Wie die deutsche Autoindustrie den Klimaschutz ignoriert

09. September 2015 | Klimawandel, Mobilität

BUND und VCD veröffentlichen vor IAA Gutachten zur Modellpolitik der Autohersteller: Gewichts- und Leistungsanstieg sowie Zurückhaltung bei innovativen Spartechniken konterkarieren Klimaschutz

Berlin: Eine Woche vor Beginn der Internationalen Automobilausstellung (IAA) haben der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) eine Analyse der Modellentwicklung der deutschen Autoindustrie vorgelegt. Das Gutachten mit dem Titel "Die Modellentwicklung in der deutschen Autoindustrie: Gewicht contra Effizienz" weist nach, dass der Trend zur Leistungs- und Gewichtszunahme bei neuen Pkw weitergeht und deutsche Hersteller zugleich nur wenig Interesse an der Entwicklung wirklich sparsamerer Fahrzeuge haben. So würden zwar einzelne effiziente Modelle angeboten, dies jedoch mit überzogenen Aufpreisen. Das Versprechen der deutschen Autoindustrie, alles zu tun, damit Fahrzeuge insgesamt effizienter und sparsamer werden, werde in der Realität verfehlt, kritisierten Experten von BUND und VCD.

"Auch wenn bei Automessen anderes behauptet wird, die deutschen Hersteller setzen nach wie vor auf leistungsstarke Premiumfahrzeuge mit hohem Verbrauch, oft ergänzt um teure Extras, die hohe Gewinnmargen bringen", sagte der BUND-Verkehrsexperte Jens Hilgenberg. Beim Einsatz spritsparender Effizienztechnologien hielten sich die deutschen Autofirmen hingegen auffallend zurück. Dies sei eine gewollte Strategie, gegenüber der ein politischer Veränderungsdruck fehle.

"Tatsache ist, deutsche Autos könnten wesentlich sparsamer sein. Im Interesse der Kunden und im Interesse des Klimaschutzes wäre viel mehr nötig und auch machbar. Die Autofirmen bei uns sind zwar Meister darin zu zeigen, was an technischen Raffinessen alles möglich ist. Wenn es aber darum geht, neue und innovative Fahrzeugkonzepte auf die Straße zu bringen, sind dieselben Firmen nicht einmal Durchschnitt", so Hilgenberg.

Die offiziellen Zulassungszahlen von Elektro- und Hybridfahrzeugen seien ein Beleg für das Desinteresse der großen deutschen Autofirmen an mehr Klimaschutz. Während BMW und Volkswagen einzelne Hybridfahrzeuge mangels Nachfrage wieder vom Markt nehmen würden, verkaufe Toyota in Deutschland inzwischen jeden zweiten Auris und jeden dritten Yaris als Hybrid-Modell.

Dass Fahrzeuge deutscher Hersteller mit neuester Spritspartechnik nur selten auf der Straße zu sehen seien, liegt nach Ansicht des Trierer Professors Dr. Eckard Helmers vor allem an einer für die Verbraucher nicht nachvollziehbaren Preisgestaltung. "Die verlangten Aufpreise für Spritspartechniken sind zu hoch und oft unbegründet, was potentielle Käufer abschreckt. Ein Aufpreis muss sich in überschaubarer Zeit durch einen entsprechend niedrigen Verbrauch rechnen", sagte Helmers.

Die japanischen Autohersteller hätten bereits vor Jahren erste Schritte hin zu einer umweltfreundlicheren Mobilität gemacht und lägen deshalb bei den CO2-Emissionen inzwischen deutlich niedriger als die deutschen, so Helmers. Beispielsweise habe Toyota schon Ende der 1990er Jahre mit dem Modell Prius gezeigt, dass elektrische Hybrid-Antriebe sparsamer und emissionsärmer seien als herkömmliche Motorisierungen.

Helmers: "Bei den Autos der deutschen Hersteller sind enorme Effizienzreserven vorhanden. Es bedarf jedoch entsprechender Weichenstellungen durch Politik und Wirtschaft, um die Reserven zur Verringerung von Klimagasen auch tatsächlich zu mobilisieren." In der Vergangenheit seien entsprechende Chancen vertan worden. "Als die Japaner vormachten, was an Ressourcen- und Klimaschutz möglich ist, hat die europäische Politik die 'Verdieselung' der Autoflotte gefördert statt auf wirklich innovative und saubere Technologien zu setzen. Die aktuellen Probleme bezüglich der schlechten Luftqualität in europäischen Städten sind folglich hausgemacht, denn eine Hauptquelle der Stickstoffoxide sind Dieselfahrzeuge", sagte Helmers.

Damit der Klimaschutz im Automobilsektor nicht auf der Strecke bleibe, fordern der BUND und der VCD von der Politik ein Umsteuern. Auf EU-Ebene müsse die CO2-Gesetzgebung mit einem verbindlichen Grenzwert für 2025 ambitioniert weiterentwickelt werden. Dringend nötig sei auch die Einführung realistischer Verbrauchstests. Auf nationaler Ebene seien effektive steuerliche Anreize für emissionsarme Fahrzeuge und die Abschaffung der steuerlichen Besserstellung des Dieselkraftstoffs erforderlich.

Michael Müller-Görnert, Referent für Verkehrspolitik beim VCD: "Die Bundesregierung hat sich lange genug vor den Karren der Automobilwirtschaft spannen lassen. Egal ob bei der Abschwächung der CO2-Grenzwerte oder der Beibehaltung unrealistischer Methoden zur Verbrauchsermittlung – immer wieder unterstützt sie vor allem die Premiumhersteller. Das muss ein Ende haben."

Bis Ende dieses Jahres müssten alle Hersteller die EU-Vorgabe eines durchschnittlichen CO2-Ausstoßes von Neuwagen von 130 Gramm pro Kilometer erfüllen, bis 2021 sinke der Wert sogar auf 95 Gramm. Müller-Görnert: "Die Hersteller, auch die deutschen, erreichen bereits das Ziel für 2015. Das zeigt, es braucht keine Hilfe bei der Verzögerung weiterer CO2-Grenzwerte. Es ist umgekehrt, die Politik muss sich vehement für die Fortschreibung ambitionierter Grenzwerte einsetzen. Ansonsten wird die deutsche Automobilindustrie ihren Irrweg der Gewichts- und Leistungssteigerung fortsetzen – und zwar auf Kosten von Klima, Umwelt und Verbraucher."

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