Offener Brief an die SPD-Delegierten: Bündnis wirbt für "Nein" zu CETA – Zwei neue Gutachten belegen: SPD-Spitze kann ihre Versprechen nicht einlösen

15. September 2016 | TTIP / CETA

Berlin: In einem Offenen Brief haben sechs zivilgesellschaftliche Organisationen die Delegierten des SPD-Parteikonvents am kommenden Montag aufgefordert, das geplante Handelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada abzulehnen. "CETA öffnet die Tür zu einer neuen demokratie-, bürger- und europafeindlichen Handelspolitik. Wir bitten Sie, verhindern Sie das! Machen Sie sich nicht mitverantwortlich und stimmen Sie gegen CETA und dessen vorläufige Anwendung!", heißt es in dem heute veröffentlichten Schreiben. Unterzeichnet haben der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Campact, der Deutsche Kulturrat, foodwatch, Greenpeace und Mehr Demokratie.

Nach Auffassung der sechs Organisationen bedeutet CETA trotz aller erreichten Veränderungen eine Gefährdung der Demokratie: Der parlamentarische Handlungsspielraum würde durch das Abkommen unverhältnismäßig eingeschränkt, eine Paralleljustiz für Investoren geschaffen und das europäische Vorsorgeprinzip untergraben. Die sechs Organisationen kritisieren, dass die SPD-Spitze zwar Verbesserungen in Aussicht stellt – diese jedoch erst nach der Unterzeichnung des Abkommens im parlamentarischen Verfahren zur Nachverhandlung vorschlagen will. Damit könnte CETA über Jahre hinweg ohne Änderungen "vorläufig angewandt" werden. "Wer das Abkommen inhaltlich wirklich verbessern will, darf es deshalb jetzt weder unterzeichnen noch dessen vorläufiger Anwendung zustimmen", heißt es in dem Brief an die SPD-Delegierten.

Zwei neue Gutachten belegen, dass die SPD-Spitze in ihrem Leitantrag zum Parteikonvent Versprechen aufstellt, die sie nicht einlösen kann.

Nach dem Willen der SPD-Spitze soll der Bundestag Korrekturen an CETA erwirken – und zwar nach der Unterzeichnung und vorläufigen Anwendung des Vertrags. Der Versuch, solche Korrekturen kurzfristig durchzusetzen, sei allerdings "zum Scheitern verurteilt, weil die Bundesrepublik nicht im Nachhinein einseitig den Umfang der vorläufigen Anwendung oder den Inhalt des CETA (...) ändern kann", schreibt der Völkerrechtler Prof. Dr. Wolfgang Weiß von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer in einem Gutachten im Auftrag der Verbraucherorganisation foodwatch. Einfacher wäre es noch, Änderungen durchzusetzen, die erst nach der Ratifizierung von CETA griffen – dann also, wenn nach voraussichtlich mehreren Jahren alle nationalen Parlamente dem Abkommen zugestimmt hätten. Doch auch dann müssen den Korrekturen alle Beteiligten zustimmen: die Europäische Kommission, alle EU-Mitgliedstaaten sowie Kanada. Das ist politisch kaum realistisch und liegt jedenfalls nicht in den Händen der deutschen Sozialdemokratie. "Das Vorhaben der SPD (...) erweist sich aus juristischen Gründen als wenig erfolgversprechend", so Prof. Weiß.

In ihrem Leitantrag sichert die SPD-Spitze zu, dass "der politische Gestaltungsspielraum von Parlamenten und Regierungen nicht eingeschränkt werden darf". Weiter heißt es (in der Fassung der Antragskommission vom 7.9.): "In keinem Fall darf die demokratische Gestaltungsfreiheit mittel- oder unmittelbar eingeschränkt werden." Dies kann CETA jedoch gar nicht gewährleisten, wie der Völkerrechtler Prof. Dr. Markus Krajewski von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg in einem weiteren, heute veröffentlichten Gutachten belegt. Darin heißt es: "Alle Freihandelsabkommen, die sich mit nicht-tarifären Handelshemmnissen befassen, enthalten Vorgaben darüber, wie staatliche Regulierungen auszugestalten sind. Hieraus folgt, dass Regulierungen, die diesen Vorgaben nicht entsprechen, rechtswidrig sind und insofern das staatliche Regulierungsrecht einschränken (...)." Sowohl die geplante "regulatorische Kooperation" mit Kanada als auch die Klagerechte für Investoren schränkten die Autonomie der Gesetzgeber "in ungewissem Maße ein".

Der ausverhandelte CETA-Vertrag soll noch in diesem Herbst im EU-Ministerrat beschlossen, unterzeichnet und anschließend "vorläufig" angewandt werden. Demnach wären die Regelungen des Abkommens bereits wirksam, bevor die Parlamente in den EU-Mitgliedstaaten darüber abgestimmt hätten. In ihrem Leitantrag zum Parteikonvent am kommenden Montag (19. September) in Wolfsburg hat die SPD-Spitze zwar Verbesserungen an CETA in Aussicht gestellt – diese sollen allerdings nicht mehr vor der Vertragsunterzeichnung, sondern erst im parlamentarischen Verfahren erreicht werden. Ein solcher Ratifizierungsprozess dauert nach allgemeiner Erwartung mehrere Jahre. Bevor sich der Bundestag überhaupt erst für Korrekturen an CETA aussprechen kann, wäre das Abkommen längst in Kraft getreten – ohne die von der SPD in Aussicht gestellten Verbesserungen.

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