2017 ist Wahljahr – der BUND fragt Anton Hofreiter nach den umweltpolitischen Positionen seiner Partei

07. September 2017 | BUND, Bundestagswahl

Anlässlich des Wahljahrs 2017 interviewt Severin Zillich, Redakteur des BUNDmagazins, die Fraktionsvorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien. Den Anfang macht Anton Hofreiter von Bündnis 90/Die Grünen.

Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen  (Foto: Stefan Kaminski)

Herr Hofreiter, Sie kennen sicher das Bonmot "Opposition ist Mist". Nun neigt sich eine vierjährige Oppositionszeit von Bündnis90/Die Grünen dem Ende zu. Sehen Sie diese Jahre als für den Umwelt- und Klimaschutz verloren? Oder was wurde aus Ihrer Sicht erreicht? Woran hatte Ihre Partei Anteil, und was könnten sich andere anrechnen?
 
Hofreiter: Wissen Sie, was wirklich Mist ist? Elf Jahre verschenkte Regierungszeit für den Umwelt- und Klimaschutz. Denn die Bilanz von Schwarz-Gelb und Schwarz-Rot ist ernüchternd: Die Klimaziele werden verfehlt, der Kohleausstieg wird blockiert und der Ausbau der Erneuerbaren sabotiert. Statt der Verkehrswende soll eine Ausländermaut kommen, statt der Agrarwende das millionenfache Tierleid weitergehen. Unser Grundwasser enthält zu viel Nitrat, weshalb sogar die EU-Kommission eine Klage eingeleitet hat. Hier stimmt das mit dem Mist sogar wortwörtlich – Schuld sind nämlich die Güllemassen aus der industriellen Tierhaltung.
Es gibt aber auch ein paar positive Entwicklungen. Zum Beispiel wurde vor rund einem Jahr erreicht, womit eigentlich niemand mehr so richtig gerechnet hatte: 200 Staaten, inklusive Deutschland, beschließen das Klimaabkommen von Paris. Ein großer Hoffnungsschimmer. Hier haben deutsche Regierungsbeamte international gute Arbeit geleistet. Aber wenn wir die wahrscheinlich größte ökologische Katastrophe unserer Zeit gerade noch abwenden wollen, reichen Worte eben nicht. Man muss auch zu Hause handeln. Das Klima rettet man nicht durch Verträge, sondern dadurch, dass Kohle, Gas und Öl im Boden bleiben. Dafür muss man Gesetze machen, und das tut diese Bundesregierung nicht. Positiv ist sicher der bisher erreichte Kompromiss zur Entsorgung der Atomkraft. Wir Grüne haben gemeinsam mit den Umweltverbänden Jahrzehnte auch dafür gekämpft, dass die Konzerne in die Pflicht genommen werden, und sind am Ende erfolgreich geblieben. Das ist eine gute Botschaft zum Jahresende.
  
An vielen Stellen – auch beim Umweltschutz – wird es vermutlich in der ablaufenden Legislaturperiode nicht mehr wirklich vorangehen. Wenn Sie könnten, was würden Sie unbedingt noch auf den Weg bringen wollen?
 
Hofreiter: Ich würde sofort ein Klimanotfallprogramm starten, sodass wir unser 2020-Klimaziel doch noch erreichen. Das bedeutet: den Kohleausstieg einleiten und die Deckelung der erneuerbaren Energien beenden; die Verkehrswende einleiten und von Benzin und Diesel auf abgasfreie Autos umsteigen; und die Landwirtschaft ökologisch umbauen, weg von industrieller Landwirtschaft, hin zu Tier- und mehr Umweltschutz. Deutschland und Europa müssen beim Klimaschutz wieder vorangehen. Das ist umso wichtiger, da in den USA ein Klimaleugner zum mächtigsten Mann gewählt wurde. Und noch etwas würde ich tun: Ich würde ein Notfallprogramm zum Artenschutz auf den Weg bringen. Das Thema ist vielleicht nicht jeden Tag in der Presse. Aber wir richten gerade das größte Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier an. Bei uns in Deutschland ist jede dritte Art vom Aussterben bedroht. Wir müssen diesem Thema endlich mehr Aufmerksamkeit schenken. Davon bin ich als Biologe überzeugt.
 
Umwelt- und Klimaschutzthemen gehen in Vorwahl- und Wahlzeiten ja leider oft unter. Was wollen Sie oder Ihre Partei tun, um dem zu begegnen? Womit, glauben Sie, sollten die Bündnis-Grünen ihr ökologisches Profil in den kommenden Monaten schärfen? Wie wollen Sie die teilweise komplexen Themen auch nach außen hin attraktiv machen?

