- SFV und BUND reichen heute Klage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein
- Entkerntes Klimaschutzgesetz verstößt gegen das Grundgesetz – Einhaltung selbst der zu schwachen deutschen Klimaziele erschwert
- Unzureichende Gesetzgebung für die rechtsverbindliche 1,5 Grad-Grenze
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) reichen heute gemeinsam mit vier Klagenden – Kerstin Lopau, Karola Knuth, André Wendel, Dr. Mareike Bernhard – beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erneut eine Klimaklage gegen die Bundesrepublik Deutschland ein. „Die Bundesregierung schafft es nicht, den Herausforderungen der Klimakrise und ihren verfassungsrechtlichen Pflichten gerecht zu werden", erklären beide Verbände übereinstimmend.
Susanne Jung, Geschäftsführerin des SFV: „Wir wollen die Bundesregierung zu mehr Anstrengungen beim Klimaschutz verpflichten. Ausreden und politische Unwilligkeit können wir uns nicht mehr leisten. Die Erkenntnisse der Wissenschaft sind zunehmend alarmierend, wir sind an einem gefährlichen Scheideweg für die künftigen Generationen.”
Olaf Bandt, BUND-Vorsitzender: „Anstatt mehr für das Klima zu tun, hat die Bundesregierung die Klimagesetzgebung sogar abgeschwächt. Das Klimaschutzgesetz wurde geschliffen und wesentlicher Elemente beraubt. Wir nehmen diese Untätigkeit nicht hin. Klimaschutz ist Menschenrecht – das haben die Wetterextreme dieses Jahres wieder eindrücklich bewiesen. Wir klagen Verantwortung ein, wir klagen auf Klimaschutz, der eine gute Zukunft möglich macht.”
Nach dem „Klima-Beschluss” des Bundesverfassungsgerichts von 2021 blieben die notwendigen klimapolitischen Schritte aus. Extreme Hitze, Waldbrände, Starkregen und Überschwemmungen haben auch dieses Jahr bereits viele Menschenleben gekostet und Verwüstungen verursacht. Diese Ereignisse nehmen zu. Die deutsche Klimapolitik trägt aber den aktuellen Erkenntnissen der Wissenschaft zum Klimawandel keine Rechnung. Die deutsche Gesetzgebung verstößt nach Auffassung der Beschwerdeführer*innen daher mit ihrer unzureichenden Klimapolitik gegen das Grundgesetz. Durch die letzte Novelle des Klimaschutzgesetzes (KSG) hat sie dieses Problem noch einmal verschärft. Das Ziel- und Ambitionsniveau der deutschen Klimapolitik ist deutlich zu niedrig. Maßstab des Handelns muss die klimawissenschaftlich fundierte, rechtlich verankerte Grenze von global 1,5 Grad maximaler Erderhitzung sein, um die Folgen der Klimakrise noch beherrschbar zu halten. Das „Treibhausgas-Budget”, welches Deutschland bei fairer Verteilung 2020 noch zustand, ist inzwischen aufgebraucht und sogar überzogen, wie die Klageschrift unter Hinweis auf IPCC-Berechnungen aufzeigt.
Klimaschutz ist Menschenrecht
Die Verfassungsbeschwerde wird von Rechtsanwältin Dr. Franziska Heß und Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt juristisch vertreten. Beide hatten bereits 2018 im Auftrag von SFV und BUND die erste Verfassungsbeschwerde erarbeitet. Diese Klage war 2021 in wesentlichen Punkten erfolgreich. Mit dem novellierten KSG und angesichts der klimawissenschaftlichen Erkenntnisse ist erneut der Gang nach Karlsruhe geboten.
Franziska Heß und Felix Ekardt führen dazu aus: „Das Verfassungsrecht verlangt ein wesentlich höheres Ambitionsniveau beim Klimaschutz. Schon heute ist das Klima-Budget Deutschlands erschöpft. Stattdessen hat die Bundesregierung mit der Reform des Klimaschutzgesetzes 2024 durch die Aufgabe der Sektorziele und die Abschwächung des Überprüfungsmechanismus bei der Treibhausgasreduktion den Klimaschutz noch weiter erschwert. Auch Deutschlands konkrete Klimamaßnahmen reichen bei weitem nicht.” Dadurch verstoße die deutsche Gesetzgebung gegen die Freiheitsrechte, das Recht auf Leben und Gesundheit und das Staatsziel Umweltschutz (Art. 2 Abs. 1, 2 Abs. 2, 20a GG). Denn der Klimawandel bedrohe die physischen Grundlagen unserer Freiheit, und auch eine lange verschleppte und dann in sehr kurzer Zeit anziehende Klimapolitik wäre nach dem BVerfG-Klima-Beschluss ein Grundrechtsproblem.
