Umfrage: Mehrheit von EU-Bürger*innen lehnt gentechnische Veränderung von wildlebenden Arten ab – die europäische Kampagne "Stop Gene Drive" fordert globales Moratorium

27. Januar 2021 | Landwirtschaft, Lebensräume, Naturschutz, Umweltgifte

Berlin. In Gene-Drive-Organismen ist häufig die Gentechnologie CRISPR-Cas eingebaut und so programmiert, dass sie sich selbst immer wieder ins Erbgut aller Nachfahren einfügt. Damit können Menschen wildlebende Arten verändern, ersetzen oder gar ausrotten. Aber soll die Menschheit derartige Organismen in die Natur entlassen?

Die Antwort einer deutlichen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in acht europäischen Ländern lautet: "Nein, die Risiken sind zu hoch". Diese erste länderübergreifende Meinungsumfrage zu diesem Thema zeigt eine hohe Ablehnung (je nach Land 46-70 Prozent) und eine sehr geringe Unterstützung (7-16 Prozent) für den Einsatz der Gene-Drive-Technologie in der Umwelt. Die Umfrage unter fast 9.000 Personen ist repräsentativ für 280 Millionen EU-Bürgerinnen und EU-Bürger. Sie wurde von neun Nichtregierungsorganisationen in Auftrag gegeben, die eine informierte und umfassende öffentliche Debatte und ein weltweites Moratorium für die Freisetzung dieser neuen Art von gentechnisch veränderten Organismen fordern. Die Umfrage zeigt auch, dass ein großer Teil der Befragten in Bezug auf diese Fragen noch unentschieden ist (14-27 Prozent) oder es nicht weiß (1-24 Prozent).

Bislang vorgeschlagene Anwendungsgebiete für Gene-Drives umfassen vor allem die Ausrottung oder Veränderung von Insekten und Nagetieren, mit dem propagierten Ziel, die Übertragung von Infektionskrankheiten zu verhindern, landwirtschaftliche Schädlinge einzudämmen oder invasive Arten zu kontrollieren. Eine starke Beteiligung von Militärbehörden an der Forschung deutet darauf hin, dass die Technologie auch als biologische Waffen genutzt werden könnte.

"Eine derart mächtige Technologie mit potenziell irreversiblen Folgen für wildlebende Arten und alle ihre Ökosysteme muss durch strenge internationale Regeln und Verfahren der Entscheidungsfindung kontrolliert werden. Wir sind der Meinung, dass die Freisetzung von Gene-Drive-Organismen aus dem Labor in die Umwelt überhaupt nicht stattfinden sollte. Zumindest bedürfte es strenger internationaler Standards für eine Technikfolgen- und Risikobewertung und einen globalen Konsens für jede Freisetzung auf Basis einer vorherigen inklusiven, demokratischen Entscheidungsfindung aller potenziell betroffenen Staaten und Völker", erklärt die Koordinatorin der europäischen "Stop Gene Drive"-Kampagne, Mareike Imken von Save Our Seeds Deutschland.

Eine große Mehrheit der Befragten (65-82 Prozent) stimmt der Aussage zu, dass die Freisetzung von Gene-Drive-Organismen in die Umwelt so lange aufgeschoben werden sollte, bis wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass ihre Freisetzung der biologischen Vielfalt, der menschlichen Gesundheit, der Landwirtschaft oder dem Frieden nicht schaden würde. Eine ähnliche Mehrheit (61-85 Prozent) stimmt zu, dass die Genehmigung zur Freisetzung von Gene-Drive-Organismen in die Umwelt, die sich global ausbreiten könnten, einen globalen Konsens erfordern sollte.

