Kommentar: Zukunftsfähige Landwirtschaft braucht weniger Pestizide, nicht mehr!

15. August 2022

Zur heutigen Traktoren-Demo der Landwirt*innen vor dem Bundeslandwirtschaftsministerium in Bonn anlässlich der EU-Pläne, Pflanzenschutzmittel in „sensiblen Gebieten“ komplett verbieten zu wollen, äußern sich Antje von Broock, Geschäftsführerin des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und Ralf Bilke, Agrarreferent des BUND NRW:

Antje von Broock BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock  (Foto: Simone Neumann)

„Die Forderung der Landwirt*innen in Bonn nach einem ‚weiter wie bisher‘ ist verantwortungslos. Der Weltbiodiversitätsbericht warnt seit Jahren vor dem massiven Artensterben in unserer Kulturlandschaft – der hohe Einsatz von Pestiziden und die Monokulturen ohne Rückzugsräume und Futter für Tiere sind eine der Hauptgründe hierfür. Dass die Landwirt*innen in Bonn große Sorgen um ihre Zukunft haben, ist verständlich – noch mehr Pestizide auf die Felder zu bringen, wird ihnen aber langfristig nicht helfen und unserem Ökosystem massiv schaden. Denn die Rechnung ist eigentlich einfach: Der Verlust von Biodiversität, insbesondere Bestäubern, kann zu Ernteverlusten führen. 

Dass trotzdem der Absatz chemisch-synthetischer Pestizide in Deutschland im vergangenen Jahr um ganze vier Prozent gestiegen ist und auch Glyphosat immer noch hoch im Kurs ist, ist besorgniserregend. Dieser Anstieg zeigt, wie dringend wir eine Pestizidreduktionsstrategie brauchen. Die Ziele in Brüssel dürfen jetzt keineswegs verwässert werden. Die Bundesregierung muss eine ambitionierte Pestizidreduktionsstrategie auf den Weg bringen und dafür sorgen, dass der Einsatz von Pestiziden um 50 Prozent reduziert wird. Besonders gefährliche Pestizide gehören außerdem verboten und besonders sensible Gebiete müssen besser geschützt werden. In der Zukunftskommission Landwirtschaft haben sich auch die Agrarverbände auf eine Pestizidreduktion geeinigt. Das muss weiter gelten“, so Antje von Broock. 

Ralf Bilke, Agrarreferent des BUND NRW, verweist auf den dramatischen Artenschwund in Nordrhein-Westfalen: „Mehr als die Hälfte der Schmetterlinge, Wildbienen und Wespen stehen hier in NRW auf der Liste der gefährdeten Arten, fast jede zweite Heuschrecken- und Libellenart droht verloren zu gehen. Die Landwirtschaft trägt an dieser Entwicklung erheblichen Anteil: Fast die Hälfte der Landesfläche wird landwirtschaftlich genutzt. Insbesondere der massive großflächige Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden und mineralischen Düngemitteln ist eine der zentralen Ursachen des ungebremsten Artenschwunds. Die Landwirtschaft ist mit Blick auf den Erhalt der Artenvielfalt Teil des Problems und sie ist zugleich Teil der Lösung. Stabile Ökosysteme liegen im ureigenen Interesse der Bäuer*innen selber. Leider stießen unsere Vorschläge für einen Ausschluss von Pestiziden und Düngemitteln in Schutzgebieten, die Ausweitung des ökologischen Landbaus in NRW und eine konsequente Pestizidreduktion bei der letzten NRW-Landesregierung auf komplett taube Ohren. Viel wertvolle Zeit ging verloren. Jetzt ist die neue Landesregierung gefragt. Die Ziele der EU – die Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 – müssen zwingend eingehalten werden. Es darf keinen Roll-Back geben."

Hintergrund: Die Biodiversität geht vor allem in der Agrarlandschaft verloren. Dazu trägt unter anderem der Einsatz von Pestizide bei. Der Absatz der Pestizide in Deutschland ist 2021 gestiegen. Insbesondere die Abgabe von Herbiziden (+ 13,7 Prozent) hat zugenommen. Besonders drastisch ist der Anstieg des Totalherbizids Glyphosat von 3.773 auf 4.097 Tonnen. Laut Bericht des Weltbiodiversitätsrats IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) hat die Geschwindigkeit, mit der Arten aussterben, in den letzten Jahrzehnten immer weiter zugenommen: So liegt die Rate derzeit 10- bis 100-Mal höher als zu allen anderen Zeiten in den vergangenen zehn Millionen Jahren. Die "Farm to Fork-Strategie“ der EU sieht vor, den Einsatz von Pestiziden in der EU um 50 Prozent zu reduzieren. Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (Resoration Law) soll Schäden an der europäischen Natur bis 2050 beheben. Der Verordnungsvorschlag legt EU-weit rechtlich verbindliche Ziele für die Wiederherstellung der Natur in verschiedenen Ökosystemen vor - darunter auch die Beschränkung des Pestizideinsatzes in geschützten Gebieten. Dagegen demonstrieren die Landwirt*innen in Bonn.

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