Klimaschutz setzt neue Hürden für Enteignungen / BUND-Rechtsgutachten: Zerstörung weiterer Dörfer für die Braunkohle wäre verfassungswidrig

04. Juni 2019 | Klimawandel, Kohle, Naturschutz, Ressourcen & Technik

Düsseldorf/Berlin. Zwangsenteignungen für die Fortführung der Braunkohlentagebaue Garzweiler und Hambach sind angesichts der gestiegenen Klimaschutzvorgaben nicht mehr zulässig. Das ist das zentrale Ergebnis eines vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) heute in dem vom Tagebau Garzweiler unmittelbar bedrohten Dorf Keyenberg (Rheinland) vorgestellten Rechtsgutachtens "Beschränkung von Enteignungsmöglichkeiten für Braunkohlentagebaue durch Klimaschutzvorgaben". Der BUND beauftragte mit dem Gutachten die Frankfurter Kanzlei Philipp-Gerlach & Teßmer, die im Jahr 2013 bereits erfolgreich die Verfassungsbeschwerde des BUND NRW gegen die Enteignung seiner Streuobstwiese im Tagebau Garzweiler I vertreten hatte.

"Das Gutachten zeigt: Die Zerstörung weiterer Dörfer für die Braunkohlentagebaue ist nicht nur überflüssig, sondern verbietet sich auch aus verfassungsrechtlicher Sicht", sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. "NRW-Ministerpräsident Armin Laschet ist gefordert, sofort einen Abrissstopp mit dem Kohlekonzern RWE zu vereinbaren."

Ungeachtet der Empfehlungen der sogenannten Kohlekommission zum beschleunigten Braunkohlenausstieg forciert die RWE Power AG nach Angaben der Betroffenen derzeit die Umsiedlungsmaßnahmen in den bedrohten Dörfern. Nach den RWE-Plänen sollen allein für den Tagebau Garzweiler noch etwa 1.600 Menschen in fünf Dörfern sowie vier Höfe weichen.

"Aufgrund der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen sind Grundabtretungen über das Jahr 2019 hinaus nur noch in beschränktem Umfang zulässig", so das Fazit des Bergrechtsexperten Dirk Teßmer. "Insbesondere ist keine Enteignung von Grundstücken mehr zu rechtfertigen, deren Inanspruchnahme auf eine nicht mehr klimazielverträgliche Förderung und Verstromung von Braunkohle abzielt." Die Restfördermengen müssten aus Gründen des verfassungsrechtlich gebotenen Eigentumsschutzes deshalb auf solche Flächen beschränkt werden, deren Abbau im Einklang mit den Klimaschutzverpflichtungen noch möglich ist.

Wie zahlreiche Gutachten und Studien belegen, ist es zur Erreichung der deutschen Klimaschutzziele erforderlich, die Braunkohlenförderung und -verstromung drastisch zu reduzieren. Durch die Ratifizierung des Pariser Klimaschutz-Abkommens sind die Anforderungen noch einmal erhöht worden. Das nationale Klimaziel 2020 sowie das – noch nicht entsprechend dem Pariser Abkommen erhöhte – europäisch verbindliche Klimaziel für 2030 erfordert ein starkes Absinken der Kohleverstromung. Entsprechend sieht die Kohlekommission in ihrem Abschlussbericht vor, dass die Braunkohlenverstromung bereits bis 2030 deutlich reduziert wird und in den 2030er Jahren ausläuft. Der Großteil der in den landesplanerisch genehmigten Tagebauen noch vorhandenen Braunkohle muss deshalb im Boden bleiben. Aus Klimaschutzsicht hält der BUND sogar ein Auslaufen der Braunkohlenverstromung bis spätestens 2030 für erforderlich.

"Bei einer 1:1-Umsetzung der Empfehlungen der Kohlekommission verbietet sich nicht nur die Zerstörung des Hambacher Waldes, auch alle Dörfer können und müssen stehen bleiben", so der stellvertretende BUND-Landesvorsitzende Thomas Krämerkämper. "Durch eine mögliche Umplanung der Tagebaue ist deren Fortführung dabei ohne weitere Devastierungen auf Jahre sichergestellt."

Die Kohlekommission hatte empfohlen, bis Ende 2022 Stromerzeugungskapazitäten von 3,1 Gigawatt an Braunkohlenkraftwerken stillzulegen und auch danach die Kraftwerksleistung stetig zu verringern, um das Sektorklimaziel 2030 erreichbar zu machen. Zusammen mit der bereits begonnenen Überführung von Kraftwerksblöcken in die sogenannte "Sicherheitsbereitschaft" gingen damit kurzfristig 12 Braunkohlenkraftwerksblöcke im Rheinland vom Netz. Dadurch halbiere sich die Fördermenge in den Tagebauen Garzweiler und Hambach von heute etwa 70 auf 35 Millionen Tonnen. Auch ohne weitere Zerstörung von Wald und Dörfern sind nach einem Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) bei geänderter Abbauführung aber noch bis zu 815 Millionen Tonnen Braunkohle gewinnbar. Die Kohlemengen sind also mehr als ausreichend, um die verbleibenden Kraftwerksblöcke sicher zu betreiben.

Vor diesem Hintergrund ist der BUND überzeugt, dass Enteignungsanträgen der RWE Power AG nicht mehr entsprochen werden kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Anträge auf Grundstücke beziehen, die innerhalb von Ortslagen beziehungsweise im unmittelbaren Umfeld von Ortslagen liegen oder es sich um Flächen handelt, die aufgrund der Erhaltung des Hambacher Waldes nicht mehr in Anspruch zu nehmen sind.

"Dass RWE trotzdem weiter Fakten schafft, ist ein Unding", empört sich Dirk Jansen, Geschäftsleiter des BUND NRW. "Wir erwarten von Ministerpräsident Armin Laschet, dass er der nicht nur unnötigen, sondern auch den Klimazielen zuwiderlaufenden Zerstörung Einhalt gebietet." Zusammen mit 40 anderen Verbänden und Initiativen hatte der BUND die Landesregierung in einem offenen Brief aufgefordert, ein Moratorium zu erlassen, bis die politischen Entscheidungen zum Kohleausstieg getroffen und umgesetzt sind. Am Ende müsse eine Bestandgarantie für den Hambacher Wald und alle Dörfer stehen, so die Verbände.

Um all diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, ruft der BUND zusammen mit anderen Organisationen und der Initiative "Alle Dörfer bleiben" zu einem Aktionstag am 22. Juni 2019 auf. Mehrere tausend Menschen werden dann am Tagebau Garzweiler erwartet.

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