Unter den befragten Deutschen liegt die Zustimmung zu einem globalen Anwendungsaufschub für erste Gene-Drive-Experimente bei 65 Prozent, einem im Vergleich zu den anderen Erhebungsländern niedrigeren Wert. Demgegenüber sehen die Deutschen mit nur rund sieben Prozent Zustimmung die Vorteile der Gene-Drive-Technologie im Vergleich zu den anderen Erhebungsländern am negativsten. Begründen lassen sich diese Ergebnisse möglicherweise mit einem im Ländervergleich überdurchschnittlich hohen Anteil von 21 Prozent der Deutschen, die sich noch nicht in der Lage sehen, eine abschließende Meinung zur Abwägung von Risiken oder auch Vorteilen der Gene-Drive-Technologie zu bilden.

Daniela Wannemacher, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): "Die Europäerinnen und Europäer haben starke Vorbehalte, wenn es um die gentechnische Veränderung wildlebender Arten mit der Gene-Drive-Technologie geht. Die EU hat sich mit der EU-Biodiversitätsstrategie die Aufgabe gegeben, eine globale Vorreiterrolle zum Schutz der Biodiversität einzunehmen und dem Artensterben ein Ende zu setzen. Deshalb sagen wir nein zu Gedankenspielen, mit Gene-Drives die gezielte Ausrottung von Arten, auch unter dem Deckmantel des Naturschutzes, zu betreiben und unterstützen die Forderung nach einem Moratorium für die Anwendung von Gene-Drives."

Lavinia Roveran, Deutscher Naturschutzring: "Um die zentralen Krisen unserer Zeit, den Klimawandel und das globale Artensterben, zu bewältigen, müssen wir ihre Ursachen angehen. Die Anwendung der Gene-Drive-Technologie wäre höchst riskant und eine Symptombekämpfung. Die Ergebnisse dieser Umfrage zeigen uns, dass eine Mehrheit der befragten EU-Bürger*innen dieser Gentechnologie wenig Lösungskompetenz zuschreibt. Wir fordern in diesem Sinne die deutsche Bundesregierung dazu auf, sich auf internationaler Ebene für Maßnahmen einzusetzen, die Ökosysteme schützen und stärken anstatt auf technologische Scheinlösungen zu setzen."

Sophia Guttenberger, Umweltinstitut München: "Wir erleben derzeit das größte Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier. Diesen irreversiblen Verlust der Artenvielfalt müssen wir stoppen, wo immer es möglich ist. Das bedeutet auch, dass wir Technologien verbieten müssen, die Ökosysteme schädigen oder ganz zerstören können. Dies ist bei der Gene-Drive-Technologie der Fall. Gene-Drive-Organismen sind darauf ausgelegt, sich zu verbreiten und das Erbgut wildlebender Arten zu verändern oder diese sogar auszurotten. Einmal freigesetzt, können wir sie weder kontrollieren noch zurückholen. Wir brauchen sofort eine breite und umfassende gesellschaftliche Aufklärung und eine politische Debatte über die Gefahren der neuen Gentechnikmethoden. Bis diese geführt ist, ist ein weltweites Moratorium für den Einsatz der Gene-Drive-Technologie unabdinglich."

Mareike Imken, Koordinatorin der europäischen "Stop Gene Drive"-Kampagne, Save Our Seeds: "Gentechnisch veränderte Gene-Drive-Organismen können so konstruiert sein, dass sie sich weltweit in wilden Populationen ausbreiten oder dies aus Versehen tun. Deshalb bräuchte es vor jeder Anwendung der Technologie in der Umwelt einen globalen Konsens. Doch dies ist aktuell nicht der Fall: Einzelne Staaten können individuell entscheiden, ob sie Gene-Drive-Organismen freisetzen wollen, unabhängig davon, ob Nachbarländer und -regionen einwilligen. Das kann eine Gefahr für den Frieden sein. Auch deshalb müssen bislang geplante Freisetzungsversuche wie sie das Forschungskonsortium Target Malaria in Burkina Faso plant, gestoppt werden."

