persönlich. Gibt es für Sie eigentlich auch Positives aus Brüssel, beispielsweise in der Energie- oder der Naturschutzpolitik?

Wagenknecht: Natürlich gibt es EU-Richtlinien, die gewisse Fortschritte in der Umweltpolitik bewirkt haben: Die EU-Abfallpolitik hat viele Mitgliedsländer erst dazu gebracht, über Stoffströme und Recycling nachzudenken. Auch zum Schutz der Natur und biologischen Vielfalt hat die EU einiges beigetragen, denken wir nur an die FFH- und Vogel­schutzgebiete, oder an die EU-Wasserrahmen­richt­linie. Es ist schlimm, dass wichtige EU-Grenzwerte etwa zur Feinstaubbe­lastung oder zur Nitratbelastung des Grundwassers von Deutschland überschritten werden. Es kann auch nicht sein, dass nötige Fortschritte im Kampf gegen den Klimawandel von der deutschen Regierung blockiert werden. Die ausufernden Industrieprivi­legien bei der EEG-Umlage oder beim Emissionshandel gehen beispielsweise aufs Berliner Konto. Auch ein EU-weites Verbot von Pestiziden wird vom deutschen Ernährungs- und Agrarminister Schmidt seit Jahren unterwandert.

Meine Kritik an Brüssel richtet sich gegen den übergroßen Einfluss von Konzernen, der auch für die Umwelt fatale Folgen hat. Sollte das Handelsabkommen CETA in Kraft treten, werden Konzerne gegen Gesetze klagen können, die etwa den Umwelt- oder Verbraucherschutz betreffen. Ein Großteil der EU-Agrarsubventionen wird von großen Konzernen eingestrichen, die mit dem übermäßigen Einsatz von Kunstdünger und Pestiziden sowie mit überdimensionierten Mastfabriken unseren Boden und unser Trinkwasser ruinieren. Die Überschüsse werden dann auch noch in arme Länder exportiert, was die dortige Landwirtschaft zerstört. Das Mittelmeer wird von gigantischen Fangflotten leergefischt, was unzähligen Fischern in Afrika, Griechenland oder Italien die Lebensgrundlage entzieht. Diese Handels- und Agrarpolitik ist alles andere als nachhaltig und auch die neoliberale Finanz- und Wirtschaftspolitik der EU trägt über viele Wege dazu bei, die Umwelt zu zerstören.

Umwelt- und Klimaschutzthemen gehen in Vorwahl- und Wahlzeiten ja leider oft unter. Was wollen Sie und was wird Ihre Partei tun, um dem zu begegnen? Was, glauben Sie, sollte die Linke in Deutschland tun, um im Wahljahr 2017 ihr ökologisches Profil zu schärfen?

Wagenknecht: Nur Die Linke steht für eine ökologische Politik, die gleichzeitig sozial ist. Nur wir sind uns bewusst, dass die Systemfrage durch die Umweltfrage gestellt wird, was radikale Lösungen erfordert, die auch Eingriffe in Eigentums- und Produktionsverhältnisse beinhalten. Das werden wir anhand von griffigen Beispielen popularisieren. Ich denke, dass alle Menschen ein Recht auf gesunde Ernährung haben und nicht mit Genfood, hormonbehandeltem Fleisch oder pestizidbehaftetem Gemüse abgespeist werden wollen. Ich will Biomilch für alle – was man nur erreichen kann wenn man auch in der Landwirtschaft die Eigentumsfrage aufwirft. In der EU besitzen 2,7 Prozent der Betriebe mehr als die Hälfte aller landwirtschaftlich genutzten Flächen und streichen noch Subventionen dafür ein, dass sie mit ihrer intensiven Landwirtschaft unser Grundwasser verseuchen – das ist doch kein Zustand! Ein Konzern wie Bayer/Monsanto dominiert den Markt für Saatgut, Gentechnik und Pestizide und drängt Landwirten auf der ganzen Welt ein umweltschädliches Produktionsmodell auf. Seit der Jahrtausendwen­de haben sich große Agrarkonzerne über 220 Millionen Hektar fruchtbares Land in Entwicklungsländern angeeignet um dort u.a. Biosprit zu produzieren. Mit ökologischer Nach­haltigkeit hat das so wenig zu tun wie der Versuch, dem Klimawandel dadurch beizukommen dass man es großen Konzernen erlaubt, mit Verschmutzungs­zertifikaten zu handeln.

Die Linke fordert Mobilität für alle durch Ausbau des ÖPNV, der sozial gerecht finanziert wird und fahrscheinlos genutzt werden kann, Vorfahrt für Fußgänger und Radfahrer in den Städten und eine Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Dazu muss der Bundesverkehrswegeplan, der einseitig auf Straßenbau und Individualverkehr setzt, revidiert werden. Wir fordern günstigen Ökostrom für alle durch möglichst dezentrale Produktion von erneuerbarer Energie und Rekommu­nalisierung von Energie und Stromnetzen. Die Benachteiligung von dezentralen Energiege­nossenschaften, welche die letzten EEG-Novellen bewirkt haben, muss abgeschafft werden. Ferner fordern wir Wohnungen für alle, die hohe Energiestandards erfüllen und trotzdem für Mieterinnen und Mieter bezahlbar sind.

Einmal angenommen, Sie bildeten mit der SPD und den Grünen eine nächste oder übernächste Bundesregierung und Sie würden überraschenderweise Bundesumweltministerin. Gibt es etwas, was Sie persönlich dann gern auf den Weg bringen würden?

Wagenknecht: Einiges habe ich gerade erwähnt. Darüber hinaus würde ich gern die Wegwerf- und Plastikproduktion drastisch beschränken. Es darf nicht sein, dass Produkte auf den Markt kommen, die nach Ablauf der Garantiefrist aufgrund eingebauter "Fehler" kaputt gehen, nur weil das den Umsatz steigert. Hier braucht man schärfere Haftungs- und Garantieregeln, die Konzerne dazu zwingen, langlebige Produkte auf den Markt zu bringen. Außerdem muss die Recyclingquote von Plastik und Metall erhöht bzw. müssen Anreize zur Vermeidung von Plastikmüll gesetzt werden. Jedes Jahr gelangen rund 6 Millionen Tonnen Plastikmüll in die Ozeane und vergiften die Fische und andere Meerestiere. Wer solchen Schaden verursacht, soll dafür so viel zahlen müssen, dass sich niemand mehr umweltschädliches Verhalten leisten kann. Die Kosten dürfen nicht länger auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Ich würde gern einen Beitrag dazu leisten, dass dieses wichtige Verursacherprinzip wieder in unserem Wirtschaftssystem verankert wird.

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