Warum Arzneimittelrückstände in der Umwelt ein Problem sind

27. November 2020

Klaus Günter Steinhäuser, BUND-Experte für Stoffpolitik und Chemikalien im Interview über die Gefahr von Arzneimittelrückständen in Böden und Gewässern.

Anmoderationsvorschlag:

Medikamente sind eine Errungenschaft für die menschliche Gesundheit. Doch der Einsatz von Arzneimitteln nimmt seit Jahren zu. Warum das problematisch für die Umwelt ist, darüber spreche ich mit Klaus Günter Steinhäuser, Experte für Stoffpolitik und Chemikalien beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

Erste Frage: Herr Steinhäuser, warum ist es problematisch, wenn Arzneimittelrückstände in die Umwelt gelangen?

O-Ton 1 (Klaus Steinhäuser, 31 Sek.): "Arzneimittel sind durchaus segensreich. Sie heilen Krankheiten und lindern Beschwerden, indem sie körpereigene physiologische Prozesse beeinflussen. Das heißt, biologisch sind sie hochaktiv. Und wenn sie – bei vielen Arzneimitteln ist dies der Fall – dann unverändert wieder aus dem kranken Körper ausgeschieden werden, dann werden sie in der Umwelt nicht ohne weiteres abgebaut und erzielen dort unerwünschte Wirkungen. Sie gelangen in Boden, sie gelangen in Oberflächen- und Grundwasser und können dort lebende Organismen schädigen."

Zweite Frage: Medikamente werden ja meistens geschluckt. Wodurch gelangen die Rückstände denn überhaupt in die Umwelt?

O-Ton 2 (Klaus Steinhäuser, 50 Sek.): "Der Haupteintragspfad von Arzneimitteln sind menschliche Ausscheidungen, zu circa 85 Prozent Urin und Stuhlgang. Von dort gelangen die Arzneimittel in die Kläranlage, werden dort unvollständig abgebaut und kommen dann in die Flüsse. Zu zehn Prozent etwa ist eine unsachgemäße Entsorgung durch Verbraucherinnen und Verbraucher die Ursache von Arzneimittelbelastung. Viele spülen noch Reste von Arzneimitteln in die Toilette. Die Produktion als dritter möglicher Pfad, wie Arzneimittel in die Umwelt geraten, spielt bei uns eine geringere Rolle, denn die meiste Produktion findet in China und Indien statt. Bei Tierarzneimitteln sind auch die Ausscheidungen der dominante Pfad in die Umwelt. Als Gülle und Mist geraten sie auf den Boden, werden ausgebracht und gegebenenfalls durch Abschwemmungen gelangen sie auch in die Oberflächengewässer."

Dritte Frage: Welche Auswirkungen haben Arzneimittelrückstände in der Umwelt konkret?

O-Ton 3 (Klaus Steinhäuser, 25 Sek.): "Lassen Sie mich Beispiele nennen: Diclofenac ist ein verbreitetes Schmerzmittel mit einer Umweltqualitätsnorm von nur 0,05 Mikrogramm pro Liter. Wird diese übertroffen, sind schädigende Wirkungen für das Gewässer und die Biozönose im Gewässer nicht auszuschließen. Nun wird diese Norm häufig übertroffen, das heißt, Schäden finden wahrscheinlich statt und stören die Entwicklung von Fischen und Kleinkrebsen."

Vierte Frage: Welche Auswirkungen haben Arzneimittelrückstände noch?

O-Ton 4 (Klaus Steinhäuser, 52 Sek.): "Weiteres Beispiel: Antibiotika in der Tierhaltung, auch sie sind giftig für Wasserorganismen, aber das Hauptproblem ist ein anderes. Durch den Einsatz von Antibiotika entstehen Resistenzen. Resistente Keime, teilweise sogar multiresistente Keime, die die WHO als eines der drängendsten Gesundheitsprobleme bezeichnet. Und werden, wie das der Fall ist, dann sogar Reserveantibiotika, die in Krankenhäusern zur Behandlung von Krankheiten dringend benötigt werden, in der Tierhaltung benutzt, dann haben wir damit ein Problem. Drittes Beispiel sind Röntgenkontrastmittel: Da ungiftig, klingen sie zunächst harmlos, aber sie sind so schwer abbaubar und werden auch in Kläranlagen überhaupt nicht zurückgehalten, dass das Problem ist, dass sie sich in der Umwelt ständig anreichern und dadurch künftige Probleme entstehen können."

Fünfte Frage: Was muss passieren, damit weniger Arzneimittelrückstände in die Umwelt gelangen?

O-Ton 5 (Klaus Steinhäuser, 43 Sek.): "Wir glauben, es ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen erforderlich. Zunächst einmal ist jeder Einzelne gefragt, er sollte bitte nicht mehr Arzneimittelreste in die Toilette spülen, sondern in der Apotheke zurückgeben, wo es dann sachgemäß entsorgt wird. Dann sind Ärzte und Apothekerinnen gefragt: Sie sind aufzuklären, was die Umweltwirkungen von Arzneimitteln betrifft, dass sie die Patienten entsprechend beraten können und dass sie, falls sie die Alternative haben, das umweltverträglichere Mittel verschreiben und nicht das umweltrisikoreiche. Wir halten außerdem es für erforderlich, dass es ein Werbeverbot gibt wie bei Tabakerzeugnissen. Ein Werbeverbot für Medikamente, denn Medikamente sind keine Lifestyle-Drogen."

Sechste Frage: Was muss sich noch ändern?

O-Ton 6 (Klaus Steinhäuser, 51 Sek.): "Ein weiteres Problem ist die Tierhaltung. Tierhaltung ist bei uns häufig eine Massentierhaltung, die Tiere stehen eng beieinander und Krankheiten können sich deshalb ausbreiten. Die Art der Tierhaltung hierzulande bedingt geradezu den hohen Einsatz von Pharmaka. Es ist deshalb eine gravierende Umstellung der Tierhaltung erforderlich, nicht nur aus Gründen des Tierwohls, sondern auch um den Pharmaeinsatz zu reduzieren. Und letztlich richtet sich unser Apell natürlich auch an die Politik, die Politik der EU-Kommission und der Bundesregierung. Sie sollten das Zulassungsverfahren schärfen, denn es ist größtenteils noch zahnlos für die Umwelt, und sie sollten die Abwasserbehandlung verbessern, sei es nun dezentral bei Einrichtungen des Gesundheitswesens, oder sei es bei zentralen Kläranlagen durch Installation einer vierten Reinigungsstufe."

Siebte Frage: Kann die Forschung Abhilfe schaffen?

O-Ton 7 (Klaus Steinhäuser, 27 Sek.): "Letzter Punkt, der mir sehr am Herzen liegt, ist die Forderung an Forschung und Industrie, künftig Wirkstoffe zu entwickeln, die umweltverträglicher sind als die heute üblichen. Umweltverträglicher, indem sie zum Beispiel leichter abbaubar sind und deshalb sich in der Umwelt nicht anreichern können. Dies sollte ein Entwicklungsziel der Industrie sein und der Forschung, das sich mit dem Stichwort Green Pharmacy umschreiben lässt."

Abmoderationsvorschlag:

Vielen Dank für das Gespräch, Klaus Steinhäuser. Er ist Experte für Stoffpolitik und Chemikalien beim BUND und hat mit uns darüber gesprochen, warum Arzneimittelrückstände in der Umwelt ein Problem sind.

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