Die Verfassungsbeschwerde nimmt auch ausführlich zum Verbandsklagerecht Stellung. Nachdem 2018 das oberste deutsche Gericht ein solches Recht noch nicht eingeräumt hat, bewerten die Rechtsvertreter*innen von BUND und SFV nun vor dem Hintergrund des Urteils des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) von April diesen Jahres zugunsten der Schweizer „Klima-Seniorinnen” die Klageberechtigung optimistisch und begründen dies ausführlich.
Wer steht hinter der Klage
Beschwerdeführende sind der BUND und der SFV sowie vier Einzelkläger*innen, die ihre Klage persönlich wie folgt begründen:
Kerstin Lopau, 33 Jahre, Ingenieurin für Erneuerbare Energien und Gründerin eines Solarkollektives: „Ich baue konkrete Alternativen auf, aber das ist wie ein Tropfen auf den heißen Stein – wortwörtlich. Solange die Bundesregierung konsequenten Klimaschutz sabotiert, reicht es nicht. Daher müssen jetzt Maßnahmen auf höchster Ebene her. Die Bundesregierung soll im Sinne von uns Bürger*innen handeln, und dazu fordere ich sie mit der Klage auf.“
Karola Knuth, 23 Jahre, Studentin in Heidelberg, engagiert sich im ehrenamtlichen Bundesvorstand der BUNDjugend: „Die Regierung muss die Freiheiten heutiger und künftiger Generationen schützen, indem sie konsequenten Klimaschutz macht. Deutschland hat seinen fairen Anteil am globalen CO2-Budget zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze bereits aufgebraucht. Jede zusätzliche Tonne CO2, die wir ausstoßen, ist demnach zu viel. Wir erleben, dass die Regierungskoalition einknickt, wenn es Gegenwind gibt. Dieser Zickzackkurs riskiert unsere Zukunft und unser Recht auf Freiheit. Ich erhoffe mir, dass das höchste deutsche Gericht die Leitplanken für Klimaschutz nochmal klarer definiert.“
André Wendel, 54 Jahre, Busfahrer in Leipzig, Gewerkschaftsmitglied: „Aus meiner Sicht hat die Bundesregierung ihre Hausaufgaben nicht erledigt. Wenn wir unsere Mobilität und damit auch den Wohlstand trotz Klimakrise erhalten wollen, müssen wir den Verkehrssektor radikal umbauen und ausreichend finanzieren. Damit können wir aber nicht irgendwann beginnen, das muss jetzt passieren. Ich will, dass wir konsequent das Klima schützen und dabei auf soziale Gerechtigkeit achten.“
Dr. Mareike Bernhard, 35 Jahre, Assistenzärztin in Koblenz, engagiert sich bei “Health for Future”, Mutter von drei kleinen Kindern: „Als Ärztin bin ich täglich mit den gesundheitlichen Folgen der Klimakrise konfrontiert. Erst vor wenigen Monaten ging die Schlagzeile um die Welt, dass bei der Hadsch in Mekka hunderte von Pilgern der enormen Hitze erlegen sind. Auch bei uns in Mitteleuropa steigt die Zahl der Hitzetoten, Zehntausende waren es in den letzten beiden Sommern europaweit. Angesichts des damit verbundenen menschlichen Leids macht mich die Untätigkeit der Bundesregierung fassungslos.“
Hinweis:
Die Verfassungsbeschwerde ist eine von dreien, die fünf deutsche Umweltverbände gemeinsam mit Kläger*innen aus allen Teilen der Gesellschaft gegen die unzureichende Klimapolitik der Bundesregierung sowie insbesondere die Entkernung des Klimaschutzgesetzes (KSG) erheben. Neben dem Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) und dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) führen die Deutschen Umwelthilfe (DUH) sowie auch Greenpeace und Germanwatch jeweils eine Beschwerde.
Hintergrund:
Weitere Informationen und juristische Erläuterungen zur Klage finden Sie in unserem Faktenblatt: Klimaklage: Klimaschutz ist Menschenrecht
Mehr Informationen:
Kontakt:
- Prozessvertreter*innen (alle Leipzig): Für Nachfragen zur Verfassungsbeschwerde stehen zur Verfügung: Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt von der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik, E-Mail: felix.ekardt(at)uni-rostock.de sowie Fachanwältin für Verwaltungsrecht Dr. Franziska Heß und Rechtsanwältin Lisa Hörtzsch, Kanzlei Baumann Rechtsanwälte PartGmbB, E-Mail: hess(at)baumann-rechtsanwaelte.de
- BUND: Tina Löffelsend, Abteilungsleiterin Klimaschutz beim BUND, Mobil: +49 176-200 67 099, tina.loeffelsend(at)bund.net
- SFV: Susanne Jung, Geschäftsführerin und Vorständin des Solarenergie-Förderverein Deutschland e.V., Tel.: +49 241-511616, jung(at)sfv.de