Mehr Informationen

  • Details zur Befragung: Die repräsentative Umfrage wurde von dem internationalen Marktforschungsinstitut YouGov durchgeführt und befragte 8.826 Bürger*innen aus den acht EU-Ländern Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien, Polen, Dänemark, Schweden und Bulgarien im Dezember 2020. In Auftrag gegeben wurde die Umfrage von einem Bündnis aus den Organisationen WeMove Europe, Save Our Seeds/Zukunftsstiftung Landwirtschaft (Deutschland), Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) (Deutschland), Deutscher Naturschutzring (DNR) (Deutschland), Umweltinstitut München (Deutschland), France Nature Environnement (FNE) (Frankreich), POLLINIS (Frankreich), OGM Dangers (Frankreich) und Skiftet (Schweden), Za Zemiata (Bulgarien).
  • Hintergrund: Die europäische Kampagne "Stop Gene Drive" fordert im Einklang mit der Entschließung des Europäischen Parlaments vom Januar 2020 die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten auf, sich auf der bevorstehenden 15. Konferenz der Vertragsparteien des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt im Herbst 2021 in Kunming, China, für ein globales Moratorium für die Freisetzung von Gene- Drive-Organismen in der Umwelt, einschließlich Feldversuchen, einzusetzen. Dieser Aufruf wird von 78 zivilgesellschaftlichen Organisationen aus ganz Europa und von über 260.000 EU-Bürger*innen in einer laufenden EU-Petition unterstützt. Beides entspricht einem Aufruf, der von über 200 Organisationen weltweit unterzeichnet wurde. Die sogenannte Gene-Drive-Technologie ist eine Methode der Gentechnik, die durch die Entwicklung des Verfahrens CRISPR-Cas möglich wurde. Die damit erzeugten Organismen, auch Gene-Drive-Organismen genannt, sind dazu ausgelegt, genetische Merkmale invasiv in wildlebenden Populationen zu verbreiten. Damit wäre diese Technologie in der Lage, ganze Arten in der Natur gentechnisch zu verändern, zu ersetzen oder auszurotten. Die Freisetzung von Gene-Drive-Organismen in die Natur würde einen Paradigmenwechsel für die europäische Gentechnikgesetzgebung bedeuten. Diese schreibt vor, die Auskreuzung von gentechnisch veränderten Organismen mit wildlebenden Verwandten zu unterbinden. Gene-Drives zielen jedoch genau auf eine solche Auskreuzung ab. Dies würde einer gentechnischen Neugestaltung ganzer Ökosysteme gleichkommen. Ein von der Bill and Melinda Gates Foundation finanziertes Forschungskonsortium plant derzeit erste Feldversuche mit gentechnisch veränderten Gene-Drive-Mücken in Burkina Faso, um festzustellen, ob mit der Technologie die Ausrottung der Anopheles-Mücke als Überträger der Malaria erreicht werden kann. Viele Wissenschaftler*innen und Umweltschutzorganisationen warnen indes, dass solche Experimente in der Umwelt möglicherweise schwerwiegende und sogar irreversible Folgen für Ökosysteme, die biologische Vielfalt, die menschliche Gesundheit, landwirtschaftliche Systeme oder den Frieden haben könnten. Sie sagen voraus, dass Gene-Drive-Organismen, einmal freigesetzt, möglicherweise schwer zu kontrollieren und nicht zurückzuholen sind, sich weltweit verbreiten und Ökosysteme dauerhaft schädigen könnten.
  • Ergebnisse der Umfrage (PDF)
  • zu Gene Drives
  • EU-weite Petition für ein globales Gene-Drive-Moratorium
  • Offener Brief von 78 Europäischen Organisationen an die EU-Kommission mit der Forderung nach einem globalen Gene Drive Moratorium
  • Aufruf von über 200 zivilgesellschaftlichen Organisationen weltweit nach einem globalen Gene-Drive-Moratorium (PDF)
  • Resolution des Europäischen Parlaments für ein globales Gene-Drive-Moratorium
  • Pressekontakt: Daniela Wannemacher, Leiterin Gentechnikpolitik, Mobil: 0 15 90 / 1 34 02 27, daniela.wannemacher(at)bund.net sowie BUND-Pressestelle (Daniel Jahn / Judith Freund / Heye Jensen), Tel. (030) 2 75 86-425 / -531 / -497 / -464, presse(at)bund.net

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