Ein Jahr Flut-Katastrophe an Ahr und Erft – Prävention und ökologischer Hochwasserschutz weiter dürftig

11. Juli 2022 | Flüsse & Gewässer, Klimawandel, Lebensräume

Berlin. Ein Jahr nach den verheerenden Hochwassern in Teilen Westdeutschlands ist die Gefahr neuer Flutkatastrophen in vielen Regionen weiterhin hoch. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) warnt vor einer Wiederholung alter Fehler und fordert mehr ökologischen Hochwasserschutz. "Häufigere Extremwetter infolge des Klimawandels erhöhen die Gefahrenlage. Vielerorts fehlen Überschwemmungszonen, haben Böden ihre Schwammfunktion verloren und werden große Flächen rücksichtslos versiegelt", sagt Olaf Bandt, BUND-Vorsitzender. "Angesichts vieler folgenreicher Eingriffe in die Natur ist eine neue Katastrophe leider nur eine Frage der Zeit."

Die Extremhochwasser an der Ahr und in Nordrhein-Westfalen waren zwar regional begrenzte Ereignisse. Doch derartige intensive Hochwasser nehmen in Folge der Klimakrise zu. Mit gravierenden Folgen für Mensch und Umwelt: Mehr als 180 Menschen kamen in der Nacht vom 14. auf den 15 Juli 2021 ums Leben, Hunderte weitere wurden verletzt, die Schäden gingen in die Milliarden, ein Ende des Wiederaufbaus der zerstörten Gebiete ist längst noch nicht in Sicht. Absehbar ist hingegen: Nach der Flut ist vor der Flut. "Ein Weiter-so darf es nicht geben", so Bandt. "Wir brauchen ein Präventionsbewusstsein. Wir brauchen dringend mehr ökologischen Hochwasserschutz."

Was das für das Ahrtal bedeutet, erläutert Sabine Yacoub, BUND-Landesvorsitzende in Rheinland-Pfalz: "Die Ahr hat uns gezeigt, wo sie natürlicherweise entlangfließt. Doch statt das zum Teil neu entstandene Flussbett zu erhalten, wurde das Gewässer wieder ins alte Bett gezwungen. Streckenweise wurde es sogar noch weiter eingeengt als vorher, sodass die Ahr jetzt vielerorts naturferner ist als vorher. Das ist tragisch für den Naturschutz und fatal für den Hochwasserschutz. Eine wichtige Lehre aus der Katastrophe muss sein, dass in möglichen Überschwemmungsgebieten nicht mehr gebaut wird. Doch rheinland-pfälzische Gemeinden planen Baugebiete noch immer mitten in solchen Gebiete und nehmen dabei mögliche Katastrophen in der Zukunft in Kauf."

Für Nordrhein-Westfalen erklärt der BUND-Landesvorsitzende Holger Sticht: "Trotz der vielen Toten und Milliardenschäden ist eine grundlegende Neuausrichtung der Politik nicht in Sicht. Die neue Landesregierung plant keine harte Bremse für den zunehmenden Flächenverbrauch und will den vorsorgenden Hochwasserschutz auch nicht als verbindliches Ziel im Landesentwicklungsplan verankern. Die Einzugsgebiete der Bäche und Flüsse werden noch immer in weiten Teilen von NRW falsch bewirtschaftet oder zubetoniert und somit als Wasserspeicher entwertet. Stattdessen müssten wir unseren Landschaftswasserhaushalt grundlegend sanieren und im ersten Schritt alle potenziellen Überschwemmungsgebiete konsequent von jeglicher Bebauung freihalten."

Wie groß die Versäumnisse beim vorsorgenden Hochwasserschutz sind, belegen die anderen Flut-Jahrestage in diesem Jahr: 20 Jahre Elbeflut und 25 Jahre Oderhochwasser. Nach der Oder-Flut 1997 erklärte der damalige Kanzler Helmut Kohl, dass Flüssen mehr Raum gelassen werden müsse, andernfalls holten sie sich ihn mit schlimmen Folgen für die Menschen zurück. Dennoch blieben größere Deichrückverlegungen bundesweit aus, was bei der Elbeflut besonders den Osten traf.  

Bandt: "Wir brauchen ein ganzes Netz aus Maßnahmen und Strategien. Zentrale Bausteine sind: möglichst naturnahe Flüsse, intakte Auen als Aufnahmebecken, ein Ende der Versiegelung von Freiflächen durch Siedlungs- und Infrastrukturbau, ein konsequenter Bodenschutz. Die Politik muss endlich handeln: Trotz der Hochwasser an der Oder 1997 und an der Elbe 2002 wurde erst 2013 das Nationale Hochwasserschutzprogramm beauftragt, dessen Umsetzung schleppend läuft. Die Katastrophe an der Ahr und in Nordrhein-Westfalen muss dazu führen, das hochwasser- und klimaresiliente Schutzmaßnahmen mit hoher Priorität in Gesamtdeutschland umgesetzt werden."

Mehr Informationen

  • Einen wesentlichen wissenschaftlichen Beitrag zum Hochwasserrisikomanagement nach der Flutkatastrophe im Ahrtal leistet das Forschungsprojekt zu Klima-Anpassung, Hochwasser und Resilienz für Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen (KAHR) und nennt mehrere Empfehlungen. Aus Sicht des BUND sind überregional von besonderer Bedeutung:
    • Es muss Raum für den Fluss geschaffen werden und wenn dieser nicht vorhanden ist, muss zu angepassten Landnutzungen übergegangen werden
    • Es müssen alle Potenziale der Hochwassermodellierung und Risikoanalyse zur Planung von Schutzstrategien sowie zur Vorbereitung und Warnung Betroffener ausgeschöpft werden.
    • Das hochwasser- und klimaresiliente Planen und Bauen muss auf allen Ebenen der räumlichen Planung integriert werden und alle Facetten der Klimawandelauswirkungen müssen berücksichtigt werden.

  • Kontakt: Sascha Maier, BUND-Gewässerexperte, Tel. (030) 2 75 86-532, Mobil: 01 70 / 5 71 96 89, sascha.maier(at)bund.net, Sabine Yacoub, BUND-Landesvorsitzende Rheinland-Pfalz, 01 74 / 9 97 18 92, sabine.yacoub(at)bund-rlp.de, Dirk Jansen, Geschäftsleiter BUND NRW, Tel. (02 11) 30 20 05-22 oder 01 72 / 2 92 97 33, dirk.jansen(at)bund.net sowie BUND-Pressestelle (Sigrid Wolff / Daniel Jahn / Clara Billen / Lara Dalbudak), Tel. (030) 2 75 86-497 / -531 / -464 / -425, presse(at)bund.net

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