Hofreiter: Der Wahlkampf, der auf uns zukommt, wird hart und ungemütlich. Wir sehen schon heute, wie sich zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik die Diskurse verschieben und populistischer werden. Dafür muss man nur mal einen Blick in die Kommentarspalten auf Facebook werfen. Für mich gilt klar: Den Rassisten und Nationalisten schenken wir keinen Millimeter. Wichtig ist, dass wir selber Themen setzen. Ökothemen sind zentrale Menschheitsthemen. Nur weil sie nicht immer so leicht in eine Überschrift passen, heißt das nicht, dass sie weniger relevant sind. Im Gegenteil: Sie entscheiden über unsere Zukunft. Beispiel Klimakatastrophe: Wetterextreme nehmen zu und zerstören Lebensraum und die Lebensgrundlagen vieler Menschen bereits jetzt. Wir kämpfen dafür, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten. Dazu gehört die Agrarwende, denn unsere Agrarindustrie zerstört bäuerliche Existenzen in Deutschland und Regenwald in Südamerika. Wir kämpfen für die Verkehrswende, denn unser jetziges Verkehrssystem greift Gesundheit und Umwelt an. Und wir kämpfen dafür, dass wir die Globalisierung gerechter gestalten und niemand mehr abgehängt wird.
 
Welche Ideen haben Sie, die Menschen bei sehr technischen Themen wie der Energiewende besser mitzunehmen? Wie wollen Sie die überzeugen, dass sich die Energiewende – auch angesichts von Belastungen und teils negativen Begleitumständen – wirklich lohnt?
 
Hofreiter: Die Energiewende ist kein Nischenthema, sondern hat das Potenzial, die größte gesellschaftliche Transformation seit dem Internet einzuleiten. Sie bedeutet einen historischen Umbruch, wie schon die Erfindung der Dampfmaschine. Die Komplexität und die Konflikte, die damit einhergehen, dürfen uns nicht abschrecken, diese einmalige Chance anzugehen: unser komplettes Energiesystem auf Wind, Sonne und Wasser umzustellen. Mit allen Implikationen vom Hausbau über die Mobilität bis hin zur Wirtschaft: Die Energiewende wird unsere Gesellschaft völlig umkrempeln. Die Energiewende bedeutet Fortschritt, wie wir ihn uns nur wünschen können.
 
Sie fordern ein radikales Umdenken in Fragen der Mobilität. Was verstehen Sie persönlich unter einer „Verkehrswende“? Bringt eine solche Verkehrswende nicht auch große Risiken für die deutsche Autoindustrie mit sich? Wie wollen Sie die Automobilhersteller überzeugen, dabei mitzumachen?
 
Hofreiter: Zentral ist, dass wir ab 2030 keine Benziner und Diesel mehr zulassen, sondern nur noch abgasfreie Autos. Mit diesem klaren Signal verhelfen wir den alternativen Antrieben endlich zum Durchbruch. Für die deutsche Automobilindustrie ist das eine große Chance – denn auf den wichtigen Exportmärkten wie China geht der Trend in diese Richtung. Das eigentliche Risiko für die deutsche Autoindustrie läge darin, diesen Trend zu verschlafen. Sonst sind es am Schluss Tesla und chinesische Autohersteller, die neue Märkte beherrschen. Wir haben schon bei Nokia erlebt, was passiert, wenn ein Unternehmen, das heute noch Marktführer ist, einen Innovationssprung verschläft und morgen schon kein relevanter Player mehr ist. Die grüne Verkehrswende ist aber natürlich mehr, als einen Motorblock auszutauschen. Es geht darum, Bus und Bahn zu stärken und Mobilität intelligenter und vernetzter zu machen. Ich will auf einen Mobilpass hinarbeiten, der Bus und Bahn, Carsharing und Bikesharing umfasst. Mit dem es einfacher und bezahlbarer wird, unabhängig vom eigenen Auto von A nach B zu kommen.
 
Sie fordern umfassende Reformen auch in der Agrarpolitik. Nach gesunden Lebensmitteln und einer tiergerechten Landwirtschaft verlangen glücklicherweise immer mehr Menschen. Zugleich verkaufen sich die Billigangebote der Discounter "wie geschnitten Brot". Worin sehen Sie die Gründe für diesen Widerspruch? Was fehlt Ihrer Meinung nach bei der Umsetzung einer wirklichen Agrarwende? Welche Ideen und Vorschläge haben die Bündnis-Grünen für eine andere Landwirtschaftspolitik?

Hofreiter: Es geht hier ja nicht um Lifestyle-Fragen, sondern um den Umgang mit Tieren und unserer Umwelt. Wie können wir die millionenfache Tierqual der industriellen Massentierhaltung beenden? Wie können wir Landwirtschaft betreiben, ohne unsere Böden, unser Wasser, unser Klima zu zerstören? Wie können wir Bäuerinnen und Bauern bei der Agrarwende unterstützen? Vielleicht haben wir nicht genug Wertschätzung für Lebensmittel. Aber das Kernproblem ist ein anderes: In Deutschland fließen jährlich 6,3 Milliarden Euro in die Landwirtschaft, vor allem zu den großen Agrarkonzernen. Diese Subventionen treiben die Industrialisierung voran. Da müssen wir ansetzen. Außerdem brauchen wir strenge Gesetze, die für alle gelten, zum Beispiel beim Tierschutz. Und drittens brauchen wir statt Verbrauchertäuschung endlich eine klare und einfache Kennzeichnung. Ich will, dass Fleisch und Milch endlich eine Haltungs- und Herkunftskennzeichnung bekommen. Das hat auch bei den Eiern gut geklappt. Heute gibt es fast keine frischen Eier mehr aus Käfighaltung zu kaufen.

  

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